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Höhenluft. Der Schweizer Snowboard-Olympiasieger Iouri Podladtchikov auf seinem Spielplatz in den Bündner Alpen: der Halfpipe in Laax.

© promo/Marcel Lämmerhirt

Snowboard: Größte Halfpipe der Welt: Zwei Riesenwellen aus Schnee

Die größte Halfpipe der Welt in Laax soll das Snowboarden in Europa auf eine neue Stufe heben. Der Aufwand dafür ist riesig: Der Bau kostete 4,6 Millionen Euro.

Von Johannes Nedo

Was er für einen perfekten Lauf braucht, weiß Iouri Podladtchikov genau. „Ich brauche eine Halfpipe, in der ich mir vorkomme wie in einem Videospiel“, sagt der Schweizer Snowboarder. „Eine Halfpipe, in der ich meine Kräfte voll und ganz umsetzen kann.“ Am vergangenen Sonntag, bei den European Open in Laax, demonstrierte der Olympiasieger von Sotschi wieder, was möglich ist, wenn seine Fähigkeiten mit dem entsprechenden Spielplatz zusammenkommen. Auf mehr als 2200 Metern, auf dem Crap Sogn Gion in Graubünden, rauschte der 26-Jährige in sich ruhend durch die Halfpipe, als würde er von unsichtbaren Himmelsseilen gezogen. Immer wieder katapultierte er sich fast acht Meter über den Rand, immer wieder drehte er sich bei seinen Sprüngen mehrmals um die eigene Achse – bei den letzten beiden gelangen ihm sogar je zwei Salti mit drei Schrauben. Immer wieder landete er sicher mit seinem Brett.

Podladtchikov, in Russland geboren, in Zürich aufgewachsen, gewann mit diesem Lauf einen der prestigeträchtigsten Snowboard-Wettkämpfe. Natürlich war er die Hauptattraktion in Laax, aber nicht die einzige. Mindestens genauso im Fokus stand der Spielplatz: die Super-Pipe. Denn sie ist jetzt die größte der Welt: 6,90 Meter hoch, 200 Meter lang und 22 Meter breit. Wie zwei Riesenwellen aus Schnee erheben sich die beiden Wände der Halfpipe.

In Laax setzen sie schon seit fast 30 Jahren auf das Snowboarden. Aber nun sehen sie sich mit ihrem Freestyle-Park auf einer Stufe mit denen, die eigentlich als unantastbar und uneinholbar galten – denen in den USA, in den Rocky Mountains von Colorado. „Wir machen das ja nicht, weil wir die Amis schlagen wollen“, sagt Reto Poltera. „Sondern weil wir einen Narren an den Pipes gefressen haben.“ Der 46-Jährige ist einer der Geschäftsführer der Weissen Arena Gruppe, die das Laaxer Wintersportgebiet betreibt. Und er ist so etwas wie der Designer der Super-Pipe. Poltera trägt Dreitagebart, eine buntgestreifte Wollmütze und eine lange schwarze Snowboardjacke. Er steht am Rande der Halfpipe und schwärmt davon, wie schön es ist, dort durchzufahren. „Das ist wie Wiener-Walzer-Tanzen mit Reggae-Musik“, sagt er. „Und weil es so viel Spaß macht, sind wir einfach dazu verpflichtet, es den Leuten zu zeigen.“

Fast eine Million Euro betragen die Betriebskosten pro Jahr

Dafür betreiben die Schweizer großen Aufwand. Etwa 4,6 Millionen Euro investierten sie für den Bau, fast eine Million Euro betragen die Betriebskosten pro Jahr. Im Sommer wurde Geröll und Erde auf den Berg transportiert, um die Wände aufzuschichten. Im Winter wurde dann so richtig beschneit. 25 000 Kubikmeter Kunstschnee waren nötig, um die vier bis sechs Meter dicken Wände aus Schnee zu errichten. Außerdem wurde extra für diese Halfpipe eine Fräse entwickelt, die 6,90 Meter hohe Wände formen kann. Wie überdimensionale Tentakeln wirken die Fräsen am Pistenfahrzeug.

Die schwierigste Aufgabe ist aber, beide Schneewände in eine perfekte Wellenform zu modellieren und einen idealen Übergang zwischen ihnen zu schaffen. Dafür haben die Schweizer einen der besten sogenannten Shaper verpflichtet. Der US-Amerikaner Jeremy Carpenter, der zuvor unter anderem in Colorado gearbeitet hat, feilt nun fast jeden Tag vier bis acht Stunden mit der Maschine daran, die Pipe so glatt und so geschmeidig wie nur möglich zu formen. Wenn Carpenter über seine Arbeit spricht, klingt er fast wie ein Komponist: „Es ist so viel Gefühl dabei. Ich kann hören, ob die Fräse oben oder unten mehr Schnee abträgt.“

Carpenter genießt bei den Athleten höchsten Respekt. „Er überlegt sich einfach ein paar Sachen mehr zu der Pipe“, sagt Podladtchikov. „So kommt sie auf ein ganz anderes Niveau. Endlich haben wir so eine Pipe auch in Europa zum Trainieren.“ Vorher war klar: die besten Halfpipes gibt es in den USA. Und weil man nur im besten Spielplatz seine Möglichkeiten voll ausschöpfen kann, mussten die Europäer ständig über den Atlantik fliegen. Nun sagt Podladtchikov: „Die Laaxer Pipe hat sehr viel Potenzial – das ist noch lange nicht ausgeschöpft.“

Überhaupt profitieren er und seine Schweizer Kollegen ungemein davon, dass in Laax stets nach dem nächsten großen Snowboard-Ding gestrebt wird. Dazu zählt nicht nur die Weiterentwicklung der Halfpipe, sondern auch eine Freestyle-Academy. Dort können die Athleten ihre Tricks in einer 1200 Quadratmeter großen Halle trainieren, bevor sie diese im Schnee wagen. Es gibt Trampoline und Sprungschanzen, von denen aus man in einer mit Schaumstoffstücken gefüllten Grube landen kann (die „Schnitzelgrube“). All das schlägt sich mittlerweile immer stärker in beachtlichen Resultaten nieder. Bei den European Open waren vier Schweizer unter den besten sechs. Einer davon ist der erst 18-jährige David Hablützel. Er wurde Dritter, und hatte es bei Podladtchikovs Olympiasieg auf Platz fünf geschafft. „Durch Laax ist meine Karriere erst entstanden“, sagt Hablützel.

Solche schönen Sätze von einer strukturierten Karriereförderung gibt es von deutschen Snowboardern nicht. In Laax war nur ein Deutscher am Start. Johannes Höpfl kam auf Rang 25. Der 19-jährige Bayer ist der Einzige, der international einigermaßen mithalten kann. In Sotschi wurde er 22. Von den Schweizer Möglichkeiten kann Höpfl nur träumen. In Deutschland gibt es nicht eine Halfpipe. Allerdings wird es bald eine Freestyle Academy geben – dank Laax. Die Schweizer werden Ende Februar einen Ableger in der Nähe von Stuttgart eröffnen.

Während die Deutschen also vielleicht darauf hoffen dürfen, halbwegs den Anschluss zu finden, geht es für die Schweizer schon darum, die Weltspitze im Duell mit den Amerikanern zu bestimmen. Wie groß ihre Ambitionen sind, merkt man daran, wie Podladtchikov die neue Halfpipe abschließend beurteilt: „Sie ist super. Es geht sehr viel da drin, aber mit der in Aspen in Colorado kann sie sich noch nicht messen. Da müssen wir Schweizer noch etwas arbeiten.“ Natürlich werden sie das.

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