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Sport: „So etwas steht für Leidenschaft“

Sebastian Kehl über seinen Schubser gegen einen Schiedsrichter und sein neues Bild in der Öffentlichkeit

Herr Kehl, gibt es Ihren Fanklub „RhönPower“ noch?

Und ob. Ich weiß immer, wo die Jungs im Stadion sitzen. Das ist wie in der Ehe. Diese Fans unterstützen mich in guten wie in schlechten Zeiten.

Wie würden Sie denn die augenblickliche Zeit für Sie beschreiben?

Als sehr gut bis zu diesem Vorfall …

… den Platzverweis, nachdem Sie im Ligapokalfinale gegen den HSV den Schiedsrichter umgestoßen hatten.

Ja, es war kurz vor dem Abpfiff im Finale des Ligapokals. Bis dahin war die Vorbereitung sehr positiv verlaufen. Ich habe gut gespielt und mich dann zu dieser dummen Sache hinreißen lassen.

Plötzlich war aus dem vorbildlichen Profi Kehl ein Rüpel geworden.

Sie können sich gar nicht vorstellen, was in den ersten Tagen danach in Dortmund los war. Das Thema wurde groß gefahren.

Das liegt jetzt drei Wochen zurück, und es scheint, als haben Sie diesen Vorfall noch nicht gänzlich verarbeitet.

Ich schon, aber es sprechen mich immer wieder Leute darauf an. Sie zum Beispiel. Der Schubser war eine einmalige Aktion. Bis dahin hatte ich ein gutes Image. Ich galt als freundlich, offen und umgänglich. Ich kann nur hoffen, dass dadurch nicht alles kaputtgegangen ist. Ich habe mich mehrmals entschuldigt – beim Schiedsrichter, beim Trainer, der Mannschaft und den Fans.

Befürchten Sie nicht, dass dieser Vorfall Sie Ihre ganze Karriere lang verfolgen wird?

Das habe ich mich auch schon gefragt. Vielleicht wird etwas hängen bleiben. Aber Sie können die Sache auch positiv sehen. Viele sagen, das zeichnet mich als Typen aus.

Glauben Sie wirklich, dass es für einen Spieler spricht, wenn er den Schiedsrichter absichtlich umstößt?

Natürlich nicht, aber ich meine, dass eine solche Aktion für Leidenschaft steht. Mein Trainer Matthias Sammer hat mir gesagt, dass mir so etwas nicht passieren darf. Aber er hat mir auch gesagt, dass ich mir meine Leidenschaft erhalten und meinen Weg weitergehen soll. Nur werde ich an mir noch etwas arbeiten müssen. Wer das nicht mehr tut, wird sich nicht entwickeln und in seiner Leistung stagnieren.

Sie sind nicht zum ersten Mal unangenehm aufgefallen.

Sie spielen auf diese Geschichte an, als ich den Abflug der Mannschaft zum Champions-League-Spiel nach Moskau verschlafen habe. Das war etwas ganz anderes. Ich war früh wach, hatte alles vorbereitet und wollte mich für zehn Minuten noch mal auf die Couch legen. Aus den zehn Minuten wurden zwei Stunden. Beim Trainer und im Verein kam das zu Recht nicht gut an. Wichtig war jedoch, dass wir einen Tag später gewonnen haben und ich meinen Teil dazu beitragen konnte. Ich denke, ein bisschen Menschlichkeit kann nicht schaden.

Vor gar nicht allzu langer Zeit galten Sie, Ihr Vereinskollege Christoph Metzelder und der Münchner Sebastian Deisler als Synonym für den hoffnungsvollen, deutschen Nachwuchs. Jetzt hat Ihre Karriere einen Knick.

Das sehe ich auf keinen Fall so. Ich habe nie den Boden unter den Füßen verloren. Ich weiß, dass sich viele Medien nur für die extremen Ausschläge nach oben oder unten interessieren. Da werden einem bestimmte Sachen so ausgelegt, wie es gebraucht wird. Nur weil ich Abitur habe, wurde ich als Schlaumeier dargestellt. Andere betonen wiederum, man solle doch bitte über den Tellerrand blicken. Und wenn man das tut, kommt man gleich als altklug rüber. Das ist doch wahnwitzig.

Ab jetzt werden Sie sich also dumm stellen?

Natürlich nicht. Ich bin vorsichtiger geworden und gebe kaum noch Interviews. Und wissen Sie, was passiert? Jetzt sagen die Leute, Mensch, früher warst du frisch, jung und anders. Sehen Sie, das macht das Geschäft aus einem. Man verliert sich in Phrasen.

Sehen Sie keinen Ausweg für sich?

Was heißt Ausweg? Ich gebe mir Mühe, möglichst authentisch rüberzukommen, und ich glaube, dass das mir auch noch gelingt. Aber natürlich lasse ich heute den einen oder anderen Satz weg. Heute sollen andere die Schlagzeilen bestimmen. Vor eineinhalb Jahren wurden Metzelder, Deisler und ich zur Generation 2006 stilisiert. Jetzt gibt es schon wieder eine neue Generation. Ein Wahnsinn, wie schnell das geht, oder?

Dann müssten Sie doch eigentlich ganz zufrieden sein.

Bin ich im Prinzip auch. Wenn man nur noch eine Rolle spielt, wird man sich irgendwann verzetteln. Ich kenne die Karrieren anderer Spieler nicht so gut wie meine eigene. In jungen Jahren bin ich immer nur Schritt für Schritt gegangen. Geld spielte für mich keine Rolle, wirklich. Meine Stationen – Hannover, Freiburg, Dortmund – zeigen meine Einstellung zu meinem Beruf.

Den können Sie in der Bundesliga momentan nicht ausüben. Sie sind gesperrt. Und in der Startaufstellung für das Länderspiel gegen Italien stehen Sie auch nicht. Werden Sie noch eingewechselt?

Das entscheidet der Teamchef. Natürlich wäre ich froh, wenn ich spielen würde.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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