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Matthias Brandt, 51, ist vor allem bekannt durch seine Rolle als „Polizeiruf“-Kommissar Hanns von Meuffels. Seine Liebe zum Fußball entdeckte der gebürtige Berliner schon früh. Sein Herz verlor er 1985 während seiner ersten Theater-Anstellung in Oldenburg an Werder Bremen. Seitdem geht Brandt regelmäßig ins Weserstadion und schweigt. Aus Überzeugung, nicht aus Protest.

© ddp

So läuft die Bundesliga-Rückrunde: Hoffenheim in die Roboterliga

Winterpausenzeit heißt Stammtischzeit. Der Schauspieler Matthias Brandt entwirft sein persönliches Drehbuch für den Verlauf der Rückrunde in der Fußball-Bundesliga.

Weihnachten, Wolfsburg. Es klopft an der Tür. Klaus Allofs (zögerlich): „Ja, was ist denn?“ Francisco Javier Garcia Sanz tritt ein. Der VW-Boss wedelt mit einem Blatt Papier. Garcia Sanz (selbstsicher): „Hier, Klaus, der Vertrag für Bernardo.“ Allofs zuckt zusammen. Hatte er seinem Chef denn gar nicht darüber informiert, dass er bereits Dieter Hecking als neuen VfL-Trainer verpflichtet hatte?

27. Dezember, Hannover-Langenhagen. Ein Journalist sitzt im Flughafenrestaurant und wartet. Ein paar Tische weiter: Uli Hoeneß und Willi Lemke trinken Champagner. Der Informant, ein ehemaliger SAP-Spitzenprogrammierer, tritt auf. Er berichtet dem Journalisten, wie er vor sechs Jahren für Dietmar Hopp eine Fußballspielersoftware habe entwickeln müssen. Dieses Programm sei den damaligen Spielern der TSG Hoffenheim auf eingepflanzten Chips installiert worden. „Stellen Sie sich das einmal vor: Die waren ferngesteuert! Maschinen!“, ruft er (empört).

30. Dezember, Gelsenkirchen. Horst Heldt raucht und raucht und raucht. Schließlich gibt der Schalke-Manager seinem Bauchgefühl nach: Er schickt Jens Keller zurück zur B-Jugend und ernennt stattdessen Lothar Matthäus zum neuen Trainer.

31. Dezember, Wolfsburg. Allofs hat sich in seinem Büro verschanzt und grübelt. Wie soll er das Ding mit Dieter bloß seinem Chef erklären? Dann stößt er bei seiner Vereinshymnenrecherche auf ein Foto von Frank Zander. Genial, denkt Allofs.

1. Januar, Hannover-Langenhagen. Bei dem ersten Treffen nach ihrer Versöhnung liegen sich Hoeneß und Lemke im Flughafenrestaurant in den Armen. Lemke (betont mitfühlend): „Ist es wirklich so schlimm, Uli?“ Hoeneß (verzweifelt): „Schlimmer. Manchmal denke ich, der Sammer ist der Herbert Wehner des Fußballs! Immer diese Kacklaune, ich kann nicht mehr, Willi!“ Lemke (hoffnungsfroh): „Armer Uli, dann komm doch zu uns nach Bremen.“ Hoeneß (noch verzweifelter): „Ja, Willi. Aber was mach’ ich denn nur mit dem Franck? Den kann ich doch nicht mit dem Irren alleine lassen.“ Lemke (verschlagen): „Bring ihn doch mit. Und vielleicht auch den Alaba?“

2. Januar, Hannover-Langenhagen. Wenig los im Flughafenrestaurant. Erleichtert sitzt der Bayern-Präsident und designierte Bremer Sportdirektor Uli Hoeneß an einem Ecktisch und führt mit sich selbst die Transferverhandlungen in Sachen Ribéry und Alaba. Dazu: Grünkohl mit Bregenwurst und Lüttje Lage.

3. Januar, Salzburg. Ralf Rangnick bestätigt dem Journalisten all die Ausführungen seines Informanten. „Aber wir haben die Chips vor vier Jahren in der Winterpause wieder entfernen lassen“, sagt der damalige TSG-Trainer, „oder glauben Sie, ein Tim Wiese sei zurzeit programmiert?“ Nein, das glaube er nicht – oder aber Wieses Software hätte einen schlimmen Virus.

4. Januar, Wolfsburg. Francisco Javier Garcia Sanz stutzt. Schon wieder hat er diese bezaubernde Melodie in den Ohren. Garcia Sanz (entzückt): „Bernardo, qué canción es, qué siempre pitar?“ Schuster pfeift weiter. Ein Stinkstiefel, der Bernardo, denkt sein spanischer Vorgesetzter und wiederholt auf deutsch: „Bernd, was pfeifst du da für ein Liedchen?“ Und Schusters Augen werden plötzlich groß, größer, sie beginnen zu funkeln, und er singt: „Nur nach Hause, nur nach Hause...“

5. Januar, Gelsenkirchen. Zum ersten öffentlichen Training nach der Verpflichtung von Matthäus kommen: zwei Schalke-Fans, die von Lothar noch nichts wussten.

10. Januar, Bremen. Uli Hoeneß steht neben Willi Lemke im Blitzlichtgewitter. Als neuer Sportdirektor bekommt der Fleischfabrikant zur Begrüßung einen Zuchthahn überreicht.

14. Januar, Deutschland. Die Nachricht verbreitet sich schnell: Riesenskandal in der Bundesliga! Bereits drei Stunden später wird beim Deutschen Fußball-Bund so getan, als sei nichts gewesen. Wie Hamburg damals bei Roland Schill: „Hoffen...- wie? Kennen wir nicht, tut uns leid.“ Der DFB schiebt die Hopp-Mannschaft einfach in die neue Roboterliga und lässt diese von SAP sponsern, fertig. Und da sind es nur noch siebzehn.

15. Januar, Katar. Beziehungsweise sechzehneinhalb. Der klamme Hamburger SV erliegt dem lukrativen Angebot, seine Heimspiele künftig in Katar auszutragen. Und überhaupt: Der HSV befindet sich permanent auf Reisen und lässt sich buchen für Freundschaftsspiele in den entlegensten Ländern der Welt.

Endlich wieder Fußball

18. Januar, Gelsenkirchen. Endlich wieder Fußball! Hannover zum Auftakt gegen Schalke. Doch dort ist der Schweigeprotest in der Winterpause zu einem gewaltigen Matthäusboykott herangeschmollt. Lediglich 7000 Touristen verirren sich in die riesige Open-Air-Halle. Horst Heldt hat eine Idee.

19. Januar, Bremen. Werder gewinnt gegen Dortmund 2:0, die neue Flügelzange mit Ribéry und Marko Arnautovic funktioniert prächtig! Hoeneß und Lemke liegen sich in den Armen.

27. Januar, Katar. Werder besiegt den HSV in dessen heimischem Suhaim-bin-Hamad-Stadion 4:1.

30. Januar, Hannover-Langenhagen. Im Flughafenrestaurant wird Mario Balotelli erkannt. Ein halbstarker Deutscher reißt sich sein Hemd vom Leib und stellt seine Deutschlandbesiegerpose nach. Horst Heldt schiebt den italienischen Nationalspieler ins Séparée.

1. Februar, Timbuktu. Der Hamburger SV tritt gegen eine Bürgermeisterauswahl aus den umliegenden Oasen an. Entlohnung: 11 300 Euro.
2. Februar, Gelsenkirchen. Horst Heldt liebt es, wenn ein Plan funktioniert. Und 61 524 glückselige Schalke-Fans verzeihen ihm die Matthäus-Verpflichtung in dem Moment, als sie nach fünf Spielminuten das erste Tor von Mario Balotelli bejubeln. Darauf noch eine Marlboro!
5. Februar, Wolfsburg. Garcia Sanz lässt das Rätsel um seinen Bernardo keine Ruhe. Warum versteht der blonde Engel kein Wort spanisch mehr und spricht nur deutsch – und dann auch noch so schnoddrig, icke und er. Und dieses Lied? Will Bernardo ihm damit womöglich etwas sagen?

23. Februar, München. Bayern empfängt Werder. Doch Uli zieht ein Wochenende in Willis Ferienhaus auf Norderney vor. Ohne ihn gibt es die erste von zwei Rückrundenniederlagen. Tut uns aber nicht weh, wir werden am Ende ja eh Vierter…

1. März, Katar. Der HSV sagt die Spieltage 24 bis 28 ab. Grund: Die Mannschaft ist mit Lotto King Karl auf Welttournee. Als Vorgruppe. Entlohnung pro Gig: 9800 Euro.

10. März, München. Matthias Sammer tobt. „Gewinnen, gewinnen, gewinnen“, brüllt der Sportvorstand des FC Bayern, „wir können nur noch gewinnen!“ Sammer raucht neuerdings Pfeife. An der Säbener Straße nennt man ihn nur noch: den Zuchtmeister.

11. März, München. Sammer stellt Christoph Daum als neuen Trainer vor. Denn nur dieser außergewöhnliche Motivationskünstler sei dazu in der Lage, „dass wir auch mal wieder verlieren“.

12. März, Hölle. Daum hat sich etwas Besonderes ausgedacht. Mit einem Betriebsausflug will er seine Mannschaft verunsichern und vom Erfolgsweg abbringen.

16. März, Leverkusen. Bayern gewinnt 3:1. Daum wird gefeuert.

17. März, München. Sammer stellt Michael Skibbe als neuen Trainer vor. Denn nur dieser außergewöhnliche Langweiler sei jetzt noch in der Lage, „dass wir auch mal wieder verlieren“.

6. April, Frankfurt. Bayern gewinnt 1:0. Und Sammer knickt ein: Wenn es Skibbe schon nicht schafft... dann doch lieber mit dem alten Heynckes.

13. April, Wolfsburg. Der VfL hat spielfrei, wegen Hoffenheim, Roboterliga und so weiter. Und Francisco Javier Garcia Sanz überlegt, wie er sich diesen Knochen von Co-Trainer wieder vom Leib schafft, den Allofs da ausgegraben hat. „Pfff, wenn jemand schon Dieter heißt!“ zischt er (von oben herab). Dann googelt Garcia Sanz „Nur nach Hause“ und stößt bei Youtube auf ein Musikvideo. Er ist aufs Neue entzückt: Bernardo kann ja auch vortrefflich Gitarre spielen. Aber warum geht sein Künstlername wohl auf die Bezeichnung eines Zahnmaulfisches zurück? Egal, denkt sich der VW-Boss und tanzt.

20. April, Bremen. Werder, meine Liebe! 7:1! Und das gegen unseren alten, bereits fast vergessenen Manager und sein überaus merkwürdiges Trainer-Gespann.

18. Mai, Fußballdeutschland. Und dann ist die Saison auch schon wieder vorbei: Bayern ist Deutscher Meister, Leverkusen – natürlich – Vize, Dortmund landet auf dem dritten Platz und verliert in einer Woche das Champions-League-Endspiel, Lothar Matthäus wird in Gelsenkirchen auf Händen getragen, Mario Balotelli wird zum Weltfußballer gewählt und „Roboterliga“ zum Wort des Jahres, der Hamburger SV schließt die Saison mit einem Bundesligarekordumsatz ab und Marko Arnautovic ersetzt den wegen Erfolglosigkeit gefeuerten Richard David Precht in einer Philosophieshow des Zweiten Deutschen Fernsehens. Lassen wir das jetzt einfach mal so stehen.

Und ich? Ich sitze in diesem Moment vor der Glotze und schaue auf die letzte Sportschautabelle vor der Sommerpause. Werder Bremen auf dem vierten Platz! Europa, wir kommen! Da muss selbst ich schmunzeln. Zum ersten (und wahrscheinlich letzten) Mal in meinem Leben war eine, ja was sage ich, waren all meine Prognosen durchweg richtig. Aufgezeichnet von Benjamin Apitius.

Matthias Brandt

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