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Euro 2008: Russland - Spanien

© AFP

Spanien: Mit der Kraft des Zaubers

Die Überlegenheit des schöneren Fußballs lässt die Spanier an den Sieg in ihrem ersten Finale seit 24 Jahren glauben. Vor allem das starke Mittelfeld soll Deutschland vor unlösbare Probleme stellen. Stürmerstar David Villa aber fällt aus.

Das Franz-Horr-Stadion liegt im 10. Wiener Bezirk, er trägt den viel versprechenden Namen Favoriten. Welche Chimäre. Hier hat sich die Türkei auf die Niederlage gegen Deutschland eingestimmt und Russland auf den K.o. gegen Spanien. Am Freitag sind die Spanier nach Favoriten gekommen, um sich auf das Endspiel vorzubereiten. Sonst spielt hier die Wiener Austria, von der es heißt, sie spiele den langweiligsten Fußball im ganzen Land. Das ist ein schöner Kontrast zum Zauber des spanischen Spiels, in der Nacht zu Freitag hat er ein ganzes Land in den emotionalen Ausnahmezustand getrieben und Wien in ein rot-gelbes Fahnenmeer getaucht. Bis früh in den Morgen feierten die Aficionados am Schwedenplatz, wo die Kneipen, in Wien heißen sie Beisl, noch nicht um Mitternacht schließen.

Am Tag nach dem 3:0-Sieg im Halbfinale über Russland bittet Luis Aragones seine müden Helden zum sanften Austraben. 22 Spanier traben auf den Platz, nur David Villa fehlt. Für den Stürmer vom FC Valencia ist die EM nach einer gegen Russland erlittenen Oberschenkelzerrung vor dem Höhepunkt beendet. „Von mir aus würde ich auch hinkend spielen“, sagt Villa, „aber wir haben genügend Spieler, und alle werden am Sonntag ihr Bestes geben. Ich muss das Finale eben von draußen genießen.“ Was das Genießen angeht, haben die Spanier einen gewissen Nachholbedarf. Also beschwören sie daheim die Vergangenheit. Nicht die jüngere, als bei großen Turnieren mit schöner Regelmäßigkeit spätestens im Viertelfinale Schluss war. Sondern 1984, die EM in Frankreich, als Spanien das letzte Vorrundenspiel unbedingt gewinnen musste, die Deutschen mit bewährten Mauerqualitäten aber bis in die Schlussminute hinein ein 0:0 hielten. Dann flankte Juan Señor von rechts, der Ball senkte sich auf den blonden Kopf von Antonio Maceda und von dort aus ins Tor. Danach war Schluss, Spanien im Halbfinale und Deutschland raus. Seit diesem 20. Juni 1984 in Paris ist Maceda in Spanien ein Held und die ewige Hoffnung auf eine bessere Zukunft. „Mit dem Geist von Maceda ist alles möglich“, behauptet „El Pais“, „Marca“ formulierte etwas zurückhaltender: „Maceda zeigt, wie man Deutschland schlagen kann.“ Nur Luis Aragones will nichts mehr hören von 1984. Die Spanier erreichten damals das Endspiel, aber das ging verloren, 0:2 gegen Frankreich. Am Sonntag soll es anders laufen. „Ich glaube fest daran, dass wir Europameister werden, weil wir den besseren Fußball spielen“, sagt Aragones. Spanien hat den störrischen Alten oft genug verflucht, zuletzt, als er sich standhaft weigerte, Real Madrids Kapitän Raul mit zur EM zu nehmen. Jetzt preisen ihn viele für seine Weitsicht, und die Reporter erzählen sich unter der Hand, sie hätten ja immer gewusst, dass der egoistische Raul immer im Mittelpunkt stehen wollte und so den Teamgeist zerstört habe. Die spanischen Spieler betonen gern, welch großen Einfluss der Spaßfaktor habe. „Das ist eine echte Mannschaft“, schwärmt der verletzte Villa. Auch beim Auslaufen des Favoriten herrscht Heiterkeit. Danach gibt’s ein Trainingsspielchen, dann schickt Aragones die am Sieg gegen Russland Beteiligten in die Kabine. „Regeneration ist wichtig. Die Deutschen konnten sich einen Tag länger ausruhen, das könnte ein Vorteil für sie sein.“

Von der Stehtribüne schauen ein paar Männer im Blaumann zu, denn das Franz- Horr-Stadion wird gerade umgebaut. Aragones steht an der Seite, die Hände in den Hüften, den rechten Fuß auf einen Ball gestützt. Er jongliert mit einer Pfeife und studiert die Übungen seiner Reservisten, obwohl doch am Sonntag keiner von ihnen spielen wird. Längst hat Aragones seine Stammbesetzung gefunden, für Villa wird entweder Daniel Güiza stürmen oder Cesc Fabregas das Mittelfeld verstärken. „Wir haben verschiedene Optionen, das macht uns so stark“, sagt Aragones.

Gegen Russland machte das Mittelfeld den Unterschied. Xavi, Iniesta und Fabregas trieben das Spiel an, und hinter ihnen sorgte Marcos Senna für Ordnung, auf der wichtigsten Position, die der moderne Fußball zu vergeben hat. Mit Übersicht und Laufbereitschaft knüpft der Hispano-Brasilianer das Netz, in dem sich bei dieser EM bisher jede Mannschaft verheddert hat. Am Donnerstag hat er den russischen Dirigenten Andrej Arschawin aus dem Spiel genommen, im Finale wird er sich um Michael Ballack kümmern. Nach dem Halbfinale bedrängten ihn die spanischen Reporter mit Fragen nach seiner Strategie gegen den deutschen Kapitän. „Sorry, ich muss jetzt zum Bus“, sagte Senna und ließ den Strauß der Mikrofone stehen. Das mit Ballack hat Zeit bis Sonntag.

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