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Sport: Spiel mit Unbekannten

Großbritannien bastelt für 2012 ein Handballteam – zwei Hobbyspieler aus Deutschland machen mit

Vor sieben Wochen spürte Christopher Mohr das erste Mal, wie es sich anfühlen könnte bei den Olympischen Spielen 2012 in London. Am 12. Januar saß der 18-Jährige beim Testspiel Dänemark gegen Deutschland auf der Tribüne der Arena in Aarhus und schaute gebannt zu, wie sich die besten Handballer dieses Globus miteinander duellierten. Mohr war vom Tempo und Athletik sehr beeindruckt. Nach dem Abpfiff ging er zu Dominik Klein, Deutschlands Linksaußen, und holte sich ein Autogramm. Es kam dabei zu einer kleinen Plauderei. Als Klein erfuhr, was Mohr vorhat, gab er ihm einen aufmunternden Klaps mit auf den Weg. Kein Wunder angesichts der unmöglich erscheinenden Aufgabe, die sich Mohr gestellt hat: Er möchte 2012 in London beim olympischen Handball-Turnier auflaufen – für Großbritannien.

Mohrs Chancen stehen gar nicht einmal schlecht. In Deutschland hätte der Sohn einer Schottin natürlich keine Chance in die Auswahl zu kommen. Zuletzt trug er das Trikot des hessischen Bezirksligisten TSG 1847 Bürgel. Aber Mohr besitzt eben einen britischen Pass. Und deswegen könnte er im Trikot des Gastgeberlandes der Spiele von 2012 auflaufen.

Mohrs olympischer Traum begann im Internet. „Ich bin beim Surfen zufällig auf der Homepage der Scottish Handball Association gelandet“, erzählt er. Hier erfuhr er, dass der Verband dringend Handballer mit britischem Pass sucht. Mohr meldete sich und wurde tatsächlich zu einem Juniorenturnier eingeladen. Was er nicht ahnte: Dieses Turnier galt als Sichtung für das Team der British Handball Association (BHA) für die Olympischen Spiele 2012. Ein paar Tage später fragen ihn die Funktionäre, ob er sich vorstellen könne, sich auf das olympische Turnier in London vorzubereiten. Mohr konnte: „Na klar habe ich zugesagt.“ Seitdem trainiert er mit seinen Kollegen, die wie er zumeist nicht in Großbritannien geboren sind.

Handball, diese urdeutsche Sportart, fristet nämlich auf der Insel ein stiefmütterliches Dasein. „Dort gibt es nur zwei vernünftige Hallen, eine in Sheffield und eine in London“, berichtet Mohr. Hält er sich in England auf, hat er Schwierigkeiten zu erklären, welche Sportart er betreibt. Mit „Handball“ ist hier vor allem ein Handspiel im Fußball gemeint, weshalb sich die Funktionäre gezwungen sehen, das klassische Handballspiel mit dem Begriff „Teamhandball“ abzugrenzen. Eigentlich hatten die wenigen Handball-Enthusiasten ihren Kampf um Anerkennung im Jahr 2005 schon aufgegeben, als sich die Nationalmannschaft gegen eine schwedische B-Auswahl eine 3:67-Niederlage eingehandelt hatte. Doch dann kam die Wende: London bekam die Olympischen Spiele. Und damit war plötzlich viel Geld vorhanden. Rund 4,3 Millionen Euro hat die BHA nun zur Verfügung, um den britischen Handball olympiafähig zu machen. Eine Verschwendung von Steuergeldern, kritisierte neulich die „Times“ harsch. Aber die Handball-Exoten lässt das kalt.

Realisiert wird das Projekt vor allem im Ausland. Die Mannschaft ist während der Saison, zwischen August und Mai, zusammengezogen in einer Akademie in Aarhus, einer der dänischen Handball-Hochburgen. Sie trainiert hier bei besten Bedingungen nicht nur nach modernen Methoden. „Wir spielen auch gegen dänische Teams, die unsere Spielstärke haben“, sagt Mohr. Er findet, sie seien auf einem guten Weg. Dass sie noch einmal gegen die Färöer mit 19:58 verlieren würden, wie es noch 2007 einer schottischen Auswahl passiert ist, hält auch Mohrs Teamkollege Merlin Braithewaite für unmöglich. Kurz vor Weihnachten haben sie zweimal deutlich gegen das Nationalteam Neuseelands gewonnen, erzählt der 20-Jährige aus Westfalen. Er ordnet den Erfolg allerdings ein: „Na ja, Neuseeland ist nicht die große Handballnation. Aber wir machen trotzdem Fortschritte.“

Braithewaite hatte nach zwei Sprunggelenksoperationen das Handballspiel eigentlich schon aufgegeben. Aber dann machte ihn ein Kumpel auf die BHA aufmerksam, und nun genießt er das Leben. „Man bekommt hier alles bezahlt, dazu 500 Euro Taschengeld im Monat“, erzählt er. „Damit kann man hier gut auskommen.“ Freilich wissen die beiden jungen Deutschen mit britischem Pass heute noch nicht, ob ihre Leistungen tatsächlich ausreichen für das olympische Turnier. Bis 2010 müssen sie nachweisen, ob sie das Zeug dazu haben, sich in London wenigstens nicht zu blamieren. „Bis dahin unternehme ich aber alles, meinen Traum von Olympia zu realisieren“, sagt Mohr und schaut entschlossen. Er will Dominik Klein unbedingt wieder treffen. Und diesmal nicht erst nach dem Spiel.

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