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Joachim Löw findet vor den EM-Qualifikationsspielen, dass seine Spieler ein Jahr nach dem WM-Titel wieder frischer und motivierter sind.

© dpa

Deutschland gegen Polen: Spiel Nummer eins nach dem verlorenen Jahr

Eine Saison lang ermüdete die WM-Feierei die Nationalspieler. Mit dem Spiel gegen Polen beginnt jedoch ein heißer Herbst.

Joachim Löw tut wenig ohne Bedacht. Vermutlich ist es also kein Zufall, dass er am Donnerstagmittag zur weißen Trainingsjacke greift, als er zu seinem ersten offiziellen Auftritt mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in dieser Saison aufbricht. Auf ein Hemd verzichtet der Bundestrainer. Die Ärmel seiner Trainingsjacke hat er bis kurz unter die Ellbogen hochgeschoben, den Kragen aufgestellt, den Reißverschluss so weit nach unten gezogen, dass gelegentlich die goldene Kette um seinen Hals hervorblinzelt.

Joachim Löw lächelt breit, als er auf dem Podium Platz nimmt. Frisch, aufgeräumt, ein wenig hemdsärmelig, so wirkt er an diesem Mittag. Es ist zufälligerweise genau der Eindruck, den er zu Beginn der neuen Länderspielsaison von sich und seiner Mannschaft vermittelt sehen will.

„Ich freue mich, dass es so entscheidende Spiele gibt im Herbst“, sagt Löw. Das erste findet an diesem Freitag in Frankfurt am Main statt, Deutschland gegen Polen (20.45 Uhr, live bei RTL). Es ist in der Gruppe D der EM-Qualifikation das Duell des Tabellenersten gegen den -zweiten.

Ein wenig überraschend allerdings heißt der Erste diesmal nicht Deutschland. In den vergangenen Qualifikationsrunden „waren wir immer in der Poleposition und haben das auch durchgezogen“, sagt Löw. Diesmal hinkt die Mannschaft den eigenen Ansprüchen ein wenig hinterher. Oder, wie es der Bundestrainer ausdrückt: „Wir sind ein bisschen in Verzug, was die Punkte betrifft.“

Die Ergebnisse der letzten zwölf Monate waren nicht weltmeisterlich

Das Hinspiel in Warschau haben die Deutschen vor elf Monaten 0:2 verloren. Es war eine Niederlage, von der Mario Götze sagt, dass sie ihm noch heute schwer im Magen liege. Aber von dieser Art Spiele gab es einige, seitdem die Mannschaft den WM-Titel gewonnen hat. „Im vergangenen Jahr haben wir nicht weltmeisterlich gespielt“, gibt Löw zu. Die Ergebnisse waren ebenfalls nicht weltmeisterlich: Von zehn Spielen seit dem Finale von Rio hat die Nationalelf nur fünf gewonnen, drei (gegen Argentinien, die USA und eben Polen) gingen gar verloren. Richtig frisch und aufgeräumt wirkte Löws Team in der ganzen Saison nicht, eher irgendwie verknittert. „Natürlich gab es einen emotionalen Abfall“, sagt der Bundestrainer. „Es war manchmal mühsam.“

Löw selbst hat es schon im Moment des großen Triumphs so kommen sehen. Er hat das Problem oft genug angesprochen; hat im Herbst gemahnt, dass die Weltmeisterschaft jetzt aber wirklich mal vorbei sein müsse; hat nach der x-ten Ehrung gehofft, dass vielleicht der Jahreswechsel eine Zäsur sein könnte. Aber es war, als wollte die WM einfach nicht vergehen.

Zu Beginn dieser Woche hat Löw zugegeben, dass es auch für ihn nicht immer einfach gewesen sei, die richtige Spannung aufzubauen. Abnutzungserscheinungen im Amt hat er zwar dementiert, aber der Bundestrainer musste sich fast so vorkommen, als wäre ihm – gegen seinen ausdrücklichen Wunsch – ein Sabbatjahr verordnet worden. Er hat den Mangel noch halbwegs erträglich wegmoderiert, dabei hätte er eigentlich schon wieder neu gestalten wollen. „Im letzten Jahr war es schwierig, einschneidende Veränderungen vorzunehmen“, sagt Löw.

Die Euro 2016 ist nur ein wichtiges Etappenziel

Das ist jetzt anders. „Die Spieler wirken frischer, motivierter“, findet der Bundestrainer. Auch die Rhetorik ist wieder griffiger. Löw spricht von einem heißen Herbst. „Wir stehen vor den Wochen der Wahrheit, aber nicht mit dem Rücken zur Wand.“ Die Situation sei „schwierig, aber auch nicht dramatisch“, die Mannschaft „in der Lage, alle Probleme in den Griff zu kriegen“. Also auch Polen zu schlagen, vor dem Auswärtsspiel am Montag in Schottland die Tabellenführung zu erobern und sich als Gruppenerster für die EM in Frankreich zu qualifizieren.

Im Frühjahr hat Joachim Löw seinen Vertrag vorzeitig bis 2018 verlängert. Die Weltmeisterschaft in Russland ist jetzt sein Bezugsrahmen, nicht mehr die Europameisterschaft im kommenden Sommer. Die sieht Löw nur noch als „ein wichtiges Etappenziel“, seine eigentliche Mission, „die heißt Titelverteidigung 2018“. Die Weltmeisterschaft ein zweites Mal hintereinander zu gewinnen – das hat seit mehr als 50 Jahren (Brasilien 1958 und 1962) keine Nation mehr geschafft.

Der Fußball verändert sich so schnell, dass die Zyklen immer kürzer werden. Die Konkurrenz über Jahre zu dominieren, wird nur dem gelingen, der sich im laufenden Prozess noch einmal neu erfindet. Auch deshalb beschäftigt sich Löw schon jetzt mit der Frage: „Wo soll die Mannschaft 2018 stehen, was soll sie für einen Fußball spielen?“ Es geht ihm nicht darum, ob seine Spieler problemlos von einer Vierer- auf eine Dreierkette umstellen können. „Die Systeme sind ausgereizt“, sagt er. Individuell müsse man sich weiter verbessern. Die entscheidenden Fragen lauten: „Wer hat Handlungs- Wahrnehmungs- und Orientierungsschnelligkeit? Wer kann sich aus Drucksituationen am besten lösen?“ Joachim Löw ahnt, dass er darauf möglichst schnell eine Antwort finden muss. Vielleicht auch, weil er das Gefühl hat, ein Jahr verloren zu haben.

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