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Sport: Sprintender Popstar

Hürdenläufer Xiang ist in China erstaunlich beliebt

Die Chinesen gelten in der Regel als ein Volk, das ziemlich wenig Emotionen zeigt. Ein junger Mann scheint absolut nicht in diese Sparte zu gehören. Liu Xiang – der zeigt seine Gefühle und lässt sich feiern – lautstark und langanhaltend. Beim World Athletics Final in Stuttgart gelang dem Mann aus Shanghai in 12,93 Sekunden über 110 Meter Hürden eine der Topleistungen – damit blieb der 23-Jährige nur fünf Hunderstel Sekunden über seinem eigenen Weltrekord. „Mit so einem Ergebnis habe ich wirklich nicht gerechnet“, sagte er später und zeigte seine blitzend weißen Zähne.

Allein wegen Xiang waren hunderte chinesische Fans ins Gottlieb-Daimlerstadion gekommen, die die Startkurve in ein rotes Fahnenmeer tauchten. Sie jubelten ihm zu wie einem Popstar. Liu Xiang genoss den Augenblick, hüpfte die grüne Laufbahn entlang wie ein Känguru und warf schwungvoll den bunten Blumenstrauß in die chinesische Ecke. Dann schnitt er Grimassen, die jedem Entertainer zur Ehre gereicht hätten und schrie seinen Jubel in den hellblauen Himmel über Stuttgart hinaus. Der Olympiasieger genoss das Bad in der Menge – war aber froh, gebührenden Abstand zu den Zuschauern zu haben. Denn der Mann hat in den letzten Monaten diverse Erfahrungen mit der Popularität gemacht. Und die waren nicht nur positiv. „Ich kann zu Hause nicht mehr auf die Straße gehen“, erzählt der ehemalige Hochspringer. Dass Xiang Schutz bekommt, ist gelegentlich dringend nötig. Wenn er in China irgendwo auftaucht, muss die Polizei regelmäßig die Straßen sperren.

Im Gegensatz zu vielen Topathleten, die auf Grund der langen Saison über Erschöpfungszustände und müde Beine klagen, zeigte sich Liu Xiang beim World Athletics Finale zum Saisonende topfit. Was nicht verwundert, denn er hat seit seinem Weltrekord in Lausanne (12,88) am 11. Juli dieses Jahres keinen einzigen Wettkampf außerhalb Chinas mehr bestritten. In der heutigen Zeit, in der man fast täglich mit Dopingvergehen konfrontiert wird, rufen solche Auszeiten natürlich auch Zweifel hervor.

Der junge chinesische Hürdensprinter mit dem dichten schwarzen Haar und den dunklen Augen hat jedenfalls eine einfache Erklärung für seine guten Zeiten. „Ich habe viel und konzentriert zu Hause in Shanghai trainiert“, sagt er. Eine Unterbrechung gab es allerdings. Liu Xiang wurde „befohlen“, bei den chinesischen Meisterschaften zu laufen – dort riet man ihm allerdings dringend, keine Autogramme zu schreiben. Er solle laufen und wieder verschwinden, sonst wäre bei den chinesischen Titelkämpfen das Chaos ausgebrochen.

In China soll es keinen Menschen mehr geben, der den 1,89 Meter großen, schlaksigen Liu Xiang nicht kennt. Für die Jugendlichen ist der 23 Jahre alte Hürdenläufer eine Kultfigur. Dabei soll sein ganz großer Clou noch kommen. Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 will er im eigenen Land seinen Titel verteidigen. Darauf wartet das ganze Land. Wenn das passieren sollte, muss in der Stadt, die geschätzte sechs Millionen Einwohner hat, vermutlich der emotionale Ausnahmezustand ausgerufen werden. Und das bei einem Volk, dem nachgesagt wird, dass es oft keine großen Emotionen zeigt.

Ursula Kaiser[Stuttgart]

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