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Sport: Stadien brauchen eine soziale Botschaft

DIE ZUKUNFT DES FUSSBALLS (4): Die Arenen der Moderne dürfen nicht nur Zweckbauten sein. Sie sollen auch Identitäten schaffen und Menschen verbinden

In unserer Serie versuchen wir, in die Zukunft zu schauen. Wohin steuert der Fußball? Im letzten Teil beschreibt Volkwin Marg, Architekt vieler moderner Arenen, welche Möglichkeiten es gibt, Fußballstadien an die besondere Identität eines Ortes anzupassen.

Wir Architekten sind keine freien Künstler, auch wenn sich einige gerne so darstellen. Unsere Kunst ist nicht frei, sondern gebunden. Wir können nicht, wie zum Beispiel Bildhauer, als freie Künstler nur in Verantwortung allein vor uns selbst gestalten wie wir wollen, sondern bauen in Verantwortung gegenüber Auftraggebern und Gesellschaft, was wir sollen. Und die verlangen Gebrauchstüchtigkeit, Wirtschaftlichkeit und sozialen Nutzen, von technischen, logistischen und rechtlichen Anforderungen ganz zu schweigen.

Wir tanzen also in den Ketten uns auferlegter Sachzwänge, aber unser Ehrgeiz ist es, dieses so kunstvoll und unbeschwert zu tun, dass aus Zweckbauten schöne Architektur wird, die eine soziale Botschaft vermittelt. Das gilt auch für den Bau von Stadien. Funktionell sind Stadien eigentlich nur große Versammlungsstätten für massenhaftes Publikum, das von gut überhöhten Plätzen und möglichst nah am Geschehen in der Arena überblicken und verfolgen will. Heute kommen noch besondere Komfortwünsche hinzu oder die neuen Bedürfnisse einer, nach Verbraucherklassen sortierten, Konsumgesellschaft. Die verlangt gegenüber den früheren Volksstadien die jeweilige Klassentrennung mit separaten Vorfahrten, Eingängen, Lounges, Logen, Gastronomien etc. Und die Fußballverbände als Entertainmentkonzerne fügen für ihre Selbstvermarktung vor allem mittels Werbung noch spezielle Forderungen hinzu.

Aber all diese Forderungen und Sachzwänge schließen für einen guten Architekten nicht aus, Gestaltungsspielräume herauszufinden, um nicht nur Zweckbauten, sondern Architektur zu inszenieren, die für jeden Ort die besondere Identität aufspürt und das jeweilige Bauwerk zu einer unverwechselbaren sinnlichen Botschaft werden lässt. Dies entspricht zugleich einem neuen Bedürfnis der Städte, Länder und Nationen. Sie definieren sich politisch in der Konkurrenz über eine unverwechselbar typische Architektur.

Unsere Philosophie beim Entwerfen ist die ausbalancierte Synthese aus Funktion, Konstruktion und richtig gedeuteter Identität. Das war auch unser architektonisches Ziel für unsere drei Stadien Durban, Port Elizabeth und Kapstadt für die WM 2010 in Südafrika, die eine große politische Herausforderung waren. Durban zum Beispiel verlangte ein politisches Wahrzeichen als zweitgrößte Stadt der multiethnischen „Regenbogennation“. So entwarfen wir als Stadiondach einen (Regen-)bogen für das Seiltragwerk und als die Völkerschaften verbindendes Brücken-Symbol. Dieser Bogen gabelt sich über dem Stadionfenster mit Blick auf die Stadt und erinnert von oben oder unten gesehen an das Emblem der südafrikanischen Flagge, das die heutige Verbindung der früher in der Apartheid getrennten Rassen symbolisiert.

Kapstadt wiederum beschloss zum Zeichen der seit 20 Jahren abgeschafften Apartheid das Stadion nicht in einem schwarzen Township zu bauen, damit die Schwarzen mit ihrem Lieblingssport Fußball nicht unter sich bleiben, sondern auf dem Golfplatz der Weißen unterhalb vom Tafelberg und Signalhill. Uns ist es gelungen, das Postkartenmotiv von Tafelberg und Signalhill mit unserem neuen Stadion harmonisch zu ergänzen, so dass die Weißen und Schwarzen darin eine Ikone für eine neue Zeit erkennen können.

Inzwischen planen und bauen unsere Entwurfsmannschaften aus Architekten und Ingenieuren längst die Stadien für die Europameisterschaften 2012 in Warschau und Kiew, vier weitere Stadien für die WM 2014 in Brasilien sind in Planung. Keine dieser Arenen gleicht der anderen, denn jedes Land und jeder Ort verlangt nach dem Ausdruck seiner ganz eigenen Identität.

Wohin die Entwicklung der Stadien in Zukunft tendiert, lässt sich nur vermuten. Sicherlich wird sich das gewachsene Bedürfnis nach unverwechselbarer Identifikation verstärken. Sicherlich wird man aber auch verstärkt nach sparsamen und intelligenten Konstruktionen suchen. Ganz sicher wird aber das Bedürfnis der Menschen nicht nachlassen, das Leben, seine Spiele und andere Menschen hautnah erleben zu wollen, und das nicht als Konserve auf DVD. Bei aller Technik und Anpassungsfähigkeit des Homo Sapiens steckt in uns noch immer unsere Herkunft von den Bäumen, und diese ursprüngliche Kreatürlichkeit wird unsere natürlichen Instinkte und Emotionen nicht verlassen. Überlebenswichtig bleibt freilich, dass dabei unsere mühsam gewonnene soziale Kultivierung nicht verloren geht – und das gilt übrigens auch für kultivierte Architektur.

In unserer Serie erschienen: Der Fußball und die Fans, von Dave Boyle (18. Juli), Jugendarbeit und Spielphilosophie von Albert Benaiges (22. Juli), Fußball und Wissenschaft von Bernhard Peters (26. Juli).

Volkwin Marg

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