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Alle Jahre wieder.... bejubeln Nicht-Berliner Teams im Olympiastadion den DFB-Pokal-Sieg - so wie im vergangenen Jahr der FC Bayern.

© Imago

Stadion als Seismograph: Berlin und seine (fehlenden) Titel

Das halbe Land fährt gern zum Feiern nach Berlin. Aus lokalpatriotischer Sicht aber würde es der Berliner noch schöner finden, dürfte er sich ein bisschen mehr einbringen denn nur als Klatschpappe schwingender Komparse. Titel holen im Olympiastadion nämlich meisten die anderen, sprich: die Nicht-Berliner Vereine, meint unser Autor Sven Goldmann.

Von Pep Guardiola ist bekannt, dass er der Herausforderung der euphorischen Rede eher reserviert begegnet. Wenn der Trainer des FC Bayern München mal aus sich herausgeht, definiert er das über die Wendung „super, super gut", was euphorischer klingt, als es im katalanischen Original „molt, molt bé“ gemeint ist. Am Samstag aber, nach dem 2:0 in Mainz, da hat Guardiola sich auf eine bemerkenswerte Weise  gefreut, dass es noch nichts geworden war mit dem super, super frühen Gewinn der Meisterschaft. „Jetzt haben wir es in Berlin, in der Hauptstadt in der Hand, Meister zu werden“, sprudelte er in selten erlebter Eloquenz hervor. Der Mann versteht sich nicht nur auf die Kunst des Sieges, er weiß auch um den dafür angemessenen Rahmen.

Dank seiner Feierkultur hat Berlin trotz der föderalen Struktur dieses Landes eine zentrale Beliebtheit erlangt, wie sie lange Zeit undenkbar war. Fußballstadien sind für die Befindlichkeiten des Volkes nicht die schlechtesten Seismographen. Längst hat die Parole „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ jene nicht ganz so feine Wendung abgelöst, nach der sie in und mit und auf Berlin alle das tun, was in dieser Kolumne aus ästhetischen Gründen nicht näher auszuführen ist.

Nun ist es durchaus zu begrüßen, wenn das halbe Land so gern nach Berlin zum Feiern fährt. Aus lokalpatriotischer Sicht aber würde es der Berliner noch schöner finden, dürfte er sich ein bisschen mehr einbringen denn nur als Klatschpappe schwingender Komparse. Das aber gestaltet sich schwierig. Im Allgemeinen, weil bei den Partys des Easy Jetsets die Ureinwohner zwischen Wannsee und Buch selten zugegen sind. Und im Besonderen… Nun ja. Als die Fußball-Welt 2006 beim Finale im Olympiastadion gastierte, saß Herthas Verteidiger Arne Friedrich auf der Tribüne, weil die deutsche Nationalmannschaft von den Italienern im Halbfinale aus der WM gekickt worden war. Das DFB-Pokalfinale erleben die Berliner Klubs traditionell als gute, weil zurückhaltende Gastgeber. Und wenn im kommenden Frühling die Champions League ihren Champion in Westend kürt, wird Berlin vor dem Fernseher sitzen, weil für Deutschland kontingentierte Tickets wenn überhaupt nach München gehen (und wahrscheinlich auch nicht nach Dortmund oder Gelsenkirchen).

Es ist nicht ganz einfach, aus diesem Dilemma einen Ausweg finden. Vielleicht funktioniert ein dialektischer Ansatz, er könnte ungefähr so lauten: Die nachhaltigsten Siege garantiert die in Niederlagen erlittene Demut. Wer mag sich schon vorstellen, dass diese Stadt nach einer preußischen Variante einer Niederlage im Finale dahoam in wochenlange Agonie verfallen würde? Oder bis heute unter dem Titel eines Meister der Herzen leiden könnte? Irgendwie beruhigend, dass Berlin so schnell nicht in diese Verlegenheit kommen wird.

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