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Stallorder: Ferrari: Gemeinsam gegeneinander

Nach dem fragwürdigen Überholmanöver der Ferraris am Hockenheimring diskutiert die Formel 1 über die verbotene Stallorder.

Von Christian Hönicke

Der Große Preis von Italien war in vollem Gange, als Peter Collins aus seinem Ferrari stieg. Er hatte die traurigen Augen seines Stallgefährten Juan Manuel Fangio gesehen. Der Argentinier war im WM-Finale mit einem Lenkungsbruch gestrandet, der Formel-1-Titel schien verloren, doch dann bot ihm Collins seinen Wagen an. Fangio war es ein bisschen peinlich, weil Collins selbst noch Titelchancen hatte, aber dann stieg er ein. 54 Jahre später brauchte der Ferrari-Pilot Felipe Massa ein paar kleine Hinweise, um seinem Teamkollegen zu helfen.

Massa hatte nach einigen eindeutig zweideutigen Funksprüchen seines Renningenieurs Platz gemacht und dem zweiten Ferrari-Fahrer Fernando Alonso den Sieg beim Großen Preis von Deutschland in Hockenheim überlassen. Der kontroverse Platztausch brachte Ferrari wegen einer verbotenen Stallorder zunächst einmal eine Strafe von 100 000 Dollar ein und löste gleichzeitig eine Debatte über den Sinn und Unsinn des Verbots der Stallorder aus.

„Ich finde, dass die Fahrer in der Formel 1 gegeneinander kämpfen sollten“, sagte Red Bulls Teamchef Christian Horner. „Es ist einfach schade für die Fans, dass sie das Duell des heute starken Massa gegen Fernando nicht erleben durften.“ Das Rennen sei, so Horner, manipuliert worden.

Sein Angestellter vertrat eine andere Meinung. „Mit Sicherheit ist mein Ratschlag nicht, dass es besser wäre, einen Unfall zu bauen“, sagte Sebastian Vettel, der Dritter geworden war. „Da muss man auch jede Menge Fragen beantworten.“

Vettel spricht aus leidvoller Erfahrung. Beim Rennen in der Türkei vergab sein Rennstall einen Doppelsieg, weil Vettel und Mark Webber sich gegenseitig von der Strecke rammten. Als bei McLaren durch die Attacke von Jenson Button auf Lewis Hamilton in Istanbul das gleiche Szenario drohte, gab das Team einfach die Anweisung zum „Spritsparen“ aus - also übersetzt zum Positionenhalten. Mit solchen Codewörtern und Schauspieleinlagen müssen sich die Rennställe behelfen, um die richtige Sortierung ihrer Fahrer vor der Öffentlichkeit zu verschleiern. Das zeigt, in welcher Zwickmühle sich die Teamchefs befinden.

Denn Motorsport ist Teamsport, schon immer gewesen. Die Stallgefährten fahren miteinander gegeneinander, sie sind die größten Konkurrenten, aber auch ihrem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet. „Wir“ ist das meistgebrauchte Wort im Fahrerlager.

„Wir versuchen immer, den Zuschauern eine gute Show zu bieten“, sagte Alonso nach seinem kontrollierten Sieg. „Aber wir arbeiten für Unternehmen.“ Vettel sprang ihm bei: „Und von denen bekommen wir unsere Schecks.“

Diese Unternehmen stecken dreistellige Millionenbeträge in den Kampf um den WM-Titel. „Das hier ist keine Kaffeefahrt“, sagte Michael Schumacher. Das Team arbeite das ganze Jahr über extrem hart, da komme es auf jeden Punkt an. „Wenn man eine Stallorder im letzten Rennen durchführt, ist jeder damit einverstanden. Aber man kann das auch zu einem früheren Zeitpunkt festlegen.“ Während die Titelkonkurrenten McLaren und Red Bull in diesem Jahr noch keinen Nummer-eins-Fahrer benennen können, weil ihre Piloten zu eng beieinanderliegen, ist die Situation im Lager der Roten längst klar. Massa hat keine realistische WM-Chance mehr, während Alonso noch in Schlagdistanz liegt. Ein Sieg des Brasilianers wäre nichts anderes gewesen, als wenn im Radsport ein Helfer dem Favoriten auf den Gesamtsieg Zeitgutschriften klauen würde. Ferraris Vergehen am Sonntag war lediglich die Plumpheit des Schachzugs. Als Massa Alonso mitten auf der Geraden einfach vorbeiließ, fühlten sich nicht wenige an die Helferdienste seines Landsmanns Rubens Barrichello erinnert.

Barrichello hatte seinen Stallgefährten Schumacher bei den Rennen in Österreich 2001 und 2002 auf Geheiß seines damaligen Teamchefs Jean Todt quasi auf der Ziellinie passieren lassen müssen. Das löste eine derartige Empörung aus, dass der Automobil-Weltverband Fia die Stallorder eiligst verbot.

Auch in der jetzigen Affäre steht Todt im Zentrum des Geschehens. Er ist inzwischen Fia-Präsident und Vorsitzender des Fia-Motorsport-Weltrats. Das Gremium soll nun in Paris darüber befinden, wie es weitergeht. Außerdem soll es sich noch einmal generell mit der Frage beschäftigen, ob das Stallorder-Verbot tatsächlich Sinn macht. Mit Spannung erwartet die Motorsportwelt, ob und wie Todt das Vergehen seines früheren Arbeitgebers sanktionieren lassen wird. Ein weiteres pikantes Familiendetail dabei: Felipe Massa wird von Todts Sohn Nicolas gemanagt.

Juan Manuel Fangio wurde 1956 übrigens noch Weltmeister im geliehenen Ferrari. Von dem großzügigen Peter Collins spricht kaum noch jemand.

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