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Kurvenstar. 18 Jahre nach dem bis dahin letzten deutschen Motorrad-Pilot Dirk Raudies fuhr der 21 Jahre alte Stefan Bradl in dieser Saison wieder zu einem WM-Titel. Foto: dpa

© dpa

Sport: „Stefan hat Höhen und Tiefen durchlebt“

Der deutsche Motorrad-Weltmeister Dirk Raudies über seinen Nachfolger Stefan Bradl, dessen Saison und die Zukunft des Rennsports

Herr Raudies, nach 18 Jahren hat Stefan Bradl Sie als bisher letzten deutschen Motorrad-Weltmeister abgelöst. Sind Sie darüber traurig oder erleichtert?

Ich gönne natürlich dem Stefan den Titel von Herzen. Aber ob ich erleichtert bin, dass ich den Status des letzten deutschen Weltmeisters los bin? Überhaupt nicht. Das war schon was, das hatte eine gewisse Bedeutung. Man hat immer wieder über meine Person geredet – und das wird jetzt natürlich weg sein. Deshalb ist da schon ein bisschen Wehmut dabei.

Haben Sie den auch für Sie historischen Moment am Fernseher speziell zelebriert?

Nein, ich lebe nicht in der Vergangenheit. Ich hab es natürlich im Fernsehen verfolgt. Aber ansonsten, ob ich mal Weltmeister war oder nicht… Meine ganze Pokalsammlung, das ist alles weg. Ich hebe da nichts auf oder erinnere mich an alte Zeiten. Das war eine schöne Zeit, aber das ist vorbei. Ich lebe in der Gegenwart.

Ist Bradl mit vier Siegen gegenüber sieben seines spanischen Rivalen Marc Marquez ein würdiger Weltmeister?

Auf jeden Fall. Ich habe damals neun Rennen bei meinem Titel gewonnen, bei ihm sind’s vier, ist auch gut. Manche werden sogar ohne Sieg Weltmeister, aber das hat dann einen Geschmack. Marquez galt vor der Saison als Titelfavorit. Umso höher würde ich Stefans Titel einschätzen, weil er einen extrem starken Gegner gehabt hat. Stefan hat einfach weniger Fehler gemacht als Marquez und sich auch mal mit zweiten, dritten, fünften, sechsten Plätzen zufrieden gegeben.

Sie kennen Bradl seit Kindesbeinen. Seine Konstanz und die wenigen Fehler sind neu, oder?

Na gut, Fehler hat er auch dieses Jahr wieder gemacht. In Assen hat er sein Rennen weggeschmissen, er hat sein Riesenpunktepolster zu schnell verbraucht. Es war auch schade, dass er das Finale in Valencia mit einem Ausfall beendet hat. Aber Stürze passieren, wenn man sich am Limit bewegt. Das passiert allen.

Was sind seine Stärken?

Die größte Stärke ist sein Gefühl fürs Motorrad. Als ich ihn das erste Mal bei einer Talentsichtung sah, ist er schon gefahren wie ein Profi. Auch die krasse Umstellung von der 125er auf die schwere 600er in der Moto2 hat er perfekt geschafft. Er fährt mit Köpfchen und kann sich die Saison einteilen. Er kann den Mechanikern vermitteln, was er braucht. Und er kommt mit Rückschlägen zurecht und mit körperlichen und seelischen Schmerzen, denn auch das gehört leider dazu. Das sind Punkte, die man für den Titel braucht.

Hat er noch Schwächen?

Den letzten Sturz in Valencia hätte man vermeiden können. Das ist vielleicht eine Schwäche. Es ist leicht gesagt, aber über das Limit sollte man im Rennen nicht gehen.

Sie haben die Rückschläge erwähnt. 2007 erklärte Bradl als 17-Jähriger zwischenzeitlich sogar seinen Rücktritt, weil ihm Stress und Druck zu groß wurden.

Der Stefan hat mehrfach Höhen und Tiefen durchlebt. Schon zu seiner Anfangszeit. Ich kann mich an den Rookies Cup in Oschersleben erinnern, da starb am Samstag ein Bekannter der Bradls bei einem Trainingsunfall. Der Stefan hat sich entschieden, am Sonntag nicht zu fahren. Auch das muss man können. Er hat eigene Verletzungen wegstecken müssen, obwohl er teils unschuldig war wie beim Rennen in Malaysia, wo man ihm beim Startversuch die Beine kaputtgefahren hat. Oder dass er 2007 im Prinzip schon auf der Straße stand. Der Stefan hat seine schwierigen Phasen gehabt, und es ist so im Leben: Mit Negativerfahrungen lernt man schneller.

Der Motorradsport befindet sich in Deutschland in der Senke, viele Menschen können die Rennen nicht einmal im Fernsehen verfolgen. Woran liegt das?

Am Sport liegt es jedenfalls nicht, der ist klasse. Wenn man sich die Formel 1 anguckt, gibt es bei den Motorrädern viel mehr Dynamik. Aber das Interesse steigt und sinkt mit deutschen Erfolgen. Nach meinem WM-Titel 1993 ging es bei den Deutschen richtig los mit der Formel 1. Automatisch lag dann der Motorradsport ein bisschen im Schatten. Auch die Fernsehpräsenz ist ein Handicap. Sport 1 macht eine gute Übertragung und geht extrem auf die deutschen Fahrer ein, aber die Verbreitung ist nicht so groß. Und dann wird lieber ein Fußballstammtisch gezeigt, statt das Rennen live zu senden.

Wird Bradls Titelgewinn daran etwas ändern?

Ich hoffe. Zuletzt wurde auch schon wesentlich mehr berichtet, im Vergleich zu meiner Zeit ist es aber immer noch weniger. Ich hoffe, dass nächste Saison mit einem deutschen Weltmeister zumindest die Rennen alle live gezeigt werden.

Nützt Bradl der Titel etwas dabei, doch noch in die MotoGP-Klasse aufsteigen zu können?

Er wollte ja mit seinem Kiefer-Team in die MotoGP aufsteigen, und das hat nicht geklappt. Die MotoGP ist vom Kostenfaktor her extrem viel höher, man hat das Budget nicht auf die Beine gebracht. Stefan ist jetzt ein Star, seine Leistungen werden im Fahrerlager anerkannt. Aber auch als Weltmeister gehen nicht alle Türen automatisch auf. Es kann schnell passieren, dass man sogar ohne Motorrad dasteht. Ich habe das an meinem Ausstieg gesehen: Wenn man ein Jahr keine Leistung bringt, kann man schon weg vom Fenster sein. Das geht extrem schnell.

Was würden Sie nun an seiner Stelle tun: Mit aller Macht den Aufstieg in die MotoGP forcieren oder noch ein Jahr Moto2 dranhängen?

Wenn er eine seriöse Chance auf die MotoGP hat: wahrnehmen. In der Moto2 kann er nichts mehr erreichen, er kann es nicht mehr besser machen. Aber so wie ich es mitgekriegt habe, wird ihm die Entscheidung ja sowieso abgenommen.

Wenn er in der Moto2 nur noch verlieren kann, sollte er dann nicht lieber ein Jahr aussetzen?

Auf gar keinen Fall. Aussetzen heißt: weg vom Fenster. Aber er ist ja auch erst 21, er kann locker noch neun, zehn Jahre fahren. Er hat noch jede Menge Zeit.

Der Motorradstar Valentino Rossi hat mit Testfahrten für Ferrari Werbung für sich gemacht. Bradl kennt den Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel aus gemeinsamen Talentzeiten. Sollte auch er über diesen Kontakt versuchen, mehr Aufmerksamkeit und Sponsoren zu gewinnen?

Auf jeden Fall. Den Kontakt würde ich pflegen. Ich würde viel unterwegs sein, mich nicht rar machen, präsent sein, egal wo. Wenn ich zu Hause hocken bleibe, passiert gar nichts.

– Das Gespräch führte Christian Hönicke.

Dirk Raudies, 47, wurde 1993 in der 125-ccm-Klasse

Motorradweltmeister. Seitdem kommentiert der Biberacher

unter anderem

Motorradrennen

im Fernsehen.

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