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STEIL Pass: Der Moment ist nur ein Moment

Stefan Hermanns über den Hang zur Hysterie im deutschen Fußball

Fußballreportern wird gelegentlich vorgehalten, dass sie im Grunde nur Fans seien, die ihre Eintrittskarten nicht bezahlen müssen. Der Vorwurf ist nicht ganz von der Hand zu weisen, für viele Kollegen war die Liebe zu einem Verein in der Tat der Urgrund für ihre Beschäftigung mit dem Fußball. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Fußballberichterstattung ausschließlich von Gefälligkeitsschreibern betrieben wird, die ihren Klub nur mit samtenen Handschuhen anfassen. Fußballfans neigen zu Extremen, im Guten, aber auch im Schlechten. Sie übertreiben es mit der Euphorie genauso wie mit der Kritik. Ob das die Sache besser macht, ist eine andere Frage.

Im deutschen Fußball ist nämlich ein allgemeiner Hang zur Hysterie festzustellen, der zum Teil bizarre Züge annimmt und sich unter anderem in der Neigung äußert, den Moment zu generalisieren. Das erklärt auch, warum es noch nie so viele Bayern-Jäger gab wie in dieser Saison, in der die Bayern bei nüchterner Betrachtung eigentlich konkurrenzlos sein sollten. An jedem Wochenende darf sich ein anderer Verein, der durch Glück, Zufall oder die Laune des Spielplans ans obere Ende der Tabelle getragen wurde, als erster Verfolger der Münchner besingen lassen. Erst Bielefeld und Frankfurt, dann Leverkusen und ganz aktuell Karlsruhe. Der KSC wurde von der Sportschau bereits als bester Aufsteiger seit dem 1. FC Kaiserslautern vor zehn Jahren gefeiert. Bei aller Wertschätzung für die Mannschaft – wem nutzt eine solche Information nach gerade neun Spieltagen?

Dem deutschen Fußball fehlt die Mitte, doch die Fixierung auf den Moment ist keine exklusive Manie der Medien. Herthas Manager Dieter Hoeneß nahm einen zähen 2:1-Sieg gegen den mutmaßlichen Absteiger Duisburg zum Anlass, einen grundlegenden Mentalitätswandel seiner Mannschaft zu proklamieren – mit neuer Mentalität holte Hertha dann gegen die anderen mutmaßlichen Absteiger Cottbus und Rostock zu Hause einen Punkt. Und Ernst Middendorp, der Trainer von Arminia Bielefeld, tönte in einem Interview, der Verein dürfe sich nicht immer mit dem Nichtabstieg zufrieden geben, er müsse auch mal den Uefa-Cup anpeilen. Eine super Idee. Seit diesem Interview hat Bielefeld alle Spiele verloren.

Stefan Hermanns schreibt an dieser Stelle im Wechsel mit „11 Freunde“-Chefredakteur Philipp Köster.

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