zum Hauptinhalt

Sport: Sumpfziege wartet auf Wind

Auf der Unterhavel segeln 34 Boote um die Internationale Deutsche Meisterschaft der Schwertzugvögel.

Berlin - Rund um das Seglerhaus an der Scharfen Lanke in Spandau herrscht am dritten Regattatag reges Treiben. Teilnehmer machen ihre Boote zurecht, kontrollieren noch einmal Seile und Segel. Pünktlich um neun Uhr werden schließlich 18 Schwertzugvögel an zwei Schleppern befestigt und aus der Bucht in Richtung Schwanenwerder gezogen. Die anderen Teilnehmer sind bereits auf dem Wasser oder segeln hinterher. Die Segelboote tragen verheißungsvolle Namen wie „Ein Fall für zwei“, „Simply the Best“ oder auch einfach nur „Sumpfziege“.

Wenn Heinz-Werner Aping Auto fährt, sind die Fenster meistens ganz hinuntergelassen. „Ich habe es gerne windig“, erklärt er – „fragen Sie meine Tochter!“ Als er das sagt, lacht er verschmitzt, denn er weiß, dass man ihm das sofort glaubt. Heinz-Werner Aping ist Segler. Die diesjährige Internationale Deutsche Meisterschaft der Schwertzugvogelklasse auf der Unterhavel hat er mitorganisiert. Mit Wind kennt sich der Bundeskriminalbeamte, Jahrgang 1953, also bestens aus. Und mit Booten sowieso.

„Der Schwertzugvogel ist eine 1960 entwickelte Wanderjolle, preiswert in der Herstellung und mit seinen Maßen – 5,80 Meter lang und 1,88 Meter breit – auch für ungeübte Segler ein sicheres Boot“, referiert Aping aus dem Stegreif. Mittlerweile wird der Zugvogel nur noch selten als Wanderjolle benutzt, sondern überwiegend als Regattabott – aus Komfortgründen, wie Aping weiß. „Früher ist man mit dem VW-Bus in die Ferien gefahren. Heute nimmt man das Wohnmobil.“ An der diesjährigen Meisterschaft auf der Berliner Unterhavel nehmen insgesamt 34 Boote teil, darunter eine Jolle aus Großbritannien und den USA. Gastgeber ist der 1886 von Studenten gegründete „Akademische Segler-Verein“ (ASV), dem Heinz-Werner Aping seit 1979 angehört. „Ich habe immer von der großen See geträumt. Irgendwann zeigte mir ein Freund die ,Prosit’, das Ausbildungsschiff des Vereins, und ich wusste, dass ich segeln will.“ Aping, begeisterter Schwimmer und Ruderer, machte den Segelschein. Seitdem besegelt der Bundeskriminalbeamte die Meere. In besonderer Erinnerung ist ihm bis heute eine Weltumsegelung Anfang der achtziger Jahre. In vier Etappen segelte er mit dem einzigen Amateurteam der Regatta auf dem damaligen Flaggschiff des Vereins, der „Walross 3“, von Portsmouth über Auckland nach Argentinien und zurück nach England.

Heute fährt er auf einem motorisierten Begleitboot mit und befestigt die gelben großen Tonnen, welche die Strecke begrenzen. Die Regatta hat er zusammen mit Stefan Abel, dem lizensierten Wettfahrtleiter, vorbereitet. Abel, Angestellter bei den Berliner Wasserbetrieben, kam über das Schwimmen und Surfen zum Segeln. Wie alle Verantwortlichen hat sich auch der Segler des benachbarten SC Gothia für die Regatta extra Urlaub genommen.

Gegen 10 Uhr schippern Startboot, Begleitboote und der „Schlepp“ bei „Kaiserwetter“ in Richtung Süden, vorbei an der Villa Lemm in Gatow, die nach 1945 Sitz des britischen Stadtkommandanten war. Auf der Höhe des Grunewaldturms gibt es – nach alter Segler-Tradition – einen kleinen Schluck Sherry. Nach einer halben Stunde Fahrtzeit geht das Startboot schließlich vor Schwanenwerder vor Anker. Die teilnehmenden Jollen sortieren sich. Die erste Wettfahrt des Tages – das „Up and Down“ entlang von vier Wegmarken – ist für 11 Uhr angesetzt. Nacheinander fahren die Teilnehmer in ihren Zugvögeln am Startboot vorbei und melden sich bereit zum Start. „Es soll den ganzen Tag Westwind geben. Das sieht nach einem guten Regattatag aus“, gibt sich Abel zuversichtlich und rückt seine Sonnenbrille zurecht.

Doch nach der ersten Wettfahrt zieht plötzlich eine Regenfront auf. Spandau verschwindet im Grau. „Mist, ich hab’ meine Balkontür noch offen!“, ruft Abel und sucht Funkkontakt zu den anderen Begleitbooten. Er lässt die rot-gelbe Fahne hissen, das Signal für die Schwimmwestenpflicht. Nach dem Regen dann die Flaute. Abel hätte nie „gedacht, dass wir hier heute so verpennen“. Die zweite Wettfahrt des Tages geht mit einem schleichenden Wettrennen zu Ende. Auch auf dem Wannsee geht kein Wind. Heißt: Regattapause. Ein Begleitboot kommt vorbei und verteilt Käsebrote. An Bord geht ein Beutel Lakritze herum. Auch Heinz-Werner Aping nimmt mit „Harry“ Kurs auf das Startboot, im Gepäck die Tonnen, um die Zieleinfahrt zu markieren. Mit seinen Händen locker am Steuer sieht Aping trotz des Wetters zufrieden aus. Nur die Zukunft des ASV macht ihm ein bisschen Sorgen. „Das hat mit den neuen Studienabschlüssen zu tun. Studierende haben weniger Zeit als früher. Segeln ist – wie man sieht – ein zeitintensiver Sport.“ Seine Tochter Mona packt auf der Regatta mit an. Vor ein paar Tagen ist die 19-Jährige von einem Mittelmeerturn auf der „Walross 4“ zurückgekommen. Die meiste Zeit musste zwischen Korsika und Mallorca der Motor aushelfen. Nächstes Jahr macht Mona Abitur. Ob sie dann in den ASV eintritt, weiß sie noch nicht. Ein Boot hat sie jedenfalls schon. Die Flaute nimmt sie gelassen. Flaute ist eben Flaute. Und der nächste Wind kommt bestimmt. Johanna Behre

Johanna Behre

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false