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Sport: Surren, pfeifen, Bananen essen

FANTRAINING FÜR DIE WM (Folge 1) Wie entspannt man zwischen den Spielen, Gentleman?

Unsere Autorin hat keine Ahnung vom Fußball – bis jetzt. Für die WM lernt sie nun in einer Serie Eigenschaften, die ein Fan können muss. In unserer ersten Folge fragt sie Reggae-Musiker Gentleman: Wie entspannt man zwischen den vielen Spielen?

Zuerst ein Geständnis: Vor drei Jahren habe ich das erste Mal in einem Stadion gesessen. Bei der WM 2006 habe ich die Spielstände nebenbei erfahren. In der Stadt, durchs Fenster. Liveradio, bei jedem Tor ein Aufschrei. Dieses Mal soll alles anders werden. Ich werde Fan.

Jetzt will ich mitmachen, zum Public Viewing gehen. Doch nach einigen Tagen unter Menschen sehne ich immer das Alleinsein herbei. Gemeinsame Urlaube, Festivals, Familien-Weihnachten, da denke ich immer: „Schön ist’s. Aber jetzt weg hier!“ Wie soll das erst werden, wenn ich als richtiger Fan lebe?

Menschliche und sportliche Dauerberieselung brauchen Ausgleich. Ich muss lernen: Wie erholt man sich im fröhlichen Chaos einer WM? Ich treffe Tillmann Otto, bekannt unter dem Namen Gentleman. Er ist der erste deutsche Reggaemann. Reggae-Musiker verstehen sich aufs Entspannen, ihre Musik klingt zumindest so. Und wer andauernd auf Tour ist, muss sich mit mehr Menschen rumschlagen, als ihm manchmal lieb ist.

Ein Backstageraum vor dem Konzert. Gentleman sitzt da mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand. Ich habe ihm Sticker mitgebracht (die falschen: „Das ist Bundesliga! Jetzt haben wir Weltmeisterschaft! Die haben dich komplett verarscht an der Tanke!“). Und eine Fantröte (die richtige). Er trötet. Singt mir Fanlieder vor. Nervosität? Nicht zu spüren. Die komme erst einige Minuten vor dem Auftritt, sagt er. Wo nimmt er diese Ruhe her? Zum Entspannen geht er in den Wald, sagt er. Laufen. Und er atmet. Er atmet?

„Ich find, das Atmen wird immer so unterschätzt“, erzählt er. Er zieht surrend Luft ein, pfeift sie wieder aus, wirkt ein bisschen weggetreten. Hat ihn mal jemand gefragt, was er da tut, wenn er so surrt und pfeift? Gentleman antwortet: „Ja, klar, ich hab dann gesagt: Guck, ich atme. Ein und aus, ein und aus.“

Lässig.

Ach ja, und noch was. „Ich achte mehr auf meine Ernährung“, sagt er. Seine Empfehlung zum Frühstück: Müsli mit Banane. Das helfe ihm auch beim Fußball.

Seine Fan-Historie: Erster Stadionbesuch mit fünf Jahren, Fortuna gegen 1. FC Köln, seitdem Fan des FC aus seiner Heimatstadt. Schönstes gesehenes Tor: WM 1982, Fallrückzieher von Klaus Fischer. Im Tourbus fährt ein Ball mit. Zuletzt ausgepackt in Warschau. Kicken nach dem Aufbauen. „BRAATZ!“ ruft er, wenn’s ausartet. Er beschreibt sich als Knipser, Mann ohne Kondition, aber dafür mit einem Hattrick im letzten Spiel. Und: Sein Bruder wurde von Christoph Daum in der D-Jugend vom 1. FC Köln trainiert.

Pass auf, sag ich zu Gentleman, jetzt zeig ich mal, wie ich mich erhole: den Krieger. Und den Hund. Die besten Yogaübungen, die ich kenne. Er macht mit: Wir strecken den Po in die Höhe, Hände und Füße am Boden, der Körper formt ein Dreieck, und ich sag „Du musst den Rücken mehr strecken, die Fersen runter, das muss ein bisschen weh tun!“ – „Uh!“, stöhnt er, „aber das soll doch entspannen, warum muss das denn wehtun?“ So sind sie, die Reggae-Locker-Flockig-Leute, direktes Mühen ist nicht so ihr Ding. Wir probieren dann noch mal seine Methode: atmen. Dafür plumpsen wir aufs Sofa. Quetschen den Bauch ein und machen den Rücken krumm.

Gibt es auch Stress auf Jamaika? Da hat Gentleman seinen Zweitwohnsitz. „Oh ja!“, sagt er, „Stress ist in der Stadt.“ In Kingston gebe es viel Berufsverkehr, hohe Luftfeuchtigkeit, es sei heiß, oft windstill, dazu noch Lärm, Hupen, Polizeisirenen. Also fast wie auf der Fanmeile. Und was tun die Leute dagegen – außer rauchen? „Alle flüchten immer aus der Stadt, fahren in die Berge, setzen sich irgendwo hin, gucken auf die Stadt runter, chillen einfach.“ Klingt gut. Ich trainiere weiter für die WM, dann fahre ich in die Berge. Und gucke auf Kingston. Oder Oberammergau.

Morgen: Singen üben mit Lance Ryan, Heldentenor.

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