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Sport: Swinging Portugal

Ein einziges Tor gegen Spanien hat ein ganzes Land in einen Taumel versetzt

Luis Figo verabschiedete sich mit einer großen Geste. Als er eine Viertelstunde vor Schluss das Feld verließ, reichte er die Kapitänsbinde an Nuno Gomes weiter. Der Stürmer von Benfica Lissabon, Kapitän Nummer vier in der portugiesischen Nationalmannschaft, hatte anfangs Mühe mit seiner neuen Bestimmung. Um die Binde ordnungsgemäß an seinem Arm zu befestigen, musste er Schiedsrichter Anders Frisk um Hilfe bitten. Danach aber trug er sie mit der nötigen Würde – und vor allem völlig zu Recht. Nuno Gomes war der Mann, der Portugal gegen Spanien ins Viertelfinale schoss.

Zur Halbzeit hatte Portugals brasilianischer Nationaltrainer Felipe Scolari den Stürmer aufs Feld geschickt. Knapp zwölf Minuten später erzielte Nuno Gomes mit einem Weitschuss das Tor zum 1:0-Endstand. „Ich wollte mehr Bewegung in die Offensive bringen“, sagte Scolari über den Wechsel im Angriff. Am Ende hatte Nuno Gomes nicht nur die Offensive belebt, sondern ein ganzes Land zum Tanzen gebracht.

„Portugal explodiert vor Freude“, schrieb der „Correio da manha“ am Tag danach. Die Zeitung „A Bola“ verkündete auf der Titelseite: „Eine Mannschaft. Ein Land. Ein Sieg.“. Und „Record“ sagte einfach nur „Obrigado“ – danke. Ganz Portugal schien nach dem Abpfiff dem Estadio Jose Alvalade in Lissabon zuzustreben. Vor den Mautstellen am Rande der Stadt stauten sich die Autos kilometerweit. Jubelnd und ohne Pause hupend fuhren die Anhänger am Stadion vorbei, als hätte ihre Mannschaft gerade die Europameisterschaft gewonnen. Dabei hatte sie streng genommen nur den größten anzunehmenden Unfall abgewendet. Viele Beobachter wollten sich lieber nicht ausmalen, was mit der ein wenig aufgesetzt wirkenden Fußballbegeisterung des portugiesischen Volkes geschehen wäre, wenn der EM-Gastgeber schon in der Vorrunde ausgeschieden wäre.

Solange die Mannschaft im Rennen bleibt, sind die Fans ein wichtiger sportlicher Faktor. Vor allem Trainer Scolari umgarnt das Volk, weil es ihn in seinem Kleinkrieg mit den Medien unangreifbar macht. Neben dem Mannschaftsgeist bezeichnete der Brasilianer „den Geist des portugiesischen Volkes“ als wichtigsten Faktor für den Sieg gegen die Spanier. Der Trainer bilanzierte: „Es war ein Sieg für all die wundervollen Menschen, die der Mannschaft Vertrauen gegeben haben. Sie haben niemals aufgehört, an uns zu glauben.“ Als der Mannschaftsbus am Nachmittag von der Academia Sporting in Alcochete zum Stadion gefahren war, standen die Menschen an der Strecke und winkten. „Jeder war auf der Straße“, sagte Scolari. Die Fahrt des Busses wurde aus einem Hubschrauber heraus gefilmt und live im Fernsehen gezeigt.

Mit seinem Hang zum Pathos passt Felipe Scolari genau in die erwartungsfrohe Stimmung des Landes. Das Spiel gegen Spanien hatte er vorher zum Krieg erklärt, bei dem viel Blut fließen werde. Jemand wie Scolari würde wohl auch sagen, dass die Spanier auf dem Feld der Ehre gefallen seien. Wie so oft bei großen Turnieren. „Die Mannschaft hat als Mannschaft gut gespielt“, sagte Spaniens Trainer Inaki Saez. Am Ende fehlte ein Tor. Es ist, als ob ein Fluch über dem Nationalteam läge. Das Scheitern ist vielen Spaniern unerklärlich. Saez wurde nach dem Spiel gefragt, ob er im Amt bleiben werde. „Das ist nicht der Zeitpunkt, darüber zu sprechen“, lautete seine Antwort. Doch warum sollte es ihm besser ergehen als all den meisten seiner Vorgänger?

Obwohl Felipe Scolari zu den portugiesischen Journalisten ein schwieriges Verhältnis pflegt, bleiben ihm solche Fragen erst einmal erspart. Für die Öffentlichkeit gibt er den Sturkopf, der sich in seinen Entscheidungen durch niemanden beeinträchtigen lässt. Was die Journalisten schrieben, sei komplett absurd: „Sie wissen nichts über Fußball, und sie wissen nichts über Journalismus.“ Hinter dieser Fassade aber hat Scolari die Mannschaft immer mehr den Erwartungen der Öffentlichkeit angepasst. Er hat die angeblich goldene, in Wirklichkeit aber erfolglose Generation der Älteren schleichend entmachtet und die jungen Spieler in wichtige Positionen gebracht. Fernando Couto, im ersten Gruppenspiel noch Kapitän, wurde gegen Spanien in der 85. Minute eingewechselt.

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