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Alles verjodelt. Franz Beckenbauer (u.) applaudiert Willi Rehm, der sich stimmungsvoll für München eingesetzt hatte. Foto: dpa

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Sport: Sympathisch verloren

München begeistert mit einer emotionalen Präsentation beim IOC, kann aber den Favoriten aus Südkorea nicht mehr abfangen. Olympia entscheidet sich für die neuen Märkte

Als der Tölzer Knabenchor um kurz nach 17 Uhr in den Schatten der Bühne auf dem Marienplatz tritt, gibt der Moderator den 25 000 Menschen auf der Fanmeile in der Münchner Innenstadt das weitere Vorhaben bekannt. „Wenn wir die Spiele bekommen“, sagt der unerträglich gut gelaunte Rundfunkmann, „dann singt der Knabenchor ,Freude schöner Götterfunken’, die Luftballons fliegen in die Höhe und keiner geht nach Hause.“ Es dauert noch etwas, dann stimmt der Tölzer Knabenchor ein unbekanntes Lied an, der Refrain lautet: „Auf die Plätze, fertig, los“. Innerhalb von wenigen Minuten löst sich die in der Spätnachmittagshitze von 30 Grad schwitzende Menge auf.

„Ah“, hatten die Menschen auf dem Marienplatz enttäuscht gerufen, als der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, um 17.18 Uhr in Durban einen Umschlag öffnete und sagte: „Das Internationale Olympische Komitee hat die Ehre bekannt zu geben, dass die 23. Olympischen Winterspiele 2018 stattfinden in der Stadt – Pyeongchang.“ Auf dem Marienplatz erntete diese Entscheidung ein paar Pfiffe, ein paar Helfer weinten. Auch Katarina Witt kämpfte mit den Tränen (siehe Artikel links).

Das Abstimmungsergebnis der IOC-Vollversammlung in Durban deutet jedenfalls darauf hin, dass die Entscheidung schon lange gefallen war. 63 Stimmen erhielten die Südkoreaner bereits im ersten Wahlgang, München kam nur auf 25, Annecy, Frankreich, landete mit 7 Stimmen auf dem letzten Platz. München, das viele Beobachter fast gleichauf mit Pyeongchang gewähnt hatten, war in Wirklichkeit chancenlos gewesen. „Ich bin schon noch richtig enttäuscht, weil das in dieser Dimension nicht zu erwarten war“, sagte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Er vermutete wie viele andere einen großen Mitleidsbonus für die Südkoreaner. „Sie haben in der Präsentation immer wieder darauf hingewiesen, dass sie seit zehn Jahren auf Olympische Spiele warten.“

Doch die 95 stimmberechtigten IOC-Mitglieder haben auch eine Grundsatzentscheidung getroffen: für die neuen Märkte. „Neue Horizonte“ lautet das Motto der Südkoreaner. Das preiswertere Münchner Konzept der nachhaltigen Spiele bleibt vorerst eine Papiergeburt, stattdessen werden die 6,7 Milliarden Euro teuren Spiele in sieben Jahren unter anderem in einem Reißbrettort namens Alpensia ausgetragen. Ob die Münchner in vier Jahren noch einmal antreten, wollte keiner sagen. „Das entscheiden wir mit Sicherheit nicht heute“, sagte Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Immerhin hat sich die Münchner Bewerbungsgesellschaft offenbar die Internetadresse „muenchen2022.org“ gesichert.

Auch über die Alternative dürfte bald diskutiert werden: eine Bewerbung mit Berlin um die Sommerspiele. Berlins Senatssprecher Richard Meng sagte: „Im Moment sind wir nur mit Bedauern bei den Münchnern.“ Es könnte jedoch bald eine Debatte entstehen.

Während in München auf dem Marienplatz die Sonne auf die Fernsehleinwand schien, stand Thomas Bach in der Kongresshalle in Durban und eröffnete eine hochklassige, 45-minütige Münchner Präsentation. Auf Spanisch sagte er: „Es ist Zeit, unsere Fundamente zu stärken, die Bewerbung Münchens ist eine auf Sport gegründete Bewerbung.“ Bach betonte, dass sich Deutschland nach drei vergeblichen Anläufen (Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, Leipzig 2012) zum vierten Mal in den letzten Jahren um die Spiele bewerbe. Damit versuchte er, das Argument Pyeongchangs zu kontern, sich nun zweimal vergeblich um die Spiele bemüht zu haben. Überzeugt hat er die IOC-Mitglieder damit offenbar nicht. Auch der Jodler Willy Rehm aus Garmisch-Partenkirchen konnte die Delegierten mit seiner Kunst nicht mehr umstimmen.

Die zwölf Münchner Bewerber auf dem Podium – darunter vier Frauen und der Jodler – hatten an die Emotionen der IOC-Mitglieder appelliert. Nicht nur der blinden zwölfmaligen Paralympics-Goldmedaillengewinnerin Verena Bentele gelang das, sondern vor allem auch Franz Beckenbauer. „Sie wissen möglicherweise, dass ich in meinem Leben im Sport viele Rollen gespielt habe“, sagte er, „ja man nennt mich den Kaiser.“ Doch er bekannte, dass ihm in seiner Karriere die Teilnahme an Olympischen Spielen verwehrt geblieben ist. „Deshalb bin ich sehr glücklich, heute bei dieser Bewerbung antreten zu können“, sagte er. Doch offenbar verlässt auch ihn manchmal das Glück.

Als mittags das tägliche Glockenspiel in München für die Touristen erklang, wurde sogar die Live-Übertragung der südkoreanischen Präsentation unterbrochen. Dabei hätte man das besser zuvor bei Annecy gemacht, so lieb- und leidenschaftslos traten die Franzosen in Durban auf. Ganz anders die zwölf Vertreter Pyeongchangs, angeführt von Staatspräsident Lee Myung-bak. Sie sprachen noch einmal von den 500 Millionen Dollar, die sie in ein olympisches Talentförderprogramm stecken wollen. Sie gratulierten dem IOC-Mitglied Prinz Albert von Monaco nachträglich zur Hochzeit, das südkoreanische IOC-Mitglied Park Yong-sung entschuldigt sich sogar bei ihm: „Es tut mir leid, dass Sie nun schon zum dritten Mal eine Präsentation Pyeongchangs hören müssen.“

Als alles vorbei ist, steht Susanne Egert mit einer Olympiabewerbungsmütze vor dem Münchner Rathaus und ärgert sich. Sie wäre gerne Volunteer in München geworden, das hat sich erledigt. „Da haben nicht die Fakten, sondern die Emotionen entschieden.“ Und ein bisschen Bestechungsgeld? „Wahrscheinlich auch“, glaubt sie. Immerhin haben einige Mitglieder der Bewerbungsgesellschaft Pyeongchangs schon Korruptionsverfahren hinter sich. „Die Deutschen würden so etwas kaum in die Hand nehmen.“ Also besser bestechen beim nächsten Mal? „Nein“, sagt sie, „entweder ehrlich oder es blieben lassen.“ Immerhin kann die Niederlage sie und ihren Begleiter nicht von ihrem Abendprogramm abbringen. „Wir gehen jetzt trotzdem in den Biergarten.“

Auch die Mitglieder des Schützenkranzes Moosach haben ihr Programm auf dem Marienplatz gnadenlos durchgezogen. Als die Niederlage feststand, haben sie vom Rathausbalkon eine Salve Böller abgeschossen, nun stehen sie in Trachtenanzügen im Torbogen und halten ihre Waffen in der Hand. Haben sie etwa zu Ehren Pyeongchangs geschossen? „Nein“, sagt einer, „wir mussten schießen, wir dürfen unser Pulver nicht mit nach Hause nehmen.“ Und so kommt es, dass die Olympiabewerber aus München an diesem Tag nicht die einzigen waren, die ihr Pulver sinnlos verschossen haben.Leitartikel Seite 1

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