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Sport: T-Mobiles neue Kleider

Columbia will den Ballast des Vorgängerteams abwerfen – doch die Dominanz wirft Fragen auf

Stefan Schumacher hatte sich auf der sechsten Tour-Etappe durch das französische Zentralmassiv wacker geschlagen und nun, nach fünf Stunden im Sattel, konnte er sich auf seinen dritten Tag im Gelben Trikot freuen. Der Zielstrich im Retorten-Skiort Super-Besse war bereits in Sichtweite und der Team Gerolsteiner-Profi lag noch mit allen Favoriten zusammen an der Spitze des Rennens. Vermutlich war es diese Vorfreude, die ihn einen Augenblick unachtsam werden ließ: Schumacher verhakte sich im Hinterrad des Luxemburgers Kim Kirchen, schlug auf den Asphalt auf, und bis er sich berappelt hatte, war Kirchen mitsamt den übrigen Fahrern der Spitzengruppe sowie mit Schumachers Gelbem Trikot über die Bergkuppe enteilt.

Es war eine unglückliche Art und Weise, das begehrte Hemd zu verlieren. Dass es ausgerechnet zum Luxemburger Kim Kirchen vom Team Columbia wanderte, war jedoch kein Zufall. Kirchen wird immer mehr zum Star dieser Tour, nachdem er in der vergangenen Woche im Zeitfahren knapp hinter Schumacher auf Platz zwei landete, ebenso knapp einen Sprint gegen den Norweger Hushovd verlor und zeitweise sogar das Grüne Trikot des besten Spurters trug. Nach der ersten Bergetappe am Donnerstag trauen nun nicht wenige dem Tour-Siebten des vergangenen Jahres sogar zu, um den Tour-Gesamtsieg mitzufahren.

Kirchen steht stellvertretend für die Renaissance der einstigen deutschen Vorzeige-Equipe T-Mobile, aus der das Team Columbia hervorging. Obwohl die Mannschaft mit einem ungewöhnlich jungen Aufgebot zur Tour de France angereist ist, dominiert sie bislang die Rundfahrt beinahe so, wie das vor zehn Jahren ihre Vorgängertruppe tat. So beherrschen Kirchen und seine Sprinterkollegen Mark Cavendish und Gerald Ciolek in den vergangenen Tagen auch die schnellen Finishs – nach Platz zwei und drei durch Kirchen und Ciolek in Plumelec gewann der erst 23 Jahre alte Brite Cavendish am Mittwoch überlegen den Spurt von Chateauroux (die Etappe am Donnerstag war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet). Es war bereits der 46. Saisonsieg des Teams – damit ist Columbia die überragende Mannschaft des Jahres.

Das weckt freilich nicht nur gute Erinnerungen, schließlich weiß man inzwischen, dass die Siegesfahrten der alten Telekom-Formation auf der Basis von Doping zustande kamen. Nicht umsonst ist man bei Columbia ausgesprochen darum bemüht, die Telekom-Zeiten vergessen zu lassen und sich als völlig neues Team zu präsentieren. „Ich bin sehr glücklich, dass ich jetzt nicht mehr den Ballast von 17 Jahren Vorgeschichte am Hals habe“, sagt Columbia-Teambesitzer Bob Stapleton, der das ehemalige Team T-Mobile nach dem Ausstieg des deutschen Sponsors übernahm und den Sitz von Bonn in seine Heimat Kalifornien verlegte. „Ich kann jetzt völlig frei die Zukunft der Mannschaft bestimmen.“

Stapletons Vision einer Mannschaft der neuen Generation, die Erfolg mit einer klaren Anti-Doping-Haltung zu verbinden sucht, ist die gleiche geblieben wie 2006, als er T-Mobile übernahm. Wo er beim alten Team noch an der unzerstörbar scheinenden Dopingmentalität scheiterte, glaubt er nun im zweiten Anlauf, dass ihm die Umsetzung auch gelingt. „Ich war mit meinen Vorstellungen, unserem Sport ein neues Gesicht zu geben, bei T-Mobile zwei Jahre zu früh. Jetzt habe ich das Gefühl, dass die Zeit reif ist.“

Nachdem Stapleton zunächst die Organisation mit seiner 25 Millionen-Abfindung von T-Mobile finanzierte, stieg vor wenigen Wochen der amerikanische Sportmodehersteller Columbia als Hauptsponsor ein. Stapleton glaubt, dass es die Kombination aus Redlichkeit und Leistung gewesen ist, die den neuen Förderer überzeugt hat: „Sauber zu sein alleine genügt nicht.“ Haben Stapleton und sein Sportlicher Leiter Rolf Aldag tatsächlich einen Weg gefunden, sauber im Radsport zu reüssieren? So möchte Sportdirektor Rolf Aldag den Erfolg seiner Truppe verstanden wissen. Die Siege von Columbia erklärt er in erster Linie mit dem guten Team-Spirit. Die Affäre um den gedopten Patrick Sinkewitz, die turbulente Skandaltour 2007, der Ausstieg des Sponsors und der Neuanfang in Kalifornien, das alles, so Aldag, habe ungemein zusammenschweißt.

Vor allem aber glaubt Aldag, könne seine junge Truppe so befreit auftrumpfen, weil kein Druck auf ihren Schultern laste. Als Rolf Aldag selbst noch für Jan Ullrich fuhr, war Versagen tabu, ein zweiter Platz wurde als Scheitern betrachtet. „Wir haben hier nichts zu verlieren“, sagt er. „Die Tour war jetzt schon eine gute Tour für uns. Wenn wir morgen abgehängt werden, ist das für niemanden eine Katastrophe.“ Eine solche Haltung wäre in der Tat ein Unterschied zu den T-Mobile-Zeiten.

Sebastian Moll[Super-Besse]

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