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Sport: Tage ohne Ruhe

Voeckler fährt seit einer Woche im Gelben Trikot

An dem Tag, an dem er das Gelbe Trikot übernommen hatte, kam Thomas Voeckler spät zum Abendessen. Pressekonferenz, Dopingkontrolle, Fernsehinterviews, das alles dauerte. Frisch geduscht und massiert, streifte er sich das schlichte beigefarbene Polohemd aus seiner Mannschaftsausrüstung über, um sich nach einem langen Tag endlich in Ruhe zu seinen Kameraden zu setzen. Doch seine Kollegen bei der französischen Mannschaft Brioches la Boulangère ließen ihn nicht in Ruhe. Das Gelbe Trikot solle er anziehen, wie er nach dem Gewinn der französischen Meisterschaft im Juni abends auch das blau-weiß-rote Hemd des nationalen Champions getragen hatte.

Doch Voeckler war das Gelbe Trikot vom ersten Tag an ein wenig unangenehm. Dass die junge Mannschaft Brioches so lange Zeit das Gelbe Trikot verteidigen darf, erscheint ihnen noch immer unwirklich. „Das ist mir alles ein bisschen viel“, sagte Voeckler schon in Chartres, am Abend nach der Etappe, in der er das Trikot übernommen hatte.

Die Mannschaft Brioches La Boulangère ist die Nachfolgemannschaft von Bonjour, jener jungen französischen Mannschaft, über die man sich noch vor drei Jahren lustig gemacht hatte. Sie war eine Neugründung nach dem Doping-Skandal von 1998 und sollte für einen Neubeginn im Radsport stehen, für einen Bruch mit den alten Strukturen und der Kultur des Betrugs. Deshalb bevorzugte Tour-Direktor Jean Marie Leblanc Bonjour seinerzeit bei der Tour-Nominierung gegenüber etablierteren Mannschaften – lieber ein sauberes junges Team als eine Mannschaft mit Stars aber dubiosen Vorbereitungspraktiken.

Die etablierte Radsportwelt war sich hingegen einig, dass die Novizen nichts bei der Tour zu suchen haben – bis zur Regenetappe von Pontarlier 2001, wo der Bonjour-Fahrer Francois Simon den Favoriten bei einer Flucht 35 Minuten abnahm. Erst auf der letzten Bergetappe durch die Pyrenäen konnte Armstrong das Gelbe Trikot zurückerobern. In einer ähnlichen Lage ist nun der Elsässer Voeckler. Er hat auf der 4. Etappe, als die Favoriten die Ausreißer im Regen ziehen ließen, zehn Minuten Vorsprung herausgefahren. In Frankreich wird nun spekuliert, wie lange er das Gelbe Trikot behalten wird. Einige sagen, Voeckler wird es in den Pyrenäen verlieren, der einstige Champion Luc Leblanc meint gar, er würde es bis in die Alpen behalten.

„Ich werde es Tag für Tag verteidigen. Ich werde mir die Gedärme aus dem Leib fahren. Aber ich habe nicht das Niveau der Großen“, sagt Voeckler. In gewisser Weise wäre er sogar froh, das Trikot wieder loszuwerden. Die Erwartungen an ihn, der Rummel um seine Person, das alles wird ihm zu viel. Am Ruhetag in Limoges bat er den Rezeptionisten seines Hotels, seine Zimmernummer nicht herauszugeben, und ließ das Telefon abstellen. Er wollte einfach einmal für ein paar Stunden seine Ruhe haben. Doch solange er in Gelb fährt, wird er Schwierigkeiten haben, diese Ruhe zu finden. Der 25 Jahre junge Mann ist zu einem Symbol geworden. Seit den Achtzigerjahren, den Zeiten von Bernhard Hinault und Laurent Fignon, hat es keinen französischen Siegfahrer mehr gegeben. Publikumsliebling Laurent Jalabert hat seine Karriere beendet, der gestrige Tagessieger Richard Virenque kann zwar Etappen gewinnen, aber nicht die Tour.

Voeckler hingegen verkörpert Frische, Jugend und Unschuld. Nun hätten die Franzosen gerne, dass er auch ein Champion ist. Doch wenn am Samstag auf der ersten großen Pyrenäenetappe die Schlacht der Favoriten eröffnet wird, beginnt auch für Voeckler wohl wieder der harte Alltag irgendwo im Peloton.

Sebastian Moll[Saint-Flour]

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