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Kein Rückhalt. Hoffenheim vertraut Tim Wiese nicht mehr und verpflichtete als Ersatz für den Torwart Heurelho Gomes von Tottenham Hotspur. Foto: dpa

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Sport: Taktische Brücke

Hoffenheim will Tim Wiese schützen – und den gescheiterten Torwart wohl auf diese Weise loswerden.

Wem die TSG Hoffenheim Einblicke gewährt, entscheidet sich am großen Rolltor des Trainingszentrums am Ortsausgang Zuzenhausens. Wenn es geöffnet wird, dann oft, um ein Bild zu transportieren, das der abstiegsbedrohte Verein gerne von sich vermitteln möchte. In den Tagen vor dem baden-württembergischen Duell am Samstag gegen den SC Freiburg war das nicht anders. Gerne schütteln Fußballklubs in Krisenzeiten alle Last von sich, um den befreienden Blick nach vorne zu bekommen. Das Projekt Hoffenheim, das sich einst aus dem hehren Anspruch speiste, mit jungen Spielern und erfrischender Offensive die Fußball-Welt zu erobern, ist auf Tabellenrang 17 mit acht Punkten Rückstand auf Nichtabstiegs-Rang 15 in gefährliche Schieflage geraten. Jetzt versucht der badische Klub zu retten, was zu retten ist und leistet sich die Winter-Investition eines zweistelligen Millionenbetrages und einen kuriosen Personalwechsel. Ob die Strategie aufgeht, ist fraglich.

Mit Luis Advincula (kam für für 300 000 Euro von Sporting Cristal Lima), David Abraham (drei Millionen Euro/Getafe), Afriyie Acquah (2,5 Millionen Euro/Parma), Eugen Polanski (drei Millionen Euro/Mainz), Igor de Camargo (ausgeliehen/Mönchengladbach), Heurelho Gomes (ausgeliehen/Tottenham) hat man eine halbe Mannschaft zusammengekauft und versucht, die Sünden der Vergangenheit zu korrigieren, als noch von einem internationalen Wettbewerb gesprochen wurde. Dass nun auch im Tor Handlungsbedarf entstand, hat mit dem Mann zu tun, der die Schlagzeilen tagelang beherrschte und gegen Freiburg nicht mehr im Kader stehen wird. Dass der 31 Jahre alte ehemalige Nationaltorwart Tim Wiese noch mal für Hoffenheim spielen wird, gilt als nahezu ausgeschlossen. Trotz seines Vertrages bis 2016 ist ein baldiger Wechsel ins Ausland wahrscheinlicher. Wiese steht wie kaum ein anderer für eine planlose Personalpolitik.

Dass die Hoffenheimer Macher um Trainer Marco Kurz und Manager Andreas Müller den „unmenschlichen Druck“, der auf dem ehemaligen Bremer Wiese laste, vorschieben und die „erschreckende Berichterstattung“ für dessen Krise verantwortlich machen, ist aus taktischen Gründen vielleicht sogar verständlich. Der Klub teilte mit, man wolle Wiese nach einer Flut von Gegentoren „schützen“. Der Verdacht liegt nahe, dass man Wiese mit dieser Wortwahl eine Brücke bauen will, um einen neuen Verein zu finden.

Dass Wiese tief frustriert ist, kann sich jeder vorstellen. Er wechselte als von Bundestrainer Joachim Löw aussortierter Nationalspieler in den Kraichgau und kam dort in eine orientierungslose Mannschaft, zu deren sportlicher Krise er durch Fehler, die man von ihm in dieser Fülle nicht gewohnt war, entscheidend beitrug. In die Hoffenheimer Mannschaft integrieren konnte sich Wiese seit seinem Wechsel vergangenen Sommer nie. Zwischendurch kam vom Verein die Ansage, der Nachfolger von Tom Starke, den Hoffenheim ohne Not abgab, um mehr internationale Qualität zu bekommen, müsse sich mehr einbringen.

Der als Führungsfigur vorgesehene Wiese blieb ein Einzelgänger. Diese Tendenz verstärkte sich noch, als die Mannschaft in der Bundesliga anstatt in Richtung der Europapokalplätze immer mehr ans Tabellenende rutschte. Trainer Marco Kurz befreite ihn in der Winterpause vom Kapitänsamt und ergriff intern die Initiative, das Problem im Tor zu lösen, indem er Gespräche mit Gesellschafter Dietmar Hopp und Wieses Berater führte. Die Gründe, Wiese aus dem laufenden Trainings- und Spielbetrieb zu nehmen, sind allein sportliche. Man lieh mit Heurelho Gomes den dritten Torwart von Tottenham Hotspur aus und geht neben den Transfers Polanski und de Camargo das Risiko ein, mit einem Bundesliganeuling aus Brasilien in den Abstiegskampf zu gehen.

„Tim ist in der jetzigen Situation chancenlos. Egal, was er macht, er hat keine Möglichkeit, vernünftig bewertet zu werden“, erläuterte Manager Andreas Müller den Transfer. „Mit dem Druck, mit dem er in jedes Spiel geht, um fehlerfrei zu sein – das ist unmenschlich. Das kann er nicht leisten. Deshalb müssen wir nach unserer Verantwortung handeln.“

In Hoffenheim spricht man nach den Verletzungen der beiden Mittelfeldspieler Sebastian Rudy und Sejad Salihovic von sinnvollen Ergänzungen, Kritiker werfen dem Klub Aktionismus vor, der angesichts der prekären sportlichen Situation kaum eine Strategie erkennen und dem Trainerteam kaum Raum lasse, taktische Abläufe zu üben.

„Ich habe die Entscheidung des Trainers akzeptiert und mir ist klar, dass ich mich sportlich wieder neu beweisen muss“, sagte Wiese am Freitag nach einem Gespräch mit Marco Kurz. Der Torhüter hat fast 300 Bundesliga- und 60 Europapokalspiele und sechs Länderspiele gemacht und kann kaum als unerfahren oder zu wenig druckresistent durchgehen. Zuletzt hatte der 31-Jährige allerdings angeschlagen gewirkt. Als seine Bundesliga-Kollegen ihn zum „Absteiger der Hinrunde“ wählten, kommentierte der sechsmalige Nationalspieler, das sei ihm „scheißegal“. In einem Interview beklagte er sich, wenn es nach den Medien gehe, „habe ich hier ja alles zu verantworten“. Dieses traurige Kapitel scheinen Wiese und die TSG Hoffenheim so gut wie hinter sich zu haben.

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