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So sehen keine Sieger aus. Angelique Kerber, kriselnde Nummer 1 der Tennis-Weltrangliste.

© dpa

Tennis: Niemand zittert mehr vor Angelique Kerber

Angelique Kerber tut sich schwer mit ihrer Rolle als Nummer eins. Die 29-Jährige spielt nicht mehr so furchtlos wie einst.

Die Augen verheult, so saß Angelique Kerber am Sonntag in Stuttgart vor den Journalisten. Wieder eine Niederlage, die neunte bereits in dieser Saison bei nur 17 Siegen. Und dabei wäre es so wichtig für Kerber gewesen, gegen die Ukrainerin Jelina Switolina zu gewinnen. Nicht nur, weil sie damit der deutschen Mannschaft den entscheidenden Punkt für den Verbleib in der Weltgruppe gesichert hätte. Vielmehr brauchte Kerber diesen Sieg dringend für sich selbst, denn jene Leichtigkeit, die ihr Spiel in der vergangenen Saison noch ausmachte, ist ihr irgendwie abhanden gekommen.

Niemand zittert mehr vor Kerber. Im Jahr 2017 hat die 29 Jahre alte Norddeutsche bloß gegen eine einzige Spielerin aus den Top 30 gewonnen und das war Carla Suarez Navarro, die Nummer 25. Auf ihrem Konto stehen nur das Halbfinale von Dubai und das Endspiel in Monterrey, auf den ersten Turniersieg seit den US Open im Herbst wartet Kerber weiterhin. Sie wird mit ihrer neuen Rolle als Gejagte nicht fertig.

In dieser Woche gibt sie die Führung in der Weltrangliste aufgrund des verschobenen Turnierkalenders an Serena Williams ab, obwohl diese schwanger ist und die Saison beendet hat. Erreicht Kerber jetzt beim Turnier in Stuttgart das Viertelfinale, ist sie wieder ganz oben. Doch sicher ist das nicht. Kerber überzeugt nicht, sie zweifelt. „Es spielt sich alles bei ihr im Kopf ab“, glaubt Chris Evert, die 18-malige Grand-Slam-Siegerin und TV-Expertin. „Es ist schwer, als Nummer eins mit der Zielscheibe auf dem Rücken herumzulaufen und weiterhin so furchtlos zu spielen, wie auf dem Weg zur Nummer eins.“

"Angie muss ihre aggressive Mentalität wiederfinden"

Der inzwischen 62 Jahre alten Amerikanerin sind die Veränderungen in Kerbers Spiel nicht entgangen, seitdem diese mit dem US-Open-Triumph erstmals die Spitze der Weltrangliste übernahm. Da war die sture Verteidigerin Kerber über ihren Schatten gesprungen und mischte ihr physisch-aufreibendes Konterspiel auf einmal mit aggressiven Gewinnschlägen, und sie riskierte etwas in den Ballwechseln. Momentan tut sie das kaum noch, ihr Spiel ist oft zu passiv und ihre Körpersprache zu negativ. „Jetzt spielt sie wieder die Art Tennis wie vor zwei Jahren, als sie in den Top Ten war, aber nicht die Nummer eins“, sagt Evert: „Angie muss ihre aggressive Mentalität, ihre Furchtlosigkeit wiederfinden.“ Doch wie kann das gelingen?

Als neue Frontfrau der Tennistour hat Kerber bei jedem Turnier Termine, Verpflichtungen, auch für ihre Sponsoren, und steht dauernd im Fokus – da fällt es schwer, den eigenen Fokus zu finden. Schon beim Start in Sydney und Brisbane wurde ihr alles zu viel. Ihr ehemaliges Management hatte ihr Altlasten hinterlassen, bereits geschlossene Verpflichtungen, von denen sie ihr neuer Manager Aljoscha Thron nicht mehr befreien konnte. So lenkte Kerber das Drumherum zu sehr ab, sie fand auf dem Platz keinen Rhythmus.

„Es wird immer wieder Phasen geben, in denen ich mal drei Turniere am Stück schlecht spiele", sagt Kerber. Wichtig sei nur, dass sie daran nicht mehr verzweifele und gleich alles in Frage stelle. Doch sie zweifelt und damit ist die Selbstverständlichkeit in ihrem Spiel dahin. Kerber hat in ihrem Leben immer etwas mehr Zeit gebraucht als andere, spielte erst mit 28 Jahren ihr bestes Tennis und nicht mit 18. Sie benötigt auch jetzt Zeit, um sich an ihre neue Rolle zu gewöhnen. Und derzeit sieht es noch nicht danach aus, als könnte Kerber auf roter Asche wieder in die Spur finden.

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