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Sport: Theater der Träume

Manchester sieht sich vor dem Rückspiel am Mittwoch nun im Vorteil Manchester United und der AC Mailand bieten beim 3:2 ein wundervolles Halbfinal-Hinspiel

Kaká lag bäuchlings am Boden. Er schaute kurz auf, blieb aber liegen. Das Spiel ging weiter, der Mittelfeldstar des AC Mailand aber lag immer noch auf dem Rasen. Der 25-Jährige lächelte, ungläubig. Schließlich stand er doch auf und schaute fragend nach oben. Der Ball war nicht reingegangen, warum um Himmels Willen denn nicht? Sein Lächeln wurde breiter. Es machte ja nichts, dachte er. Ein fataler Irrtum.

Er konnte das nicht wissen. Von den 75 000 regelrecht hypnotisierten Zuschauern in Old Trafford erinnerte sich nach diesem von unfassbar intelligenten Angriffen schier überbordenden Champions-League-Klassiker zwischen Manchester United und dem AC Mailand kaum einer an diese kleine Szene, besser gesagt, an die ihr vorausgegangene Großchance Kakás. Es hätte das 1:3 sein können. So aber endete das Halbfinal-Hinspiel in der Champions-League mit einem 3:2 für Manchester United.

Der sichtlich mit sich selbst und der Welt zufriedene Trainer Alex Ferguson hatte die Szene nicht vergessen. Er wirkte nach dem Spiel gelöst und sah im Geiste wohl noch einmal, wie Milans Clarence Seedorf, die personifizierte Ausgeschlafenheit, Kaká Anfang der zweiten Hälfte daunenkissenweich vor die Füße flankte, wie der Brasilianer den Ball direkt nahm, wie der Ball anschließend knapp über das Tor strich. „Kaká hätte treffen müssen“, sagte der Schotte, „so aber hatten wir eine Rettungsleine.“

Manchester United ist beileibe keine Mannschaft ohne Schwächen. „Vorne waren sie Nischinski, hinten ein Schmierenkomödiant“, schrieb die „Daily Mail“ in Erinnerung an das polnische Ballett-Genie. Aber wenn man dieser vom bedingungslosen Glauben an die eigene Torgefährlichkeit befeuerten Truppe so eine Leine hinwirft, ist man selber schuld. Die Gastgeber griffen mit beiden Händen zu und zogen so heftig, dass die eben noch locker an der Reling lehnenden Italiener hochkant über Bord flogen. Wayne Rooneys zweiter Treffer in der Nachspielzeit zum 3:2 – der eingewechselte Italiener Cristian Brocchi hatte fahrlässig den Ball an Ryan Giggs verloren – drehte ein schwieriges Resultat plötzlich in einen Sieg um, der den Engländern, wie Alex Ferguson hofft, den entscheidenden Vorteil im Rückspiel gibt. „Wir haben den Sieg verschenkt“, grämte sich dagegen Milans Trainer Carlo Ancelotti mit einem kleinen Seufzer. Es war ähnlich wie gegen den FC Bayern im San-Siro-Stadion, als Bayerns Daniel van Buyten spät zum 2:2 ausglich.

Entschieden ist noch nichts, allein über die Qualität der Vorstellung im Theater der Träume gibt es keine zwei Meinungen. Die stürmenden, drängenden Spieler Manchesters gegen Mailands seelenruhige Routiniers, das war ein Duell, dem man noch gerne ein paar Stunden länger zugeschaut hätte. In Old Trafford wurde nicht nur um Raum und Ball gekämpft, sondern vor allem um Zeit. Um das Tempo des Spiels. Die Hausherren wussten, dass den Italienern am ehesten mit Hochgeschwindigkeitsfußball beizukommen war, nach dem frühen 1:0 saßen sie fest im Fahrersitz.

Kaká fühlte sich „eine Sekunde lang an Roma erinnert“, wie er sagte. Der AS Rom hatte im Viertelfinale 1:7 bei Manchester verloren. Doch dann bremsten Seedorf und Andrea Pirlo den Schwung der Engländer. Die Zuschauer konnten dem hohen Tempo der Ereignisse nur mühsam folgen: Hin und her schlingerte diese Partie, die ständigen Richtungs- und Tempowechsel waren nicht zu antizipieren, und auch die Helden lösten sich andauernd ab.

Die Frühphase gehörte dem uneinholbar schnellen Cristiano Ronaldo, der Mittelteil dem eleganten, sensationellen Kaká – „er macht Sachen, die für andere unvorstellbar sind“, staunte Mailands Trainer Carlo Ancelotti – und das Ende dem Kraftprotz Rooney, der erst einen unglaublichen Lupfer von Paul Scholes und danach Giggs’ präzisen Pass in den Lauf verwertete.

„Die Niederlage brennt“, sagte der verletzt ausgeschiedene Gennaro Gattuso, aber er sah ziemlich zufrieden aus, genau wie Kollege Massimo Oddo, der von „einem positiven Ergebnis“ sprach. Als kurz darauf wegen eines Bombenalarms ein Teil des Stadions evakuiert wurde, stand Ancelotti trotzdem ganz gelassen vor dem Mannschaftsbus und gab weiter Interviews.

Vielleicht ist das ja die Erklärung für Milans chronische Anfälligkeit in den Schlussminuten: Diese Spieler sind einfach zu cool, um die Angst zu spüren, die einen bis zum Schluss wach hält. Am Mittwoch kommen sie schon wieder zusammen. Manchester United, „die Mannschaft, die nicht weiß, wann sie geschlagen ist“, wie der „Daily Telegraph“ schrieb, und der AC Mailand, das Team, das öfter vergisst, dass es ein Spiel schon gewonnen hat. Die Prognose fällt da sehr leicht: Es wird ein himmlisches Vergnügen.

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