zum Hauptinhalt
Ralf Rangnick sucht einen Trainer wie Ralf Rangnick.

© dpa

Update

Unser Blog zur Fußball-Bundesliga: Thomas Tuchel sagt RB Leipzig ab - muss es Ralf Rangnick selbst machen?

Außerdem in unserem Blog: Hertha BSC vor Klassenerhalt, Hoffenheim im Niemandsland, Borussia Mönchengladbach auf dem Weg nach oben, der HSV auf Zweitligakurs

16:55 Uhr: Diesen tödlichen Steilpass von gomph muss ich zum Abschluss des Tages einfach ins leere Tor schießen: "Unglaublich gut. Wer wirklich den Fußball mag, findet sich hier wieder. Chapeau." (Siehe Kommentare unten.) Ich hoffe nur, dass das nicht ironisch gemeint war. In diesem Sinne: Bis nächste Woche. Dann der Bundesliga-Blog wieder, wie gehabt, am Montag.

15:15 Uhr: Wer den Weg von Ralf Rangnick nicht mitgehen will, hat in Leipzig keine Chance. Wer sein Tempo nicht mithalten kann, auch nicht. Siehe Alexander Zorniger. Der Trainer hat in Leipzig nachweislich hervorragende Arbeit geleistet, hat Rasenballsport aus der vierten Liga in die zweite geführt – und das mit vergleichweise kosmetisch verändertem Kader. Nach zwei Aufstiegen hintereinander hat Zorniger für eine kurze Phase der Konsolidierung plädiert, bevor das ganz große Ziel Bundesliga angegangen werden sollte. Ein Jahr Verzögerung aber war mit Rangnick nicht zu machen. Er will alles – und das möglichst sofort. Womit wir wieder beim Thema Maß und Mitte wären.

Dass die Leipziger in der vergangenen Woche das Bremer Sturmtalent Davie Selke für die kommende Saison verpflichtet haben, zeugt von den großen Ambitionen Rangnicks. Bei acht Millionen Euro Ablöse für einen 20-Jährigen (der gerade mal 24 Bundesligaspiele bestritten hat) lässt sich schon jetzt halbwegs verlässlich behaupten, dass Rasenballsport am Ende für die nächste Saison mehr Geld investiert haben wird als alle anderen 17 Zweitligisten zusammen.

Der Plan, den Spielern mit Perspektive einen Trainer mit Perspektive an die Seite zu stellen, hat an diesem Wochenende einen empfindlichen Rückschlag erlitten. Thomas Tuchel, der nach verschiedenen Medienberichten längst mit den Leipzigern und seinem früheren Mentor Rangnick einig sein sollte, will nun doch nicht. Lustigerweise hat Oliver Mintzlaff, der Vorsitzende des eingetragenen Vereins Rasenballsport, das mit den finanziellen Forderungen Tuchels begründet. „RB Leipzig ist unabhängig von Herrn Tuchel und anderen Namen auch nicht bereit, finanzielle Grenzen für einen Zweitliga-Trainer zu überschreiten“, hat Mintzlaff der „Sportbild“ gesagt. „Unser Weg bleibt unbeirrt - wir werden mit unserer A-Lösung auf der Trainerposition in die neue Saison gehen.“

Die Trainersuche ist genauso einfach wie kompliziert: Der neue Trainer muss nur das tun, was Rangnick will. Er muss Rangnick-Fußball spielen lassen. Rangnick-Spieler verpflichten und wie Rangnick trainieren. Allzu viele Kandidaten, die dieses Profil erfüllen, gibt es vermutlich nicht. Nicht, dass Ralf Rangnick es am Ende noch selbst machen muss.

14:40 Uhr: Wo wir wieder bei Hoffenheim sind: Die TSG ist ja gewissermaßen die Blaupause für das, was gerade in Leipzig passiert. Viel Geld, große Visionen. Bis in die Details ähnelt das Projekt Rasenballsport dem Modell Hoffenheim – was vielleicht damit zusammenhängt, dass der Projektleiter in beiden Fällen ein und dieselbe Person ist. Ralf Rangnick hat Hoffenheim als Trainer aus der Provinz auf die große Bühne geführt, in Leipzig lenkt er die Geschicke jetzt von der nächsthöheren Ebene als Sportdirektor.

Ist es Zufall, dass Rangnick zum zweiten Mal unter ähnlichen Rahmenbedingungen arbeitet? Dass er sich erneut ein Projekt ausgesucht hat, in dem er nach eigenem Gusto schalten und walten kann? Bei dem er keine Rücksicht auf Vereinsgremien, die „Bild“-Zeitung oder ehemalige Spieler nehmen muss? Ist es ein Zeichen von Stärke zu sagen: Wir machen es ausschließlich so, wie ich es will? Oder ist es eher ein Zeichen von Schwäche?

Mir ist in diesem Zusammenhang ein Zitat von Uli Hoeneß in den Sinn gekommen aus der Saison 2008/09. als Hoffenheim mit Trainer Rangnick die Liga rockte und die Bayern vor sich hertrieb. „Bisher hatte er in seiner Karriere ein gutes Jahr, dann ist er entlassen worden“, hat Hoeneß damals über Hoffenheims Trainer gesagt. „Höhenluft ist dünner als die, die er jetzt genießt. Nach sechs Monaten versteht Rangnick nicht mit Höhenluft umzugehen.“

Ein gewisser Ehrgeiz ist für einen erfolgreichen Trainer ganz sicher nicht verkehrt. Aber Rangnick fehlt meines Erachtens das Maß, die Mitte. Darauf lassen auch seine großkotzigen Prognosen zu RB Leipzig schließen. Von wegen seelenloser Retortenklub: Wenn der Klub erst einmal in der Bundesliga spiele, so Rangnick, werde er immer sein Stadion voll haben. Und keine andere Mannschaft werde auswärts dann von so vielen Anhängern begleitet werden wie Rasenballsport. Alles klar.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es gibt keine Zweifel an Rangnicks Kompetenz, auch seine Erfolge (die Aufstiege mit Ulm, Hannover und Hoffenheim) sind über jeden Zweifel erhaben. Trotzdem: Wo sind denn die großen Titel? Ein einziger ist in seiner Vita verzeichnet: der DFB-Pokalsieg 2011 mit Schalke 04. Dafür musste Rangnick allerdings nur den Zweitligisten MSV Duisburg besiegen. Den Einzug ins Finale hatten die Schalker noch unter seinem Vorgänger Felix Magath perfekt gemacht.

14:10 Uhr: „Was denn nun?“, fragt der User Bantmut in den Kommentaren unten. „Bundesliga als Zoo für Traditionsvereine oder nur der Erfolg zählt? Erst schimpft er über den Retortenverein Hoffenheim, dann will er den HSV raus haben. Mehr BL-Tradition als beim HSV geht ja wohl kaum.“ Gute Frage. Aber im Grunde auch irrelevant. Letztlich muss auch ich mich den sportlichen Argumenten beugen. Und da spricht im Moment mehr für Hoffenheim als für den HSV – auch wenn ich das aus Gründen der Attraktivität der Liga bedauern mag. Ingolstadt statt HSV und dann im nächsten Jahr noch Leipzig für Stuttgart, das ist nicht gerade das, was ich mir wünsche.

Aber wen interessiert schon, was ich mir wünsche? Ich will auch nicht per ordre de Mufti die TSG Hoffenheim zurück in die Regionalliga Südwest relegieren. Ich glaube nur, dass es ein Klub, der eben doch allein von einem reichen Mann abhängt, auf Dauer schwer haben könnte, sich in der Bundesliga zu halten.

Die Uhr läuft ab. Nur der HSV ist seit ihrer Gründung in der Bundesliga. Noch.

© Imago

13:50 Uhr: Als Außenstehender verfolgt man die Saison des Hamburger SV mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken. Als HSV-Fan, der ich zum Glück nicht bin, kann man sich wahrscheinlich nur noch schämen. Der Klub hat in den vergangenen Jahren so ziemlich alles falsch gemacht, was er falsch machen kann. Und sich damit in eine Situation gebracht, in der selbst das Richtige falsch ist.

Zur besseren Einordnung hier noch einmal ein paar Fakten. Angesichts der offensichtlichen Stagnation (in der vergangenen Saison endete der HSV auf dem Relegationsplatz, genau dort findet er sich auch jetzt wieder) würde ja niemand auf die Idee kommen, dass der Klub in diesem Jahr eine Menge Geld in den Kader gesteckt hat. Die (halbwegs seriösen) Schätzungen gehen von 33 Millionen Euro aus. Wow! Allein 8,5 Millionen Euro sind draufgegangen für einen zwar engagierten, aber eben auch ziemlich verletzungsanfälligen und vor allem limitierten Mittelstürmer namens Pierre-Michel Lasogga. Eine fundierte sportliche Analyse hätte vielleicht ergeben, dass sich die Rahmenbedingungen durch den Verkauf von Spielmacher Hakan Calhanoglu für einen Stürmertypen wie Lasogga nicht unbedingt verbessert haben. Aber fundierte sportliche Analyse? Beim HSV?

Ein kleines Highlight war natürlich auch der Transfer von Lewis Holtby, den der HSV aus Tottenham ausgeliehen hat. Inklusive Kaufoption - die bereits nach drei Spielen wirksam wurde. Wen wundert es da noch, dass die Hamburger inzwischen über einen Kader mit ungefähr 65 Profis verfügen? Und muss man als Trainer beim HSV eigentlich jeden Spieler namentlich kennen?

Grundlegend geändert hat sich auf den ersten Blick jedenfalls nichts, seitdem sich der Klub im vergangenen Frühjahr eine neue Struktur gegeben hat. Mit Dietmar Beiersdorfer, Peter Knäbel und Bernhard Peters sind durchaus fähige Leute am Werk, aber ihre vernünftigen Ideen werden von der Realität konterkariert. Bestes Beispiel ist die Entscheidung, Peter Knäbel das Amt des Trainers zu überantworten. Die Überlegung, nicht schon wieder einen Feuerwehrmann zu engagieren, der dann acht Monate später wieder entlassen werden muss, ist ja eigentlich genau die richtige. Knäbel soll nur als Platzhalter die Zeit überbrücken, bis ein Mann mit Perspektive kommt. Aber dass die Perspektive Aufstieg einen Mann wie Thomas Tuchel nicht aus den Schuhen haut, sieht man schon daran, dass er RB Leipzig am Wochenende abgesagt hat.

13:15 Uhr: Wenden wir uns mal wieder dem Abstiegskampf im Allgemeinen zu – und dem Hamburger SV im Besonderen. Sorry, liebe Hamburger, aber irgendwann reicht es einfach mal. Schaltet endlich eure Uhr im Stadion ab! Die Bundesliga - man muss es so deutlich sagen - ist inzwischen eine Nummer zu groß für den einst ruhmreichen Klub aus dem Norden. Eines der beliebtesten Lieder der Hamburger Fans fängt so an: „Sechs Mal Deutscher Meister...“ Und es endet so: „... immer erste Liga, HSV!“ Hilft aber jetzt auch nichts mehr.

Nimmt man zur aktuellen Spielzeit noch die vergangene hinzu, als sich der HSV unberechtigter- und unerklärlicherweise vor dem Abstieg retten konnte, ist der Klub die Lachnummer der Liga. (Man muss sich nur das erste Tor der Leverkusener am Samstag beim 4:0 gegen den HSV anschauen.) Wie es aussieht, wird der Gerechtigkeit in diesem Jahr doch noch Genüge getan: mit der mehr als verdienten Verbannung aus der Ersten Liga. Schade um den großen Namen. Schade um die große Tradition. Schade um ein Stück Erstligageschichte. Aber das allein reicht eben nicht. Ab und zu mal eine gute und richtige Entscheidung zu treffen, wäre vielleicht ganz hilfreich.

„So ist der Dino nicht zu retten“, titelt der „Kicker“ in seiner aktuellen Ausgabe. „Der augenblicklichen Drucksituation scheint in Hamburg keiner gewachsen.“ Vier Spiele hat der HSV nun schon kein Tor mehr geschossen, insgesamt waren es in dieser Saison ohnhein nur 16 Tore. Das sind weniger, als Alex Meier ganz alleine erzielt hat. Jener Meier, der vor den Toren Hamburgs geboren wurde, in der Jugend des Klubs gespielt und später auch für den HSV vier Spiele in der Bundesliga bestritten hat.

12:10 Uhr: Angesichts der erfreulichen Gesamtsituation bei Hertha BSC fallen die Schreckensnachrichten nicht mehr ganz so stark ins Gewicht. Beim ersten Training der neuen Woche fehlten „Zauberfüßchen“ Marvin Plattenhardt und Roy Beerens. Eine genauere Diagnose gibt es noch nicht, soll aber im Laufe des Tages folgen.

11:50 Uhr: Während der FC Schalke sein Saisonziel zu verpassen droht, steht Hertha BSC kurz davor, eine schwierige Saison doch noch zu einem erträglichen Ende zu bringen. Schaut man auf die nackten Zahlen – Platz elf, 32 Punkte nach 27 Spieltagen –, kann man sich nur noch schwer vorstellen, dass die Berliner vor gar nicht allzu langer Zeit in ernsten Schwierigkeiten steckten.

Ich lege mich schon mal fest (auch wenn der stets skeptische Hertha-Fans auf die schweren Gegner zum Ende der Saison verweist): Hertha spielt auch in der kommenden Saison in der Bundesliga. In den vergangenen sieben Jahren haben die jetzt erreichten 32 Punkte zum direkten Klassenerhalt gereicht. Nur 2011 stieg Eintracht Frankfurt mit 34 Punkten ab, musste Borussia Mönchengladbach mit 36 Punkten den Umweg über die Relegation nehmen.

Applaus, Applaus. Pal Dardai darf sich schon ein bisschen über den Klassenerhalt mit Hertha BSC freuen.

© dpa

Was außer der eigenen Stabilität für Hertha spricht? Die Schwäche der Konkurrenz. Glaubt wirklich jemand ernsthaft, dass von den letzten vier der Tabelle – Stuttgart, Paderborn, Hamburg, Hannover – mindestens noch zwei eine unglaubliche Siegesserie starten? Nein! Hertha bleibt drin, und Pal Dardai Trainer. Unter dem Ungar hat die Mannschaft in acht Spielen 14 Punkte geholt, jetzt fünfmal hintereinander nicht verloren und beim 2:0 gegen Paderborn zum fünften Mal zu null gespielt. In der eigens von der „Bild“ errechneten „Dardai-Tabelle“ belegt Hertha Platz sechs, was, wie die „Bild’“ ganz nebenbei erwähnt, für die Europa League reichen würde.

Pal Dardai hat ganz offensichtlich vieles richtig gemacht. Er hat das Team stabilisiert, er hat die Stimmung deutlich verbessert – das sieht und hört jeder, der auch nur einmal beim Training zugeschaut hat. Im Vergleich zu dem, was ihm ab der kommenden Saison bevorsteht, war das aber vermutlich die leichtere Übung. Ab dem Sommer muss Dardai zeigen, dass er die Mannschaft auch fußballerisch voranbringen kann, dass er auch die Mühen der Ebenen beherrscht.

11:00 Uhr: Leidtragender des Aufschwungs von Borussia Mönchengladbach ist unter anderem der FC Schalke 04. Die Gladbacher besetzen genau den Platz, von dem sie in Schalke nur noch träumen können. Den, der ohne weitere Qualifikation zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. Zur Winterpause lag die Borussia nur aufgrund der besseren Tordifferenz vor den Schalkern, inzwischen ist der Abstand auf zehn Punkte angewachsen.
In der Rückrundentabelle belegt Schalke einen souveränen zehnten Platz: hinter Klubs wie Werder Bremen, Hertha BSC, selbst Borussia Dortmund und sogar dem SC Freiburg. Nur mal am Rande: Wie würde die Diskussion eigentlich verlaufen, wenn nicht Roberto Di Matteo Trainer wäre, sondern immer noch Jens Keller, der übrigens im vergangenen Jahr die beste Rückrunde der Schalker Vereinsgeschichte zu verantworten hatte?

Bitte nicht Europa League! Schalkes Spieler müssen mit dem Schlimmsten rechnen.

© dpa

Unter Di Matteo hat Schalke in den vergangenen sieben Spielen gerade mal sechs Punkte geholt. Sich erneut für die Champions League zu qualifizieren erscheint inzwischen utopisch. Leverkusen auf Platz vier hat bereits acht Punkte Vorsprung. „Das Saisonziel bleibt (...) nur noch Mittel zum Zweck, um die Spannung möglichst hochzuhalten“, schreibt der „Kicker“. „Dabei wird immer deutlicher, dass selbst die Qualifikation für die Europa League keinen ,Selbstläufer’ darstellt.“ Und der WDR kommentiert den Zustand des Teams auf seiner Internetseite wie folgt: „Das Spiel der Schalker wirkt in vielen Phasen antiquiert. (...) Viel zu häufig fehlen der Mannschaft von Di Matteo die Grundlagen, die im modernen Fußball nötig sind, um Spiele zu gewinnen. Die Schalker verfügen weder über ein schnelles Umschaltspiel, noch über einen geplanten und gezielten Spielaufbau aus der Abwehr.“

10:30 Uhr: Favre wird morgen Abend im Pokal-Viertelfinale auf der Bielefelder Alm (19 Uhr, live bei Sky) auf einen seiner Vorgänger treffen. Was kaum jemand weiß: Norbert Meier, der Trainer der Bielefelder, hat seine Trainerkarriere vor Urzeiten bei Borussia Mönchengladbach begonnen. Er trainierte Mitte der Neunziger die U 23 (damals sagte man noch: die Amateure) des Klubs, in der unter anderem zwei hoffnungsvolle Talente namens Andrej Woronin und Sebastian Deisler spielten. Meier arbeitete durchaus erfolgreich. Er führte die zweite Mannschaft erstmals in die Oberliga und qualifizierte sich zudem 1997 für die erste Runde des DFB-Pokals, in der er mit 0:1 am Bundesligisten VfB Stuttgart scheiterte.

Drei Monate später wurde Meier von den Amateuren zu den Profis befördert, die in akuter Abstiegsnot steckten. Das Modell Dardai sozusagen. Nur weniger erfolgreich. Ende März – nach nur zwei Siegen aus elf Spielen – musste er als Trainer zurück zu den Amateuren. Sein letztes Spiel mit den Gladbacher Profis war übrigens ein 0:0 auf eigenem Platz gegen den Tabellenletzten Arminia Bielefeld.

Da lacht der Schweizer. Lucien Favre hat aus einem Abstiegskandidaten einen Champions-League-Anwärter geformt.

© Imago

10:15 Uhr: Unter anderen Umständen würden die Fans von Borussia Mönchengladbach vermutlich schon zittern vor dem morgigen Pokalviertelfinale. Immerhin geht es gegen den einzigen noch verbliebenen unterklassigen Verein im Wettbewerb. Nach der jüngsten Entwicklung gehen die Gladbacher das Spiel bei Arminia Bielefeld allerdings mit vorsichtigem Optimismus an - obwohl sie in der Vergangenheit mit einer solchen Konstellation einschlägige Erfahrungen gemacht haben. In den vergangenen 17 Jahren sind sie neun Mal gegen unterklassige Vereine ausgeschieden.

Lucien Favre, den Serienkiller, interessieren solche Statistiken wenig. Er fürchtet jeden Gegner – zumindest ein bisschen. „Der Pokal hat nichts zu tun mit der Meisterschaft. Bielefeld hat Hertha und Bremen rausgehauen, das sagt alles“, sagt Favre. „Es ist kompliziert, dort zu spielen. Sie sind sehr engagiert, sehr athletisch, spielen guten Kombinationsfußball und sind bei Standards gefährlich.“

9:50 Uhr: Für einen Tabellensiebten wie die TSG Hoffenheim ist es ja eigentlich nichts Ehrenrühriges, gegen den Dritten zu verlieren. Für die Fans von Borussia Mönchengladbach war der Sieg im Kraichgau am Wochenende trotzdem ein ganz besonderer. Es war im neunten Versuch (inklusive Zweiter Liga und Pokal) der erste überhaupt bei den Hoffenheimern. Dass so etwas inzwischen möglich ist, irritiert den Anhang der Gladbacher immer noch ein bisschen – weil es mit ihren Gewohnheiten der vergangenen zwanzig Jahre bricht. Die Borussenfans müssen erst einmal zwei Jahrzehnte Abstiegskampf aus den Knochen oder besser: aus dem Kopf bekommen.

Der Fan an sich, egal ob er zu Borussia Mönchengladbach hält, zu Eintracht Frankfurt oder Hertha BSC, ist in seinem Herzen eigentlich ein Pessimist. Wenn seine Mannschaft (wie zuletzt Gladbach) also bei den Bayern gewinnt, geht er erst einmal davon aus, dass sie das folgende ungleich leichtere Spiel natürlich wieder verlieren wird. Typisch ... (... Borussia, ... Eintracht, ... Hertha). So war das auch bei den Gladbachern eigentlich immer. Aber das alles zählt offensichtlich nicht mehr, seitdem Lucien Favre die Mannschaft trainiert (seit mehr als vier Jahren übrigens schon, so lange wie außer Jürgen Klopp kein anderer aktueller Bundesligatrainer). Favre ist der Serienkiller.

Gleich in seinem zweiten Heimspiel im März 2011 haben die Gladbacher zum ersten Mal überhaupt gegen die TSG Hoffenheim gewonnen. Unter Favre haben sie im Januar 2012 zum ersten Mal nach mehr als 17 Jahren wieder beim VfB Stuttgart gewonnen. Unter Favre haben sie 2011 zum ersten Mal seit 16 Jahren wieder bei den Bayern gewonnen. (Unter ihm haben sie in vier Jahren auch schon doppelt so oft bei den Bayern gewonnen wie in den 45 Jahren zuvor ohne ihn.)

Zwei schwarze Serien harren jetzt noch der Erledigung durch Favre. In Bremen hat Borussia Mönchengladbach zuletzt im März 1987 gewonnen. Und gegen Leverkusen hat es für die Gladbacher im eigenen Stadion seit Februar 1989 keinen Sieg mehr gegeben. Gegen Leverkusen spielen sie am 9. Mai. In Bremen eine Woche später.

9:30 Uhr: Aus heutiger Sicht irritiert einen der Furor, mit dem vor sieben Jahren über die TSG diskutiert wurde. Ich erinnere mich noch an eine Pro-und-Contra-Diskussion in unserer Zeitung zu der Frage, ob so ein Konstrukt überhaupt in der Bundesliga mitspielen dürfe und ob es dort auch dauerhaft überleben könne. Mein Herz hat damals gesagt: Nein; mein Verstand aber: ja. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher, ob Hoffenheim wirklich auf Dauer ein ganz normaler Bundesligist werden kann. Um einmal aus dem damaligen Text zu zitieren: „Warum gibt es das Experiment TSG 1899 Hoffenheim in der Bundesliga? Weil ein Mann mit einem Vermögen in Oligarchenqualität Lust dazu hatte. Mehr nicht.“

Seit dem Aufstieg 2008 hat das Projekt TSG 146 Millionen Euro Verlust gemacht. Mit anderen Worten: Die TSG ist aus sich selbst heraus nicht lebensfähig, sie wird immer am Geld des Dietmar Hopp hängen. Von einst 250 Millionen Euro Eigenkapital (das Hopp zur Verfügung gestellt hat), sind schon jetzt nur noch 108 Millionen übrig. Wenn die Verluste im bisherigen Tempo weitergehen (und außerplanmäßige Einkünfte etwa aus der Champions League weiterhin ausbleiben), wird Hopp um eine Kapitalerhöhung schon bald nicht herumkommen.

Solange Dietmar Hopp, der in drei Wochen 75 wird, das Sagen hat – kein Problem. Was aber, wenn er nicht mehr da ist? Ob sein als Nachfolger erkorener Sohn Lust hat, sein mutmaßlich üppiges Erbe weiterhin durch die Alimentierung eines Fußballvereins zu pulverisieren? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Machen Sie eine typische Handbewegung. Firmino (l.) kommt mit der TSG Hoffenheim nicht entscheidend voran.

© dpa

9:15 Uhr: Dass Dietmar Hopp so viel Geld in die TSG gesteckt hat, hat natürlich rein gar nichts mit persönlicher Eitelkeit zu tun; es ist vor allem als Dienst an seiner Heimat, an den Menschen der sogenannten Metropolregion Rhein–Neckar zu verstehen. Aber offensichtlich brennt inzwischen nicht einmal mehr die fußballentwöhnte Metropolregion für die TSG. Christian Heidel, der Manager des FSV Mainz 05, hat vor einem Monat in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erzählt: „In Hoffenheim waren bei unserem Spiel am vergangenen Samstag offiziell 24.000 Zuschauer, im Stadion waren aber vielleicht 18.000, weil viele trotz Dauerkarte zu Hause blieben.“

Das deckt sich mit meinen Beobachtungen. Im Fernsehen, bei Spielberichten aus Sinsheim, fallen einem immer wieder deutliche Lücken auf den Rängen ins Auge. Das Eventpublikum schätzt Mittelmaß eben auf Dauer nicht. Offiziell beliegt der Zuschauerschnitt der Hoffenheimer in der laufenden Spielzeit bei 26.548. In sieben Jahren Bundesliga war er nur einmal schlechter: in der Saison 2012/13, als die TSG gegen den Abstieg spielte.

Ich erinnere mich noch an einen Auftritt von Hoffenheims Trainer Markus Gisdol im Aktuellen Sportstudio im vergangenen Herbst. Da wurde er auf das Thema angesprochen, ganz konkret auf die Zuschauerresonanz beim DFB-Pokalspiel gegen den FSV Frankfurt. 11.441 Zuschauer wollten die Zweitrundenbegegnung sehen. Gisdol fragte ganz entrüstet, wer, außer vielleicht Bayern und Dortmund, denn mehe als 11.441 Zuschauer gegen den FSV Frankfurt mobilisiere. Gegenfrage: Bei welchem Bundesligisten kämen weniger, außer vielleicht bei Bayer Leverkusen und beim VfL Wolfsburg, der in derselben Spielrunde vor 7608 Zuschauern gegen den 1. FC Heidenheim spielte.

9:00 Uhr: Heute Abend darf die TSG Hoffenheim ausnahmsweise mal wieder auf einer großen Bühne vorspielen. Die üblichen 80.000 Zuschauer werden vermutlich das Stadion in Dortmund bevölkern, wenn um 20.30 Uhr das DFB-Pokal-Viertelfinale zwischen dem BVB und der TSG angepfiffen wird. Und sogar im freien Fernsehen (ARD) wird die Begegnung zu sehen sein. Für die Hoffenheimer ist das ein eher seltenes Vergnügen. Aber das ist irgendwie auch nicht weiter schlimm.

Als der Dorfverein vor sechseinhalb Jahren in die Bundesliga aufgestiegen ist, hat er noch ähnlich heftige Reaktionen hervorgerufen, wie es aktuell der Retortenklub Rasenballsport Leipzig tut. Inzwischen stößt die TSG auf allgemeine Gleichgültigkeit. Bestenfalls.

Um es mal ein bisschen überspitzt zu formulieren: Hoffenheim ist das Nullmedium der Fußball-Bundesliga. Ein Neutrum, das wegen Irrelevanz niemandem mehr weh tut. Der Klub besetzt einen von 18 Plätzen – viel mehr lässt sich über ihn eigentlich nicht sagen.

Nach der 1:4-Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach am Wochenende droht die TSG das Ziel Europapokal wieder einmal zu verpassen. Das Thema wird immer mehr zu einer Obsession für den Klub und seinen Schöpfer Dietmar Hopp. Die Hoffenheimer haben es nicht einmal in der Saison nach dem Aufstieg geschafft, als sie im Winter noch Tabellenführer waren – und am Ende auf Platz sieben einliefen. Nie zuvor und danach in der Geschichte der Fußball-Bundesliga ist ein Herbstmeister in der Rückrunde tiefer gestürzt.

Von den 18 aktuellen Bundesligisten haben in der Zeit, in der Hoffenheim erstklassig ist, nur vier nicht europäisch gespielt: Paderborn (was nach nicht mal einer Saison Bundesliga auch schwierig ist), Köln, Augsburg (noch) und eben Hoffenheim. Selbst Hertha BSC hat es seit 2008 in den Europapokal geschafft.

Angeblich hat Dietmar Hopp sich sein Hobby TSG bisher alles in allem 350 Millionen Euro kosten lassen. Eine Menge Geld. Eine Menge Geld vor allem für anhaltendes Mittelmaß.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false