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Guten Tag, ich komme jetzt öfter. Thomas Tuchel unterscheidet sich nicht nur optisch vom Vorgänger – er will auch anders Fußball spielen lassen.

© Imago/DeFodi

Thomas Tuchel und Borussia Dortmund: Die großen Fußstapfen des Jürgen Klopp

Borussia Dortmund muss sich nach sieben Jahren unter Jürgen Klopp erst noch an den neuen Trainer Thomas Tuchel gewöhnen.

Es ist alles noch ein bisschen ungewohnt. Da sitzt er, das doppelte T auf dem Trainingsanzug, wo vorher jahrelang „JK“ zu lesen stand. Thomas Tuchel lächelt und spricht ruhig, aber bestimmt davon, das nun etwas beginnen soll. Dieses Etwas ist eine neue Zeitrechnung. Heute wird Tuchel sein erstes Heimpflichtspiel als Trainer von Borussia Dortmund bestreiten, in dem Stadion, das sieben Jahre lang das Wohnzimmer Jürgen Klopps war. 60 000 Zuschauer werden wohl kommen zum Rückspiel in der Qualifikation zur Europa League, auch wegen ihm. Sie wollen ihn sehen, den fast zerbrechlich wirkenden Schwaben, der den Mann ersetzen soll, der in Dortmund zur Legende wurde.

Der Vergleich mit Jürgen Klopp kommt zwangsläufig – immer und immer wieder. Damit muss Tuchel leben, das wusste er vorher. Und weil sich der 41-Jährige stets gut vorbereitet, hält er die Vergleiche mit seinem Vorgänger bisher „mit großer Gelassenheit aus“, wie Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sagt. Tuchel hat in den ersten Wochen seines Schaffens dokumentiert, dass er das Erbe Klopps nicht einfach verwalten, sondern etwas Neues erschaffen will. Tuchel steht für Akribie und Vehemenz. Das zeigte sich während der gesamten Vorbereitung. Im Training schreitet er mit großem Körpereinsatz ein, wenn die Dinge nicht in die Richtung laufen, die er vorgibt.

Und da gibt es noch einiges zu tun. Dortmund muss sich nach den Klopp-Jahren erst an den Neuen gewöhnen. Auch die Spieler brauchen noch Zeit, um Tuchels Ideen so zu verinnerlichen, dass sie ins automatische Bewegungsrepertoire übergehen. Aufgrund des engen Terminplans vor dem Saisonstart befindet sich Tuchel „im permanenten Spagat“. Auf der einen Seite würde er „gern noch höhere Umfänge“ absolvieren, auf der anderen Seite „dürfen wir das Rad nicht überdrehen“.

Was er meint, war im Hinspiel der Qualifikation zur Europa League beim österreichischen Vertreter Wolfsberger AC exemplarisch zu beobachten. Es war auffällig, wie stark die Dortmunder beim schmeichelhaften 1:0-Sieg nachließen, als die Kräfte schwanden, und wie sehr die Mannschaft in die Fehler der vergangenen Saison zurückfiel. Innerhalb von wenigen Augenblicken ging jegliche Souveränität verloren, jegliche Stärke war gegen einen biederen Gegner wie weggewischt. „Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen“, sagte Nationalspieler Marco Reus. Beim heutigen Rückspiel (20.30 Uhr, live im Ticker bei Tagesspiegel.de) wollen die Dortmunder nicht nur die Play-offs zum Einzug in die Gruppenphase erreichen, sondern dabei auch nachweisen, dass sie Tuchels Ansichten verinnerlicht haben.

Zur Heimpremiere trifft Tuchel am Donnerstag auf den Wolfsberger AC

Es geht darum, die Zeitenwende einzuleiten und dabei einen neuen Stil zu etablieren. In der siebenjährigen Schaffensperiode von Jürgen Klopp hatte der BVB die Philosophie vom Pressing und Gegenpressing auf eine neue Stufe gehoben. Für ihr überfallartiges Umschaltspiel war die junge und hungrige Mannschaft europaweit gefeiert worden, bis sie in der letzten Saison schmerzhaft an ihre Grenzen stieß.

Tuchel bricht nun gewissermaßen die fußballerischen Brücken zu Klopp ab. Er will in Dortmund anders spielen lassen als der Mann, den er schon in Mainz als Trainer beerbte. Sein Plan in Kurzform: möglichst viel Ballbesitz der Mannschaft, möglichst kurze Ballbesitzzeiten der einzelnen Spieler. Eine dominante Spielweise mit so schneller Passfolge, dass der Gegner nicht mehr mitkommt – das ist Tuchels Idealvorstellung von Fußball.

Bei seiner sanften Revolution hat Tuchel auch damit zu kämpfen, dass er permanent unter verschärfter Beobachtung steht. Schließlich genießt sein Vorgänger in Dortmund Heldenstatus. Bei den ersten Rückschlägen wird sich Tuchel mit der Aussage konfrontiert sehen, Klopps Fußstapfen seien zu groß für ihn.

Dortmunds Macher werden Geduld aufbringen müssen, um dem standzuhalten. Dass sie diese Tugend beherrschen, haben Geschäftsführer Watzke und Sportdirektor Michael Zorc zuletzt nachgewiesen. In Krisenzeiten standen sie Klopp mit einer Loyalität zur Seite, die in der überhitzten Branche ihresgleichen sucht. Um den Druck vom Nachfolger zu nehmen, singt Watzke unermüdlich das hohe Lied auf den neuen Trainer. Er sei von seiner leitenden Fachkraft „total überzeugt“, sagt der 59-Jährige. Tuchel arbeite „höchst professionell mit seinem Team, ist fachlich überragend und sehr ambitioniert“.

Allerdings gibt es neben der sportlichen auch eine spirituelle Ebene. Tuchel wird sich noch eine Weile mit dem Geist von Klopp arrangieren müssen, der weiterhin im Trainingszentrum von Brakel, im Stadion und im Umfeld des BVB herrscht. Sie haben ihren Jürgen geliebt. Entertainer, Medienprofi, Volkstribun – Dortmunds Trainerikone wusste die gesamte Klaviatur zu bedienen, um sich publikumswirksam in Szene zu setzen. Tuchel eilte dagegen aus Mainz der Ruf voran, unnahbar und spröde zu sein. Doch bei seinen bisherigen Auftritten bewährte er sich auch auf dem Feld, das für ihn am schwersten bespielbar scheint. Freundlich, eloquent, verbindlich: Gespräche mit Tuchel vor und nach den Spielen bieten zwar keine so große Unterhaltung wie einst bei Klopp, können dafür aber äußerst lehrreich sein.

Es scheint, als könne Thomas Tuchel in Dortmund ein neues Arbeitsklima etablieren. Spieler wie Ilkay Gündogan oder Mats Hummels schwärmen von den vielfältigen Möglichkeiten seiner Übungen. „Jeder fährt die Antennen wieder mehr aus“, berichtete Geschäftsführer Watzke jüngst. „Selbst unsere Neugier ist geweckt.“ Die Neugier der Fans ist ohnehin grenzenlos. Heute können sie ihn endlich begrüßen, ihren neuen Trainer.

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