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Unsere Reporterin Magdalena Austermann legt ihr Schicksal in die Hände von Sven Schmidt (BRSNW).

© promo

Para-Wintersportler aus NRW sind eine Seltenheit: Tief im Westen

Teilnehmende aus Nordrhein-Westfalen suchte man im deutschen Paralympics-Team vergebens. Dabei wird in Sachen Para-Ski viel in NRW unternommen. Ein Besuch in Winterberg.

Von Magdalena Austermann

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Baden-Württemberg holte Gold, Silber ging an Bayern, Hessen und das Saarland teilten sich Rang drei. So sieht das Siegertreppchen aus, schaut man sich die Geburtsorte der deutschen Paralympics-Teilnehmenden in Peking an. Wirklich hart umkämpft sind die Plätze auf dem Podest allerdings nicht: Alle 22 Sportlerinnen und Sportler, die bei den Winterspielen für Deutschland antraten, wurden in diesen vier Bundesländern geboren. Bayern und Baden-Württemberg dürfte dabei niemanden überraschen, befinden sich in diesen Landesteilen doch die meisten Skigebiete in Deutschland. Auf dem Bronzerang hätte ich, eine Reporterin aus NRW, allerdings ein anderes Bundesland vermutet: Meine Heimat und damit die mit Abstand bevölkerungsreichste Region der Republik.

Dabei können wir doch Wintersport: In NRW findet man das größte Wintersportgebiet nördlich der Alpen und bei den diesjährigen Olympischen Spielen haben vier Sportlerinnen und Sportler aus NRW Gold geholt. Für Menschen mit Behinderung scheint das Bundesland in Sachen Wintersport aber überhaupt nicht attraktiv zu sein. Das muss man doch ändern können!?

Das hat sich auch der Deutsche Behinderten- und Rehabilitationssportverband NRW (BRSNW) gedacht und den „Para Schneesporttag für Jung und Alt“ ins Leben gerufen. In Kooperation mit dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) sind schneesportbegeisterte Menschen mit Behinderung nach Winterberg eingeladen, um sich auf der Skipiste auszuprobieren. Da wollte ich natürlich dabei sein.

Vor dem kleinen Schlepplift ist es wuselig

Das Wetter meint es schon mal gut: Strahlender Sonnenschein und blauer Himmel empfangen mich an diesem Samstag im Februar um 11 Uhr in Züschen, einem Stadtteil von Winterberg. Seit zwei Stunden flitzen hier Menschen mit einer körperlichen Behinderung auf Mono- und Bi-Skis und Sehbehinderte mit Guides über die Pisten. Vor dem kleinen Schlepplift ist es wuselig, es herrscht Normalbetrieb und an einem so schönen Wochenende strömen hunderte Skibegeisterte in den Wintersportort – normalerweise mehrheitlich Menschen ohne Behinderung. Deshalb fallen die sitzenden Skifahrerinnen und Skifahrer direkt auf und ziehen neugierige Blicke auf sich.

Pascal Renneberg freut sich über diese Aufmerksamkeit für den Para-Sport. Der Schneesportbeauftragte des BRSNW ist Mitorganisator und kommt grade in seiner orangenen Jacke von der Piste auf mich zugefahren. „Wir sind mit dem DBS die Skigebiete im Sauerland abgegangen und haben sie auf Barrierefreiheit überprüft“, erzählt er über die Anfänge der Veranstaltung. Damit ein Skigebiet auch von Menschen mit Behinderung genutzt werden kann, müssen grundlegende Voraussetzungen wie barrierefreie Toiletten oder ein breiter Zugang an den Skiliften für die Mono- und so genannte Bi-Skibobs erfüllt werden.

Als Wintersportfan war ich schon in vielen Skigebieten unterwegs und mir fällt kein einziges ein, das diese Anforderungen erfüllt. Mit Jan Homann, dem Betreiber des Gebietes in Züschen, hat sich jemand gefunden, der diese Punkte ohne Wenn und Aber umsetzen möchte. „Daraus ist dieser Tag entstanden, um so viele Menschen wie möglich die Schneesport erfahren wollen, auf den Schnee zu bringen“, erzählt ein sichtlich stolzer Renneberg.

Für viele, wie die achtjährige Minka, geht mit diesem Tag ein Traum in Erfüllung. Sie versucht nach der kurzen Mittagspause aus ihrem Rollstuhl mit der Hilfe ihres Papas in den engen Monoski zu kommen, was dem aufgeweckten Mädchen so gar nicht passt. „Ich war einfach der Papa, das war der Fehler“, kommentiert Vater Jan Christe lachend die Situation, nachdem der Umstieg nach einiger Zeit und der Unterstützung einer erfahrenen Helferin des BRSNW doch noch funktioniert hat. Das Vater-Tochter-Duo ist für den Tag extra aus Hannover angereist und schon seit einigen Stunden auf der Piste unterwegs. „Ich hatte noch nie so einen anstrengend Skinachmittag, das war echt Hochleistungssport“, gibt Jan Christe schmunzelnd zu, nachdem er diverse Male den kleinen Berg hoch und wieder runtergerannt ist. Dass sich die Anstrengung lohnt, weiß er spätestens, wenn er in das Gesicht seiner Tochter schaut und die „Kinderaugen leuchten sieht“. Aber auch für ihn geht mit dem Tag ein „Herzenswunsch“ in Erfüllung, denn das nächste Ziel soll ein gemeinsamer Skiurlaub mit Minka und ihrer dreijährigen Schwester sein. „Minka fährt im Monoski, der Papa hinterher und die Kleine muss Snowboardfahren lernen“, bringt der langjährige Snowboardfan Christe seine Wunschvorstellung auf den Punkt.

„Da passe ich rein?!“

Für Juules Beck sind Skiurlaube nichts Neues – allerdings als stehende Fahrerin. Seit sie sechs Jahre alt ist fährt sie regelmäßig mit Vater Ingo, der sie auch heute begleitet, in den Skiurlaub. Da die 25-Jährige aufgrund einer neurologischen Erkrankung seit Juni im Rollstuhl sitzt, stellt sie sich aktuell auf das Skifahren im Sitzen um, was „sehr schwierig“ sei. „Beim Skifahren kann man viel mit Kraft ausgleichen“, erzählt sie. Das sehe zwar „nicht schön aus“, sei „mega anstrengend“, aber „man bleibt zumindest stehen“. Beim Monoski sei das anders: „Wenn man einmal das Gewicht verloren, sich einmal in die falsche Richtung gelehnt hat, dann fällt man halt um“, erzählt sie von ihren Erfahrungen. Das Skifahren im Sitzen „viel schwieriger“ als im Stehen, denn „mir fehlt die Hüfte, sodass ich alles aus dem Oberkörper machen muss“, erzählt sie.

Für Juules Beck und Vater Ingo fahren regelmäßig in den Skiurlaub.
Für Juules Beck und Vater Ingo fahren regelmäßig in den Skiurlaub.

© Hoffmeister/BRSNW

Ihre ersten Erfahrungen im Monoski sammelte sie bei einem Schnupperkurs des BRSNW in der Skihalle Neuss und sich trotz der anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Gerät angefreundet. In Züschen will sie ihre Fähigkeiten ausbauen – bisher funktioniert das allerdings nicht so gut. „Heute ist es ein bisschen schwierig, weil das Material nicht so ganz kooperiert“, erzählt die junge Frau. Die Ratsche am Ski sei verbogen und der Krückski, die Stöcke für Monoskifahrerinnen und -fahrer, bereite Schwierigkeiten, weil „er sich schwer öffnen lasse“. Daher wolle sie später noch einen Bi-Ski ausprobieren, der aufgrund seiner zwei Skier etwas stabiler ist.

Wie es sich anfühlt, in einem Bi-Ski zu sitzen, darf ich an diesem Tag am eigenen Leib erfahren. Renneberg zeigt mir dafür einen für mich passenden Bob. „Da passe ich rein?!“, frage ich ungläubig beim Anblick des eher klein und kurz erscheinenden Fahrgerätes und mit Gedanken an meine dicken Schneeschuhe, die irgendwie in das Fahrgestell passen müssen.

Der Einstieg in den Bob ist ungewohnt, die harte Sitzschale ist extrem tief und ich lasse mich ungeschickt in diese reinfallen. Allein wäre ich schon längst umgekippt, aber Sven Schmidt, ein Helfer des BRSNW, hält den Bob fest.

Renneberg zieht mehrere Gurte eng um meinen ganzen Körper, sodass ich nur noch im Bereich des Oberkörpers Bewegungsfreiheit habe. „Du musst dir vorstellen, dass da normalerweise Menschen mit Querschnittlähmung drinsitzen“, erklärt mir der Schneesportbeauftragte. „Die haben auch nur ihre obere Körperhälfte, um den Ski zu lenken“. Die Enge fühlt sich ungewohnt beklemmend an und wird beängstigend, als ich gemeinsam mit Begleitfahrer Schmidt auf den Schlepplift zufahre, um auf den Berg zu kommen. Wir umfahren die schmalen Drehkreuze, sodass wir die lange Menschenschlange umgehen und direkt vor dem Start des Liftes zum Stehen kommen. Noch kann ich mir nicht vorstellen, auf den Berg zu gelangen, ohne auf halber Strecke umzufallen. „Wir sind mit einem Sicherheitsseil miteinander verbunden“, nimmt mir Schmidt die Angst. Er befestigt ein zusätzliches Seil an dem Bi-Ski, durch das das Fahrgestell mit dem Ankerbügel verbunden wird.

Bei der ersten Fahrt stellt sich ein Gefühl von Hilflosigkeit ein

Das Einhängen des Ankerbügels funktioniert mit der Hilfe eines geschulten Mitarbeiters des Liftpersonals erstaunlich gut – und dann geht es auch schon los. Mit einem großen Ruck setzt sich der Ski inklusive Schmidt, der immer noch hinter mir steht, in Bewegung. Mein Gewicht verteilt sich vor allem auf den hinteren Teil des Fahrgestells, sodass der vordere Teil plötzlich die Fahrspur verlässt und in der Luft hängt. „Das ist ein bisschen wie bei einem Wheelie auf dem Motorrad“, beschreibt Schmidt grinsend diesen Anblick. Nachdem mich dieser ungewohnte Move kurzzeitig überrumpelt, macht mir das Liftfahren richtig Spaß, – sogar mehr als das doch eher langweilige Fahren im Stehen. Lange hält der Fahrspaß allerdings nicht an, denn das Ende der Schleppliftstrecke ist in Sichtweite. Mithilfe eines Sicherheitsknopfes löse ich das Seil auf einer Seite des Monoskis und ich verliere die Verbindung zu dem Lift.

Die eigentliche Schwierigkeit kommt aber erst noch. Die Piste ist für Anfänger geeignet, sieht aus meiner sitzenden Perspektive aber plötzlich viel steiler aus als aus der Stehenden von unten. „Lehn dich gerne ein bisschen in die Kurven, um mich zu unterstützen“, sagt Schmidt, bevor wir gemeinsam die ersten Meter über die breite Piste fahren. Krückski habe ich nicht dabei, sodass ich mich hauptsächlich auf meinen Begleitläufer verlassen muss.

Im Ernstfall nicht allein reagieren zu können, bei diesem Gedanken setzt in mir in den ersten Kurven ein Gefühl von Hilflosigkeit ein. Ich verdränge die Angst und versuche die Fahrt zu genießen, was bis zu einem eisigen Teilstück der Strecke gut gelingt. Schmidt schafft es nicht, das Gefährt um eine Linkskurve zu lenken, sodass wir schnurstracks auf Bäume auf der rechten Seite der Piste zufahren. Reflexartig versuche ich mit den Händen auf dem kalten Boden zu bremsen, aber wir sind zu schnell unterwegs und landen abseits der Piste neben einem Baumstamm. Der Monoski kippt um und ich brauche erst mal ein paar Minuten, um mich zu sammeln. Renneberg, der ein paar Meter hinter uns gefahren ist, zieht mich auf die Piste zurück und nach dem ersten Schock geht es den restlichen Berg hinunter.

Heute sitzt er im Rollstuhl, will auf sein Hobby aber nicht verzichten

Auch wenn ich mich bei dem kleinen Zwischenfall nicht verletzt habe, fährt bei der nächsten Abfahrt die Angst wieder mit. Dieses Mal nutze ich allerdings Krückski, sodass die Unsicherheit zumindest ein wenig nachlässt. „Versuche dich kurz vor den Kurven mithilfe des Krückskis abzustützen“, rät mir Schmidt. So kommen wir dieses Mal unfallfrei am Lift an, ein weiteres Mal möchte ich aber nicht fahren. Man soll sein Glück ja nicht überstrapazieren.

Leon Gensert ist Teil des Para-Ski-Alpin Nachwuchskaders.
Leon Gensert ist Teil des Para-Ski-Alpin Nachwuchskaders.

© Hoffmeister/BRSNW

Zwei, für die das Fahren im Sitzen mittlerweile zur Routine gehört, sind Leon Gensert und Rouven Ackermann. Die beiden sind Teil des Para-Ski-Alpin Nachwuchskaders, die an diesem Tag in Züschen trainieren. Gensert und Ackermann meistern auch die eisige Stelle, an der ich im Bi-Ski gestürzt bin, problemlos und kommen gekonnt vor dem Schlepplift zum Halten. „Ich glaube, wenn man gut Skifahren kann, dann kann man auch einigermaßen Monoski fahren, denn die Bewegungen sind zwar leicht anders, aber das Grundprinzip ist das gleiche“, erklärt mir Gensert den Unterschied zwischen stehend und sitzend fahren. Und der Schüler weiß, wovon er spricht: Bevor er mit 13 Jahren einen seltenen Rückemarksinfarkt hatte, ist er fast zehn Jahre lang als Fußgänger Ski gefahren. Heute sitzt er im Rollstuhl, will auf sein Hobby aber nicht verzichten. „Ich wollte im Krankenhaus eigentlich direkt wieder loslegen mit dem Skifahren“, erzählt er über die Zeit nach dem Unfall und stand wenige Monate später wieder auf der Piste. Seit 2019 gehört der 17-Jährige dem DPS-Nachwuchsteam an und trainiert gemeinsam mit Freund Rouven für seinen großen Traum: die Paralympics in Cortina d’Ampezzo 2026. Dafür trainieren die beiden fünf bis sechs Mal die Woche zu Hause und stehen mindestens alle zwei Wochen bei Lehrgängen auf Skiern, – so auch in Winterberg.

Mit Gensert und Ackermann hätte NRW trotzdem nicht die lang ersehnten Teilnehmer für die Paralympics. Gensert kommt aus Hessen, Ackermann aus Baden-Württemberg. Aber es gibt Hoffnung: Mit Isabell Thal gibt es eine Fahrerin im Nachwuchskader, die aus NRW kommt, – aber nicht für das Bundesland startet. Die Bochumerin tritt für den TSV Kareth-Lappersdorf, einem Verein aus Bayern, an. Ein Problem, das Renneberg zukünftig gerne lösen möchte: „Unser Ziel ist, die Skifahrer aus NRW im heimischen Skiverband unterzubringen und über längere Zeit einen eigenen Landeskader aufzubauen, damit man an den deutschen Meisterschaften auch als Nordrhein-Westfalen teilnehmen kann.“

Damit das gelingt und Para-Wintersport auch in NRW bekannt wird, soll der Schneesporttag zukünftig wiederholt werden. Renneberg könnte sich eine jährliche Austragung vorstellen – gerne auch wieder mit Vorbildern wie Leon Gensert und Rouven Ackermann. „Ich weiß, wie es bei mir selbst war, als ich vor ein paar Jahren angefangen habe“, erinnert sich Gensert. „Ich habe auf YouTube irgendwelche anderen Fahrer entdeckt und dann erst gecheckt, was alles möglich ist.“ Im Para-Skisport ist so einiges möglich – auch in Nordrhein-Westfalen.

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