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Sport: Tödlicher Speer

Trotz Sicherheitsschulungen stirbt in Düsseldorf ein Kampfrichter – er war zu früh zum Messen gelaufen.

Berlin - Wenn bei der Leichtathletik eine Wurfdisziplin beginnt, sei es mit dem Speer, dem Hammer oder Diskus, wird der Innenraum des Stadions zur gefährlichen Zone. Es fliegen scharfe Waffen durch die Luft und ihre Flugbahn ist auch wegen des Windes nicht immer leicht vorherzusehen. Ein Kampfrichter hat sich am Sonntag bei einem Wettkampf in Düsseldorf verschätzt – mit tödlicher Folge. Er wurde von einem Speer am Hals getroffen und starb später im Krankenhaus.

Solche tragischen Fälle ereignen sich meist bei kleineren Wettkämpfen. In England erlag vor zwölf Jahren ein Kampfrichter bei einem Juniorenwettkampf seinen Kopfverletzungen, nachdem er beim Hammerwerfen getroffen worden war. Er hatte das Gerät nicht gesehen. 2007 ereignete sich ein Unglück auf der internationalen Bühne. Beim Golden-League-Meeting in Rom landete der Speer des Finnen Tero Pitkämäki im Rücken des französischen Weitspringers Salim Sdiri. Pitkämäkis Wurf war außerhalb des Sektors geflogen, die Weitsprunganlage liegt im Olympiastadion von Rom anders als in anderen Stadien nicht zwischen Tribüne und Laufbahn, sondern zwischen Laufbahn und Innenraum. Pitkämäki hatte seinen Wurf technisch etwas verrissen.

Die starke Muskulatur des Franzosen schützte ihn vor einer schlimmeren Verletzung, er konnte wenig später wieder bei Wettkämpfen starten. Die deutsche Speerwerferin Christina Obergföll sagte, dass gerade auf den Aufwärm- und Trainingsplätzen Risiken bestünden. „Im Training sind mir einmal bei 50 oder 55 Metern Weite Kinder über den Rasen gelaufen, und ich habe es nicht gesehen“, sagte sie, „ich habe geschrieen wie am Spieß. Zum Glück war mein Wurf zu kurz.“

Kampfrichter sind auf die Gefahren der fliegenden Sportgeräte eigentlich gut vorbereitet. Sie werden ausgiebig geschult und haben meist eine gute Aus- und Fortbildung hinter sich, ehe sie im Innenraum Würfe vermessen dürfen. „Schon in der Ausbildung ist Sicherheit ein Thema, dann sammeln sie Praxis unter der Anleitung von erfahrenen Schiedsrichtern“, sagt Klaus Hartz, Deutschlands oberster Kampfrichter. Als sich nun das Unglück in Düsseldorf bei einem Nachwuchswettkampf ereignete, war er bei den Deutschen Mehrkampfmeisterschaften in Hannover. Auch dort wurden die Kampfrichter wie bei jedem Wettkampf über die Risiken belehrt. „Sie müssen einen eigenen Sicherheitsbogen unterschreiben“, sagt Hartz.

Nach dem jetzigen Stand der Dinge hatte sich der Kampfrichter in Düsseldorf jedoch nicht an eine Regel gehalten. Er lief schon in Richtung des Speers, als der noch nicht im Rasen steckte. Die Kampfrichter sollen eigentlich außerhalb des Sektors warten, bis das Wurfgerät gelandet ist und erst dann loslaufen. Eine entsprechende Bestimmung in den Wettkampfregeln gibt es aber nicht. In einem Anhang zu den Regeln heißt es nur: „Die am Wurfwettbewerb beteiligten Kampfrichter (...) haben den Flug des Wurfgeräts zu verfolgen“; zudem sollten sie auf ihre Sicherheit sowie auf die Sicherheit von Personen achten, die eventuell an den Begrenzungslinien der Sektoren stehen.

Bis zur Landung zu warten, hat auch einen praktischen Vorteil. „In der Bewegung kann das Bild verschwimmen“, sagt Hartz, die exakte Bestimmung des Landeortes sei dann schwerer möglich. Offenbar laufen jedoch gerade manche erfahrene Kampfrichter früher los und verlassen sich auf ihre Routine. Der Kampfrichter in Düsseldorf war 74 Jahre alt.

Eine Notwendigkeit, früher loszulaufen, besteht beim Hammerwerfen oder bei Männerspeeren nicht. In diesem Fällen liegt oder steckt das Gerät im Rasen. Frauen- und Mädchenspeere, die leichter sind als die Männerspeere, „landen dagegen oft flach und bleiben nicht stecken“, sagt Frank Neuer, Wettkampfwart des Berliner Leichtathletik-Verbands (BLV).

Für Stefan Michel ist es „normal, dass man schon vor dem Einschlag losläuft“. Der Berliner war beim Istaf, dem größten deutschen Meeting, schon mehrfach als Kampfrichter beim Wurf eingesetzt. Eigensicherung steht auch für ihn über allem, allerdings könne man auch die Flugbahn eines Geräts verfolgen, „die ändert sich ja nicht“. Zudem beobachte er immer auch den Abwurf. Michel befindet sich in der Regel zwischen fünf und zehn Metern vom Einschlagpunkt entfernt. Vor allem beim Diskuswerfen gebe es kaum einen Kampfrichter, der aus sicherer Entfernung den Aufprall beobachtet. Denn der Diskus rutscht immer über den Boden. Michel ist es schon passiert, dass er den Einschlagpunkt nur geschätzt hat, obwohl er in der Nähe des Landepunktes gestanden hatte.

„Auch die beste Ausbildung kann keine absolute Sicherheit garantieren“, sagt Klaus Hartz. Der Wettkampf in Düsseldorf wurde nach dem Unfall abgebrochen. Sechs Zuschauer standen unter Schock und mussten ärztlich versorgt werden. Auch der Werfer wird viel Zuwendung brauchen. Er ist 15 Jahre alt. Falsch gemacht hat er nichts, die Anlage war für ihn freigegeben.

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