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Tour de France: "Dann muss der Radsport implodieren"

Jonathan Vaughters half einst Lance Armstrong – jetzt propagiert er mit seinem Tour-Team den sauberen Sport.

Herr Vaughters, wie gefällt Ihnen Ihre erste Tour als Sportdirektor?

Es macht mir sehr viel Spaß. Die ganze Nervosität der hektischen Vorbereitungen ist vorbei, ich genieße es nur noch.

Ihr Team Garmin verkörpert einen neuen Ansatz im Radsport, durch strikte Selbstkontrolle und totale Transparenz. Glauben Sie an einen neuen Radsport?

Ich habe viele Gründe, daran zu glauben. Diese Tour hat eine gute Chance, eine Tour der Erneuerung zu sein. Dem Radsport ist die Decke weggezogen worden, er kann nichts mehr verstecken. Dieser Prozess ist zu weit fortgeschritten, als dass er noch umkehrbar wäre. Ich glaube, dass wir am Ende dieses Prozesses eine kleinere, gesündere Herde haben. Aber die Teams, die überleben, werden eine starke Anti-Doping-Kultur haben.

Es gibt aber viele, gerade in Deutschland, die keine Geduld mehr haben. Ist es nicht zu spät für eine Erneuerung im Radsport?

Die Deutschen sind in allem zu extrem. Sie haben sich von völlig kritiklosen Jublern in der Ullrich-Zeit zu totalen Skeptikern gewandelt. Ich kann nur eines sagen, wenn die öffentliche Meinung uns nicht die Zeit lässt, uns zu wandeln, dann können wir auch nichts ändern. Dann muss der Radsport eben implodieren.

Sie sagen, dass Sie, um Doping zu verhindern, keinen Leistungsdruck auf Ihre Mannschaft ausüben.Was haben Sie für Ziele bei dieser Tour?

Ich sage meinen Jungs ja nicht, dass Sie sich nur amüsieren sollen. Wir sind immer noch Sportler. Wir würden gerne in den ersten zehn Tagen einmal das Gelbe Trikot haben. Das Entscheidende ist, dass wir gewinnen wollen, weil wir Sportler sind und nicht Geschäftsleute. Ich garantiere keinem Sponsor, dass wir alles abräumen, sondern nur, dass die Mannschaft sauber ist.

Sie lassen Ihre Fahrer von der Firma „Agency for an Ethical Cycling“ (ACE) testen, die von Ihnen und dem Team Columbia bezahlt wird. Wo ist da die Unabhängigkeit?

Natürlich wäre es ideal, wenn unsere Tests von einer unabhängigen Körperschaft bezahlt würden. Aber welchem Sponsor könnte man das schmackhaft machen? Zu Beginn unseres Projekts habe ich die amerikanische Anti-Doping-Behörde gebeten, uns bis zum Umfallen zu testen. Dann bin ich zur Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und zum WeltverbandUCI gegangen, aber es gab immer irgendwelche bürokratischen Gründe dagegen. Deshalb haben wir ACE gegründet.

Ist die Uneinigkeit der Verbände im Radsport das größte Hindernis für eine einheitliche und wirksame Dopingbekämpfung?

Sicher. Aber unterhalb der Ebene der Spitzenfunktionäre wird viel besser zusammengearbeitet, als man glaubt. Ich denke, dass wir gar nicht so weit von einem einheitlichen Anti-Doping-Pr ogramm im Radsport entfernt sind. Aber bei der jetzigen Tour de France testet der französische Verband und nicht die UCI, weil die Tour-Veranstalter und die UCI nicht mehr miteinander reden. Aber wer testet ist im Grunde egal, das Entscheidende ist, dass sich die Tests am Wada-Code orientieren. Und das ist weitestgehend gegeben.

Ist Ihr Konzept auch ein Gegenentwurf zur Armstrong-Mannschaft, bei der Sie ja einige Jahre selbst gefahren sind?

Sicherlich – es ist eine Wende um 180 Grad. Meine Erfahrung dort hat mir die Leidenschaft gegeben, einen Sport mit aufzubauen, in dem Athleten nie mehr vor die Entscheidungen gestellt werden, vor die wir gestellt wurden. Am wichtigsten ist, dass man die menschliche Natur akzeptiert, die Tatsache, dass man an einem Tag gewinnt und am nächsten verliert. Wenn das Siegen zur Pflicht wird, dann sind dem Doping Tür und Tor geöffnet.

Sie selbst haben gesagt, Sie hätten keinen Heiligenschein. Warum weigern Sie sich, Details Ihrer Vergangenheit zu verraten?

Intelligente Leute können sich Ihren Teil denken. Ich möchte nicht von dem ablenken, was meine Mannschaft macht. Man hat bei Riis und Aldag gesehen, was für einen Aufruhr ein Geständnis erzeugt. Ein Geständnis würde der Sache nicht helfen. Es geht nicht um mich.

David Millar, ein geständiger Epo-Doper, ist Ihr Mannschaftskapitän.

Er ist mit seiner Vergangenheit der perfekte Mann für uns, er kann überzeugend die jungen Fahrer vor den Fehlern bewahren, die er gemacht hat. Man hat bei ihm Epo gefunden und er hat sofort alles gestanden. Er hat nie geleugnet, wie viele andere oder versucht, sich herauszureden. Das zeigt mir, dass er sein Herz am rechten Fleck hat.

Man wirft Ihnen vor, Ihr Anti-Doping-Programm sei nur ein Marketing-Coup.

Diesen Vorwurf verstehe ich nicht. Wir wollen beweisen, dass der Kampf gegen Doping finanziell erfolgreich sein kann. Man sagt, die Gier habe das Dopingproblem geschaffen. Wir wollen beweisen, dass die Gier es auch lösen kann. Wenn wir wirtschaftlich Erfolg haben, werden sich doch hoffentlich alle anderen fragen, warum sie das nicht auch tun. Nicht jeder hat denselben moralischen Kompass, aber jeder hat mehr oder weniger denselben wirtschaftlichen Kompass.

Das Gespräch führte Sebastian Moll

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