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Sport: Triumph der Tränen

Baghdatis begeistert im Finale der Australian Open, das Favorit Federer gewinnt

Als Roger Federer in den Armen seines Vorbildes Rod Laver heftig schluchzte, war es auch um die Fassung vieler Zuschauer geschehen. In diesem Moment war ihnen der Schweizer sicher näher gekommen, als er das durch seine Siege, sein untadeliges Verhalten und seine hohe Tenniskunst je konnte. Der junge und der alte Meister teilten diesen privaten Moment mit den Fans und einem jungen Mann, der vielleicht eines Tages auch Tennisgeschichte schreiben wird. Diesmal aber hat der selbst erst 24-jährige Federer den vier Jahre jüngeren Emporkömmling Marcos Baghdatis aus Zypern noch abwehren können. Der Schweizer gewann in der nach Laver benannten Arena das Endspiel der Australian Open 5:7, 7:5, 6:0, 6:2 und holte damit seinen siebten Grand-Slam-Titel.

Federer offenbarte nach seinem Triumph, der von ihm wie fast immer selbstverständlich erwartet worden war, den Druck, der auf ihm lastet. „Manchmal ist es für mich zu viel Gefühl“, gestand er ein. Schon bei seinen Wimbledonsiegen hatte Federer ähnliche Emotionen gezeigt und seinen gestrigen Gegner ebenfalls zu Tränen gerührt. „Ich habe ihn damals im Fernsehen gesehen, als er nach seinem ersten Wimbledonsieg geweint hat und habe mitgeweint“, berichtete Baghdatis, dem gestern erst in der Kabine die Tränen kamen. „Weine ruhig weiter“, war die mitfühlende Reaktion seines französischen Trainers Guillaume Payre.

Im Match hatte Baghdatis zunächst an seine sogar für ihn selbst und seine nimmermüde Schar fröhlicher Anhänger kaum fassbaren Leistungen angeknüpft. Von Anfang an setzte er den ungewöhnlich verhaltenen Federer unter Druck, drängte den Weltranglistenersten ständig zurück. Dann, so gestand er ein, sei ihm zu viel durch den Kopf gegangen, vielleicht habe er etwas Angst vor Federer gehabt und nicht wirklich an einen Sieg geglaubt. Baghdatis verpasste im zweiten Satz zwei Chancen, Federer zum zweiten Mal den Aufschlag abzunehmen und 3:0 in Führung zu gehen. Von da an spielte der Schweizer groß auf.

Baghdatis, der nur in Melbourne vor einem Jahr überhaupt über die zweite Runde eines Grand-Slam-Turniers hinausgekommen war, avancierte völlig überraschend zum Spieler des Turniers. Die Geschichte des jungen Mannes von der kleinen Mittelmeerinsel, der im Alter von 13 Jahren ins große Paris umzieht und von dort die Tenniswelt erobert, wurde sogar von Federer als „Superstory“ bezeichnet. Baghdatis tröstete sich selbst und seine vielen Fans: „Ich bin erst 20 Jahre alt, meine Zeit wird noch kommen.“ Schließlich kommt er aus einem kleinen Örtchen namens Paramytha – auf Deutsch heißt das Märchen.

Während Baghdatis noch auf seine große Stunde warten muss, hat Federer einen weiteren Schritt in Richtung der sportlichen Unsterblichkeit gemacht. Seine Emotionen erklärte er später mit mehreren Umständen: mit den drei schweren Matches auf dem Weg ins Finale – unter anderem gegen Nicolas Kiefer –, mit der Anwesenheit Rod Lavers und der Eltern seines tödlich verunglückten früheren australischen Trainers Peter Carter, mit seiner Rolle als haushoher Favorit. „Mir gefällt es, wenn ich meine Emotionen mit tausenden von Zuschauern und hunderttausenden vor dem Fernsehen teilen kann“, sagte Federer.

Federer hat jetzt die Chance, seinen persönlichen Grand Slam zu vollenden. Wenn er auch in Paris siegen sollte, was ihm bisher noch nie gelang, wäre er im Besitz aller vier wichtigen Titel. Vielleicht gelingt ihm ja sogar das, was sein Vorbild Laver zwei Mal geschafft hat, der echte Grand Slam, der Gewinn der Australian, der French Open, Wimbledon und der US Open in einem Kalenderjahr. Dann kann wieder mit Tränen gerechnet werden.

Alexander Hofmann[Melbourne]

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