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Ohne Resonanz. Der einst stolze Klub Türkiyemspor empfängt in der Vierten Liga Wilhelmshaven – und niemand schaut zu. Foto: Matthias Koch

© Matthias Koch

Türkiyemspor: Ein Verein verliert sich

Der Fußballklub Türkiyemspor hat eigentlich nichts, außer Probleme. Der deutsch-türkische Theaterregisseur Neco Celik sieht den Verein vor dem Untergang in die Normalität. Eine Empörung.

Es brodelt in diesem Verein. Es brodelt, seitdem ich denken kann. Aber trotzdem bleibt er der einzige Verein, der so etwas wie Getto-Glamour besitzt. Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit und sich im Alltag vom Durchschnitt abheben, das war bisher ein Selbstläufer. Wieso? Weil er sich seit 1978 immer wieder aus dem Nichts kommend in den Vordergrund spielte. Ich bin Zeuge, bin 1972 geboren. Ich rede von Türkiyemspor, dem Kreuzberger Fußballverein, in dem mein 9-jähriger Sohn Elias in der F-Jugend spielt. Dieser Verein hat eigentlich nichts, außer Probleme. Für meinen Sohn ist er trotzdem das Größte. Für mich sowieso.

Sicherlich war es für die Hobbykicker aus Kreuzberg 36 auch das Größte, einen Verein zu gründen. Der hieß damals noch „Kreuzberg Gencler Birligi“, Kreuzberger Junge Union. Meiner Meinung nach ein genialer Vereinsname. Offenbar waren damals die Jungs viel weiter als heute. Später, Mitte der Achtzigerjahre nannten sie den Verein Izmirspor, weil die meisten im Verein aus der ägäischen Großstadt Izmir stammen. Kurz vor der deutsch-deutschen Wende hat sich der Verein ein drittes Mal umbenannt. „Türkiyem – meine Türkei“. Dieser Vereinsname signalisierte nur eines: Je länger sie in Berlin lebten, desto fremder müssen sie sich gefühlt haben.

Was nach der Wende, 20 Jahre danach, von der Politik, von den Medien und der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl von Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit eher nur bestätigt. Der Name des Vereins sollte sie zusammenschweißen. Alle Immigranten, früher noch Ausländer, sollten sich mit ihrem Verein identifizieren können. Fans strömten tatsächlich in ihr Kreuzberger Katzbachstadion. Tausende Fans haben Türkiyemspor begleitet. Sie hatten Erfolg, und Hunger nach Erfolg zieht. Erfolg gegen die etablierten Mannschaften, die seit gefühlten 100 Jahren in der Stadt ansässig sind, hat ihnen Stolz und Würde eingebracht.

Kurz nach der Wende wäre Türkiyemspor beinahe Berliner Meister geworden, was einen Platz in der Aufstiegsrunde zur Zweiten Bundesliga bedeutet hätte. So weit oben ist die Luft bekanntlich dünn. Zuletzt hat der Klub in der Regionalliga Nord gespielt, viertklassig. Das letzte Heimspiel ging 0:2 gegen den SV Wilhelmshaven verloren. Nach 33 von 34 Spieltagen liegt Türkiyemspor sieglos mit zwei Punkten auf dem letzten Platz. Der Vorletzte hat 23 Punkte mehr.

Die Puste ist dem Verein am letzten Samstag im Jahnstadion in Prenzlauer Berg ausgegangen. Weit weg von Kreuzberg. Das ist auch gut so, denken die meisten aus Kreuzberg. Mit den peinlichen Auftritten wollen sie nichts zu tun haben. In der ganzen Saison haben sie kein einziges Spiel gewonnen. Kein Erfolg, kein Cent in der Kasse, nur Chaos, aber von der Bundesliga träumen. Stolz kann auch übermütig machen. Und der kommt bekanntlich vor dem Fall. Sie sollen sich verdammt noch mal auf ihre Jugend konzentrieren, sie sollen mit Bundesligavereinen kooperieren, sagen die Stimmen auf Kreuzbergs Straßen. Es ist eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. Den Türkiyem-Fan von früher gibt es schon lange nicht mehr. Im Zeitalter der Interkulturität, der Integration, der Assimilation, hat der wechselfreudige Klubvorstand seinen Zenit überschritten.

60 zahlende Zuschauer kamen am Samstag zum Abschied von der Regionalliga. Davon waren drei Viertel Schalker und Duisburger Fans, weil sie am selben Tag das DFB-Pokalfinale im Olympiastadion besuchen wollten. Sie kamen ins Jahnstadion, um Türkiyemspor zu bestaunen. Türkiyemspors Ruf hat es bis in den Ruhrpott geschafft, wo man für Unterschichtenhelden noch Sympathien übrig hat. Sie rieben sich die Augen und fragten sich, wo denn die legendären Türkiyem-Fans geblieben waren. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter von Türkiyemspor schaute beschämt auf den Boden.

Dem letzten Türkiyemspor-Fan haben sie die Demut geraubt, indem sie ihre Heimstation nach Prenzlauer Berg verlegten. Das Tragische ist, sie wussten es. Die Niederlage war nur Nebensache. Wen kratzt es schon. Die apokalyptische Stimmung im Raum war deutlich zu spüren. Resignation und Erschöpfung lagen in der Luft nach dem Spiel. Auf der anspruchslosen Pressekonferenz waren hartgesottene Regionalliga-Journalisten, die sich offenbar mehr Gedanken über die Zukunft von Türkiyemspor machten als manch einer der Verantwortlichen.

Ich prophezeie, dass es ohne Lobbyarbeit, ohne Wirtschaftskonzept, ohne Vereinsstruktur, ohne kontinuierliche Jugendarbeit keine Zukunft geben wird. Der Vorstand sei bemüht, etwas zu verändern. Im nächsten Atemzug: Allein durch Willenskraft ist das nicht zu schaffen. Was wollt ihr, fragte ich nach. Sie konnten es mir nicht sagen. Deshalb spreche ich es für Türkiyemspor aus: Ihr wollt Normalität, Demokratie, zu den gleichen Bedingungen einen Verein führen wie die anderen etablierten Vereine in der Stadt. Nutznießer, Ausbeuter, Hyänen sollen sich fernhalten von Türkiyemspor. Von dem Getto-Glamour sollen nur die was bekommen, die Nachhaltigkeit an den Tag legen. Nur als Mitglied kannst du deinen Verein unterstützen. Erhebe deine Stimme und empöre dich.

Gott schütze Türkiyemspor und meinen Sohn vor den Hobby-Vorständlern.

Neco Celik gilt als einer der profiliertesten deutsch-türkischen Theaterregisseure. Er wuchs in Kreuzberg auf, seit 2006 inszeniert er Theaterstücke, unter anderem am Hebbel am Ufer, den Münchner Kammerspielen, im Ballhaus Naunynstraße und der Staatsoper Stuttgart. Demnächst arbeitet er auch in der Berliner Staatsoper.

Neco Celik

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