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Augen auf und durch. Elisabeth Seitz gewann bei der EM trotz einer Fingerverletzung Silber im Mehrkampf.

© dpa

Turnen: Befreit vom Staub

Die deutschen Turner steigern die Popularität ihrer Sportart, wecken aber auch große Erwartungen. Vor allem die Frauen sind stärker ins Rampenlicht gerückt.

Berlin - Ulla Koch hatte ihre Athletin besorgt angeschaut und gefragt: „Wie geht’s? Was willst du machen?“ Starten natürlich, signalisierte Elisabeth Seitz. Beim Mehrkampf-Finale der Turn-EM an die Geräte, das wollte sie. Ulla Koch, die Chef-Bundestrainerin der deutschen Turnerinnen, nickte zufrieden. „Die Eli hatte überhaupt keine Angst, die sagte, sie wolle alles turnen, auch den Def“, erklärte sie später.

Der Def ist ein enorm schwieriges Flugteil am Stufenbarren, und dort zu turnen ist nicht besonders lustig, wenn man sich ein paar Stunden zuvor den kleinen Finger der linken Hand ausgekugelt hat. Aber Seitz steckte den Schmerz weg und gewann sensationell Silber im Mehrkampf. Ihr Kampfgeist steht für die ganze Einstellung der deutschen Turner bei dieser EM. Sieben EM-Medaillen insgesamt, das hatte es in der Geschichte des Deutschen Turner-Bundes noch nie gegeben. Und damit sieht Philipp Boy, Europameister im Mehrkampf, Vize-Europameister am Reck, ein strategisches Ziel erreicht. „Wir wollen Turnen vom Image der verstaubten Sportart befreien.“

Seit Fabian Hambüchen den Show-Man gibt, ist die Staubschicht sowieso schon erheblich abgetragen worden. Hambüchen besetzt die Rolle, die eine Sportart braucht, um im medialen Konkurrenzkampf bestehen zu können. Er ist das Gesicht des Turnens. Neu ist, dass sich auch andere Turner ins Rampenlicht geschoben haben, allerdings unterschiedlich lange. Philipp Boy, der Mehrkampf-Europameister, besitzt einen anderen Stellenwert als Elisabeth Seitz, die bis vor wenigen Tagen vermutlich kein Mensch außerhalb der Turnszene kannte. Und Barren-Europameister Marcel Nguyen wird vielen allein schon wegen seines Irokesen-Haarschnitts in Erinnerung bleiben.

Vor allem für die deutschen Frauen war diese EM enorm wichtig. Sie werden nun, vorübergehend wenigstens, nicht mehr bloß als Anhängsel der Männer wahrgenommen. „Wir waren eigentlich nie ganz weit weg von Europas Spitze“, sagte Ulla Koch, „aber man hat uns immer wenig zugetraut.“ Und Elisabeth Seitz verkündete: „Ich hatte mir vorgenommen, ein kleines Ausrufezeichen zu setzen. Nun wurde es ein ganz großes.“

Die Basis für eine verstärkte mediale Präsenz ist gelegt, mehr allerdings noch nicht. Deshalb ist es auch ziemlich risikoreich, in der Euphorie gleich große Erwartungen zu schüren. „Man darf ja mal von einer Olympiamedaille im Mannschaftswettbewerb träumen“, sagte Boy. Olympiamedaille? Gut, Hambüchen und Matthias Fahrig stoßen wieder zur Riege, sie waren bei der EM verletzt oder nicht fit, aber in Berlin haben auch die starken Asiaten und die US-Amerikaner gefehlt.

Ulla Koch jedenfalls genoss allein die Freude im Hier und Jetzt. Ihre Bilanz? „Ohne Worte.“

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