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Die deutschen Turnerinnen schafften im Teamfinale in Rio mit Platz sechs das beste Ergebnis bei Olympia seit der Wiedervereinigung.

© dpa

Turnfest in Berlin: Die Frauen sind in der Überzahl, die Stars sind die Männer

Das deutsche Turnen wird von den Frauen geprägt. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung und in Leitungsfunktionen spielen sie keine Rolle.

Der Protagonist am Freitag im Palais am Berliner Funkturm ist Lukas Dauser. Er sitzt auf dem Podium bei der Eröffnungs-Pressekonferenz anlässlich des Internationalen Deutschen Turnfestes, das am Samstag beginnt. Dauser ist nicht zufällig hier. Der Geräteturner ist jung, er ist jetzt schon sehr erfolgreich und vieles – auch sein Zutrauen in sich selbst – spricht dafür, dass er bald noch sehr viel erfolgreicher sein wird. Ob er mal in die Fußstapfen von Fabian Hambüchen treten könne? „Vom Potenzial her kann ich das auf jeden Fall. Es wird viele neue Gesichter geben. Ich will eines davon sein“, sagt er. Dauser hat alles, die kräftigen Arme, die große Klappe, inzwischen sogar das Management von Hambüchen, das ihn zu einem Vorzeigeturner macht und weshalb der Deutsche Turner-Bund (DTB) nur zu gerne mit ihm wirbt.

Es sind überhaupt die Männer, die im Gerätturnen seit vielen Jahren die großen Schlagzeilen machen. Das ist bemerkenswert, weil das starke Geschlecht im deutschen Turnen eindeutig die Mädchen und Frauen sind. Von den insgesamt fünf Millionen Mitgliedern in den deutschen Turnvereinen beträgt der Anteil der Mädchen und Frauen knapp 70 Prozent. Und auch von den rund 80 000 Aktiven beim Turnfest werden fast 60 000 weiblich sein. Das Turnen wäre ohne die Frauen recht mickrig. Aber die großen Helden sind die Männer, Hambüchen, Marcel Nguyen, Andreas Toba oder Lukas Dauser.

„Wir haben in den vergangenen Jahren einen Hambüchen-Effekt beobachtet. Das heißt, durch ihn hat sich der mediale Fokus sehr auf die Männer gerichtet. Hambüchen hat sich sehr geschickt vermarktet“, sagt Katja Ferger, die beim DTB auch für Frauen und Gleichstellung verantwortlich ist.

Ferger blickt etwas ehrfürchtig in die USA. Dort sind die großen Figuren des Turnens allesamt Frauen, und sie alle können sich gut vermarkten. Simone Biles zum Beispiel ist nicht nur sportlich erfolgreich, sie ist ein Dauerthema in den Medien. Über sie unterhalten sich die Menschen. Hierzulande unterhält sich fast niemand, selbst Sportbegeisterte nicht, über Sophie Scheder, Tabea Alt oder Elisabeth Seitz, die besten deutschen Turnerinnen. „In den USA turnen die Frauen zur Prime-Time, die Männer im Vorprogramm“, sagt Ferger.

Sie findet, dass die besten deutschen Geräteturnerinnen mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, vor allem mehr mediale. „Was die Ticketverkäufe für die Wettbewerbe angeht, liegen unser Turnerinnen ja vor den Männern“, sagt sie.

Was dem deutschen Frauenturnen fehlt, ist ein Aushängeschild

Doch das Verhältnis der Deutschen zu seinen besten Turnerinnen ist immer noch problematisch. Hierzulande war es kritisch gesehen worden, wie sich der Leistungssport im Geräteturnen bis in die neunziger Jahre hineinreichend entwickelt hatte. Es siegten in der Regel Teenager, mehr Mädchen als Frauen bei den Erwachsenenwettbewerben. Dem Frauenturnen haftete etwas Anrüchiges an. „Das ist inzwischen anders. Das Turnen ist viel athletischer geworden. Es turnen erwachsene Frauen um die Medaillen“, sagt Ferger. Was dem deutschen Frauenturnen fehlt, ist ein Aushängeschild, wie es bei den Männern über viele Jahre Hambüchen war und wie es nun der selbstbewusste Dauser werden könnte.

Auch DTB-Präsident Alfons Hölzl sieht die Ambivalenz, dass Frauen von der Mitgliederzahl den Verband dominieren, sportlich aber die Männer im Gerätturnen und in der öffentlichen Wahrnehmung vorne dran sind. Er sieht die deutschen Turnerinnen aber auf einem guten Weg. „Der Anteil unserer Top-Athletinnen ist gestiegen“, sagt er. „Wir haben bei den Frauen Turnnationen wie Rumänien hinter uns gelassen und zählen zu den fünf oder sechstbesten Ländern. Früher waren wir im Ranking auf Platz elf oder zwölf.“

Auch Hölzl hebt am Freitag die herausragende Bedeutung der Frauen im Turnen hervor. Aber nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung sind die Frauen im Turnen unterrepräsentiert, sondern auch in den Leitungsfunktionen. Die Präsidenten beim DTB seit seiner Gründung 1950 waren allesamt Männer. Nun sind aktuell immerhin vier Frauen im elfköpfigen DTB-Präsidium. Doch in den unteren Gliederungen, auf Landes- und Vereinsebene ist das Verhältnis ein anderes. „Es sind sehr, sehr wenige Frauen in leitenden Funktionen im Turnen“, sagt Ferger. Das macht sie schon ein wenig wütend. „Schließlich prägt doch das weibliche Geschlecht das Turnen.“

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