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Uli Hoeneß und Bayern München: Die Denkmalschändung

Das hat er noch nie erlebt: dass wütende Fans ihn schmähen und sich vehement gegen ihn erheben. Uli Hoeneß, seit 30 Jahren Erfolgsgarant des FC Bayern, steht unter Schock. Der Familienfrieden ist in Gefahr.

Es gibt im Geschäft mit dem Fußball wohl nur wenige Menschen, die transparent sind. Trainer lassen sich ungern in die Karten schauen, Spielervermittler lügen mitunter wie gedruckt, Spieler auch, wenn sie mit der Hand auf dem Herzen ihre Treue zum Verein bekunden, obwohl sie sich längst einem anderen Klub verpflichtet haben. Nur einer ist eine Ausnahme in diesem Geschäft – ausgerechnet der, der seit Jahrzehnten als der cleverste, raffinierteste, durchtriebenste und trickreichste gilt und auch so auftritt. Und doch kann er sein Innerstes nicht verbergen, ist offen wie ein aufgeschlagenes Buch, durchschaubar, selbstredend auch dann, wenn er stumm bleibt: Uli Hoeneß, der langjährige Manager des FC Bayern München und inzwischen dortselbst Präsident.

Insofern hat er kein Statement abgeben müssen zu den gewaltigen Verunglimpfungen und Schmähungen aus dem Kreis der eigenen Fans, mit denen er am vergangenen Samstag beim Heimspiel konfrontiert worden war. Es war auch so zu sehen, dass es dem Mann, der eigentlich nicht Uli heißen dürfte, sondern FC Bayern als Vornamen tragen müsste, die Sprache verschlagen hat und er unter schwerem Schock stand.

Am Donnerstag nun hat er doch ein paar Worte gefunden, anlässlich einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Nürnberg, wo er Würstchen für einen guten Zweck verteilte: „Wegen meiner Hilfe für 1860 und weil ich den Manuel Neuer nach unserem Spiel in München stark verteidigt habe, habe ich erwartet, dass eine Reaktion von gewissen Leuten kommt.“ Hoeneß hatte dem am Tropf hängenden Nachbarverein – vom Lokalrivalen kann schon lange keine Rede mehr sein – die Miete für die Benutzung der Arena gestundet und möchte Neuer, den besten Torhüter mindestens in Deutschland, wahrscheinlich aber auch in Europa und der Welt, von Schalke 04 nach München holen. „Aber dass sie in der Form ausfällt, hätte ich nie für möglich gehalten. Entsprechend schockiert war ich am Samstagabend.“

Seit Wochen reist Hoeneß durch die Lande, immer unterwegs zu PR-Terminen, bei denen er Geld für den „FC Bayern Hilfe e. V.“ einsammelt, einen Verein, der soziale Projekte unterstützt. Er ist nur noch selten in seinem Büro auf dem Vereinsgelände an der Säbener Straße in München anzutreffen. Das hängt möglicherweise ursächlich mit den Verwerfungen zusammen, die den FC Bayern in dieser Saison erschüttern. Hoeneß, 30 Jahre zuständig für Wohl und Wehe des Vereins – man muss dabei sagen, dass er mehrheitlich um das Wohl bemüht war und das Wehe außer Acht ließ – hat sich rar gemacht. Er hat den Präsidenten gegeben, der über allem schwebt, der zuschaut von hoher Warte und seinem Wohnhaus am Tegernsee, der repräsentiert, und dies umtriebig mit sozialem Engagement, der sich aber nicht einmischt ins operative Sportgeschehen. Es mehren sich die Zeichen, dass das dem FC Bayern, diesem Monolithen des deutschen Fußballs, nicht gut getan hat.

Vor drei Wochen war Uli Hoeneß dann doch mal in seinem Büro zu treffen. Er saß da, wie er immer dasitzt in seinem großen ausladenden Korbsessel, in dem man sich weit zurücklehnen kann, so dass ein entspannter Eindruck entsteht. Er sagte, dass er nichts sagen werde, weil in der unbefriedigenden sportlichen Situation alle bis zum Saisonende fest zusammenhalten müssten, die Qualifikation für die Champions League steht noch auf dem Spiel. Es war der Morgen nach der Heimniederlage gegen Inter Mailand, dieser Blamage, mit der feststand, dass der FC Bayern München in dieser Saison nicht einen einzigen Titel gewinnen würde.

Hoeneß war also nicht entspannt, er musste aber auch nichts mehr sagen, die feuchten Augen, das schwere Schlucken sagten hinreichend aus, wie schwer er getroffen ist, wie sehr ihn alles schmerzt, wie angeschlagen er ist. Die Frage, ob denn die Ära des FC Bayern, seine Ära, dem Ende zugehe, weil sein Kind, der FC Bayern, dann ohne ihn eben doch nicht laufen kann, nein, auch dazu mochte er sich nicht äußern. Verwies nur einerseits darauf, dass der Verein zu stark sei, zu reich, zu mächtig, um seine Führungsposition zu verlieren, und murmelte andererseits von einem Gefühl, das er habe, das sich aber noch festigen müsse, bis er reagiere.

Was immer das heißen mag. Als Hoeneß dann vor zwei Wochen gegen die Verpflichtung von Christoph Daum bei Eintracht Frankfurt ätzte, sah mancher das schon als Beleg, dass er sich langweile, dass er mit den Hufen scharre und bald wieder der alte Quer- und Sturkopf sei, der kräftig austeile, wenn es seinem FC Bayern frommt. Auf der anderen Seite wurde aber auch schon gemutmaßt, sein Schweigen und seine Zurückhaltung seien Belege für Altersmüdigkeit – wie man’s eben will.

Dass es nicht mehr rund läuft beim FC Bayern belegen indes Fakten. Die Allianz mit Trainer Louis van Gaal, sie wurde vorzeitig beendet, dem Holländer wohl nur mangels Ersatz eingeräumt, die Mannschaft noch bis zum Saisonende begleiten zu dürfen. Zu mager ist die sportliche Bilanz nach dem Scheitern in der Meisterschaft, dem Scheitern im Pokalwettbewerb und dem Scheitern in der Champions League. Eindeutig zu wenig für einen Klub, der quasi per Vereinssatzung, auf jeden Fall aber von seinem Selbstverständnis her, alljährlich Deutscher Meister werden muss, dazu alljährlicher Pokalsieger und in der Champions League mindestens bis zum Halbfinale durch Europa zu wirbeln hat. Auch das alljährlich. Dazu kamen menschliche Probleme, Hoeneß und van Gaal wurden nie warm miteinander, taktische Vorwürfe, personelle Entscheidungen, die nicht nur Hoeneß nur schwer nachvollziehen konnte. Immerhin, wenn van Gaal mehr die Wahl des Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge war, dann war Jürgen Klinsmann, van Gaals mindestens ebenso grandios gescheiterter Vorgänger, die Präferenz von Hoeneß, womit die Herren an der Spitze nun quitt wären.

Möglich, dass das Hoeneßsche Gefühl auch Christian Nerlinger streift, seinen Nachfolger als Manager. Der hat es erwartbar schwer, einen kleinen Uli zu mimen, hat sich aber unerwartbar so gar kein Profil erarbeitet, agiert blass bis zur Unkenntlichkeit, und wenn er sich äußert, wie im Falle des ungehörigen Fanprotestes, dann erst, wenn Altvordere, diesmal Rummenigge und Franz Beckenbauer („So kann man nicht mit Uli Hoeneß umgehen!“) die Richtung der Äußerung schon vorgegeben haben.

Die Fan-Proteste, sie sind der vorläufige Gipfel dieser unschönen Saison. Bislang durfte man annehmen, dass die Fans ihrem Uli bald ein Denkmal vor die Arena stellen werden. Nun wendet sich ein Teil, wenn auch nur ein kleiner Teil, offen gegen ihn. Die Gründe sind stark irrational und könnten belächelt werden als Stammtischparolen von Ahnungslosen. Auf einem Transparent gegen Hoeneß war zu lesen „Blaue Schweine schlachtet man, du willst Metzger sein, Uli?“. Dahinter steckt der Vorwurf, Hoeneß unterstütze die „Blauen“, so wird 1860 München wegen seiner Vereinsfarbe genannt. Ein Transparent, das nicht allein wegen des Verweises auf den Metzger völlig falsch ist, der wollte Hoeneß nie sein, er ist nur Sohn eines Metzgers und Besitzer einer Wurstfabrik. Und dass Hoeneß die Blauen eben nicht zur Schlachtbank führt, sondern mit der Stundung des Mietzinses möglicherweise zu ihrem Überleben beiträgt, das dient vor allem dem FC Bayern, dem ohne die Mieteinnahmen der stattliche Posten von 50 Millionen Euro fehlen würde.

Noch irrationaler ist der zweite Vorwurf dieser Fanszene, einer Gruppe, die sich „Schickeria“ nennt, was in München auf jeden Fall ein Schimpfwort ist. Sie zielt auf Manuel Neuer. Dem Torwart wird vorgeworfen, als Kind und Jugendlicher selber in der Fankurve des FC Schalke gestanden zu haben, weshalb er nicht nach München passe. Auch hat er später in der Bayern-Arena an der Ecke mit der Eckfahne einen Sieg bejubelt, eine Geste, die einst Oliver Kahn zeigte. Neuer hat also Kahn zitiert, was schließlich auch eine Ehrbezeugung ist, aber offensichtlich zu hoch für die „Schickeria“, die sich resistent gegen das Argument zeigt, dass der beste Torwart ins Tor des FC Bayern gehört.

Im Grunde genommen also nicht der Rede wert, diese Fan-Schmähungen. Zumal sich die Gegenbewegung der Pro-Hoeneß-Aktivisten bereits formiert hat und etwa auf Facebook die Unterstützer-Gruppe „Gegengerade für Uli Hoeneß“ bis Freitagmittag, 15 Uhr, über 13 000 Mitglieder verzeichnet. Rasant wachsend. Wenn nicht die Vehemenz der Proteste wäre und wenn das Thema nicht auch die Besitzverhältnisse eines Fußballvereins streifen würde. Wer hat das Sagen in einem Klub? Die gewählten Vereinsvertreter? Die Fans, die mit ihrem Geld und ihrer Zuneigung Vereine erst groß machen? Beim Hamburger SV hat eine ähnliche Gruppierung wie die „Schickeria“, die „Supporters“, großen Einfluss auf die Vereinspolitik gewonnen. Dem Anschein nach streben dergleichen auch die Münchner Ultras an.

Und das geht dann eben ins Mark des Uli Hoeneß. Bislang hat der den Fans alle möglichen Zugeständnisse gemacht, von Treffen mit Fan-Gruppen angefangen bis zur regelmäßigen Demontage der Sitzschalen in der Südkurve, die in der Champions League Vorschrift sind, bei den Fans aber verpönt. Die Aktion kostet den Verein jedes Mal 25 000 Euro. Und bislang hat Uli Hoeneß den FC Bayern München als Familienbetrieb geführt, in dem es mal Streit gibt, aber in dem alle zueinander halten. Dass das gefährdet ist, wird wohl auch das Gefühl meinen, das Uli Hoeneß Ungemach bereitet.

Und plötzlich erscheint die Verpflichtung von Jupp Heynckes als neuem Coach noch in einem anderen Licht. Fachlich gibt es dagegen nichts einzuwenden, Heynckes ist Autorität, hat Erfolge. Aber vielleicht hat Hoeneß den Freund auch deswegen engagiert, um noch einmal die schöne alte Zeit zu erleben.

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