zum Hauptinhalt
Foto: dapd

© dapd

Sport: Undurchsichtige Attacke

Der Spieler Daniel Bauer soll von radikalen Fans des 1. FC Magdeburg vor seinem Haus bedroht worden sein. Die Beweislage ist dürftig

Die Luxuslimousinen mit den getönten Scheiben wirken befremdlich und faszinierend zugleich. Männer mit der Statur von Profiboxern steigen aus, sie tragen dunkle Brillen, obwohl die Sonne an diesem grauen Novembertag längst ihre Strahlkraft verloren hat. Als alle Boxertypen ihre Positionen bezogen haben, öffnet sich die Tür einer Limousine. Ein Mann steigt aus, der sich von der Statur her kaum von seinen Beschützern unterscheidet. Es ist Holger Stahlknecht, ein ehemaliger Reserveoffizier und Staatsanwalt, der es inzwischen zum Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt gebracht hat. Seine Ankunft suggeriert etwas Staatstragendes. Wenn sich jemand vom Rang Stahlknechts hier an die Magdeburger Arena, wo der städtische Fußballklub 1. FC Magdeburg seine Heimspiele austrägt, zu einer Pressekonferenz verirrt, muss etwas Außerordentliches vorgefallen sein.

Die vergangenen Tage gehören zu den turbulentesten der jüngeren Vereinsgeschichte des 1. FC Magdeburg. Seit Ex-Kapitän Daniel Bauer am 27. Oktober offenbar von Vermummten vor seiner Wohnung bedroht wurde, ist der Verein bundesweit in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Laut Bauer sollen die Personen blau-weiße Sturmmasken getragen haben. Blau und Weiß, das sind die Farben des 1. FC Magdeburg. Der 29-Jährige hält sich seitdem in seiner rheinischen Heimat auf, ob er nach Magdeburg zurückkehrt, ist ungewiss. Der Fall sorgte für Empörung, auch weil Fangewalt nach den Ausschreitungen von Dortmund und Frankfurt im DFB-Pokal gerade ein bestimmendes Thema ist.

Doch so klar wie die Fälle in den Stadien, wo Randalierer Pyrotechnik zündeten oder es zu körperlichen Auseinandersetzungen kam, ist der Fall Bauer längst nicht. Auch mehr als eine Woche nach der offenbaren Bedrohung durch Unbekannte bleiben Fragezeichen und Ungereimtheiten.

Im Magdeburger Zentrum stehen viele Mehrfamilienhäuser. Gründerzeit, von einigen bröckelt der Putz. Manche Gebäude versprühen immer noch den maroden Charme der Wendezeit. In einem dieser Häuser soll Daniel Bauer eine Wohnung bezogen haben. Laut derzeitigem Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft verbrachte Bauer den Abend des 27. Oktobers daheim vor dem Computer. Über das Internet war ihm ein Freund und ehemaliger Magdeburger Mitspieler zugeschaltet, als es gegen 21 Uhr an der Tür klingelte. Eine männliche Person sagte, der Pizzaservice wäre da und obwohl Bauer keine Pizza bestellt hatte, entschied er sich, das vermeintliche Essen für den Nachbarn entgegenzunehmen. Als Bauer die Tür öffnete, sah er sich laut eigener Angabe zehn maskierten Personen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren gegenüber, die ihm drohten, dass man wiederkommen werde, falls das anstehende Heimspiel gegen Halle nicht gewonnen werde. Bauer informierte anschließend Magdeburgs Zeugwart über den Vorfall, am Freitag erstattete der Verein Anzeige gegen unbekannt. Einziger Zeuge ist bisher Bauers Freund, der übers Internet das Klingeln an der Tür gehört haben will. Eine Bewohnerin des Hauses gab zwar an, zum Tatzeitpunkt Stimmen vor der Tür gehört, aber nicht aus dem Fenster geschaut zu haben.

„Das es so ins Persönliche geht, kenne ich von der Magdeburger Szene nicht“, sagt Dirk Heyne. Der 54-Jährige stand 14 Jahre lang im Tor des 1. FC Magdeburg, später war er von 2003 bis 2007 Trainer der ersten Mannschaft. Als es 2007 nach dem knapp verpassten Aufstieg in die Zweite Liga in der Folgesaison nicht mehr lief, musste sich auch Klubidol Heyne auf der Straße kritischen Fragen der Anhänger stellen. „Da wurde ich für die schlechten Resultate verantwortlich gemacht, aber es blieb immer bei verbalen Auseinandersetzungen“, sagt Heyne, der bald darauf entlassen wurde. Die Erwartungshaltung in Magdeburg ist immer noch groß, dabei ist der Europapokalsieger der Pokalsieger von 1974 inzwischen in die viertklassige Regionalliga abgestürzt.

Auch Daniel Bauer zog zuletzt den Unmut der Fans auf sich. Den Anhängern missfiel seine Spielweise, die ihrer Meinung nach zu theatralisch und nicht einsatzfreudig genug ist. Bauer, der eloquente Fußballer, der gelegentlich ein Haarband auf dem Platz trug, passte nicht in die Arbeiterstadt Magdeburg, wo die Fans seit jeher Einsatz und Leidenschaft fordern.

Zum Bruch zwischen Spieler und Fans kam es im September im Heimspiel gegen Meuselwitz, als Bauer nach schwacher Leistung von den Fans ausgepfiffen wurde und sich anschließend darüber in der lokalen Presse beschwerte. Die angespannte Situation zu den eigenen Anhängern trug wohl dazu bei, dass Bauer von dem neuen Trainer Ronny Thielmann als Kapitän abgesetzt wurde. „Das war keine Liebesbeziehung“, sagt Jens Janeck über das Verhältnis der Anhänger zu Daniel Bauer. Janeck ist 46 Jahre alt, ein kräftiger Mann, der als Leiter des Magdeburger Fanprojektes einen engen Kontakt zur Szene pflegt. Ihn macht der Fall stutzig: „Normalerweise hört man immer was, aber dieses Mal gibt es nichts“, sagt er. Es sei durchaus üblich, dass sich gewaltbereite Anhänger im Untergrund mit ihren Taten brüsten, sagt er. Nach dem Motto: „Dem Bauer haben wir es so richtig gezeigt, der hat sich in die Hosen gemacht.“ Aber dieses Mal: nichts. Kein Wort dringt an die Oberfläche. Niemand will die vermeintlichen Täter kennen.

Für den 1. FC Magdeburg stellt der Fall einen enormen Imageschaden dar. Dazu trägt auch Bauers Berater Henry Hennig bei. Der hatte im Tagesspiegel schwere Vorwürfe gegen den Verein erhoben und gesagt, dass man seinen Spieler nicht ausreichend schützen würde. Hennig berichtete von früheren Morddrohungen gegen Bauer, was dieser aber später in der „Rhein-Zeitung“ dementierte. Es heißt, dass es bereits früher zu Spannungen zwischen Hennig und dem Klub gekommen sei. Für Hennig wäre ein Abschied Bauers aus Magdeburg wohl nicht das Schlechteste. Auch weil ein Vereinswechsel immer mit Provisionen verbunden ist.

So weit will es Detlef Ullrich nicht kommen lassen. Magdeburgs Sportdirektor hat mit Holger Stahlknecht und einigen anderen Personen, darunter auch Vereinspräsident Peter Fechner, an einem viel zu kleinen Tisch Platz genommen. Gemeinsam beteuern alle Beteiligten ihr Entsetzen über den Vorfall. Stahlknecht weist das angebliche „Schmuddelimage“ Sachsen-Anhalts zurück und fordert für die Zukunft einen „engen Schulterschluss zwischen allen Beteiligen“. Der Innenminister meint damit Polizei, Vereine und Politik, wie er später erklärt. Detlef Ullrich kommt irgendwann auch zu Wort, er ist der Mann für die sportlichen Fragen. Er sagt, dass die Mannschaft sich dafür einsetzt, dass Daniel Bauer wieder in ihre Mitte zurückkehrt und dass man den Mittelfeldspieler nach dem Spiel gegen Meppen wieder kontaktieren will. Auf die Frage, ob Hennig mit ihm Kontakt aufgenommen hätte, schüttelt Ullrich den Kopf. Der Berater hatte unter der Woche noch erklärt, das Gespräch mit den Verantwortlichen suchen zu wollen, um den zum Saisonende auslaufenden Vertrag Bauers zu kündigen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false