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Porträt: Uwe Neuhaus: Unions Hauptmann

Gefestigter denn je geht Uwe Neuhaus in seine fünfte Saison als Trainer des Berliner Zweitligisten. Länger als er ist nur Thomas Schaaf von Werder Bremen im deutschen Profifußball bei einem Verein im Amt.

Berlin - Der Pfiff bringt die Erlösung. Mit schweißüberströmtem Gesicht laufen Christoph Menz und seine Kollegen Richtung Mittellinie. Dort wartet bereits Trainer Uwe Neuhaus. Ein paar kurze Worte, dann geht es weiter. Neuhaus gibt das Zeichen, alles hört auf sein Kommando.

An diesem Julimorgen bereiten sich die Fußballer des 1. FC Union wie jeden Tag seit gut zwei Wochen auf den heutigen Saisonstart in der Zweiten Liga beim FSV Frankfurt vor (18 Uhr, live bei Sky). Auf dem Gelände am Stadion An der Alten Försterei hat sich eine Handvoll Zuschauer eingefunden, einer von ihnen trägt ein T-Shirt mit einem alt aussehenden Mann darauf. Es ist der Hauptmann aus Carl Zuckmayers Tragikomödie, der Köpenick über die Grenzen Berlins hinaus bekannt gemacht hat. Heute ist er in Köpenick als Wahrzeichen rund um die Alte Försterei allgegenwärtig. „Sieht jut aus, wat die hier machen“, sagt der Mann im Shirt. Sein Begleiter nickt.

Uwe Neuhaus war nie Hauptmann. Er hat eine Schweißerlehre gemacht und später bei der Bundeswehr als Hubschrauberreparateur gearbeitet. Das ist lange her, und obwohl er inzwischen längst nicht mehr der Bundeswehr angehört, sondern sein Geld als Fußballtrainer verdient, ist er im Laufe der Zeit zum Hauptmann beim 1. FC Union geworden. Die kommende Saison wird seine fünfte als Trainer beim Ostberliner Traditionsklub sein, länger ist nur Thomas Schaaf von Werder Bremen im deutschen Profifußball bei einem Verein im Amt.

Die Symbiose zwischen Uwe Neuhaus und dem 1. FC Union ist im Laufe der Zeit immer weiter vorangeschritten und hat sich so sehr gefestigt, dass sie bisweilen für Aufsehen sorgte. Es war im Mai, da gab der Verein die Trennung von Christian Beeck bekannt. Unions Präsident Dirk Zingler hatte sich zu dem Schritt entschieden, später sagte er: „Ich bin ein Anhänger von Kontinuität und damit ein Anhänger des Trainers geworden.“ Ein Fan von Beeck war Zingler da nicht mehr. Christian Beeck war das, was man im Fußballjargon ein Urgestein nennt. Einer, der bei seinem Heimatverein beinahe alle Stationen durchläuft: zuerst als Spieler, dann als Manager und zum Schluss als Teammanager. Letzteres war als Degradierung zu verstehen und es heißt, Uwe Neuhaus sei daran nicht ganz unschuldig. Beeck umschrieb das Verhältnis der beiden als „professionell“, Freunde waren sie nie. Weil Uwe Neuhaus sich kurz zuvor gegen eine Vertragsverlängerung mit Publikumsliebling Karim Benyamina entschieden hatte und der Verein mit Nico Schäfer einen alten Bekannten des Trainers als indirekten Nachfolger für Christian Beeck präsentierte, machte die Bezeichnung vom „1. FC Neuhaus“ die Runde. Auch vom „Modell Magath“ war die Rede, nach dem Vorbild von Felix Magath, der sich als gottgleicher Alleinherrscher in Gelsenkirchen einen ganzen Verein zum Untertan gemacht hatte. Doch der Vergleich mit Magath hält der Realität nicht stand. Im Gegensatz zu dem ehemaligen Trainer des FC Schalke 04 hat Uwe Neuhaus den 1. FC Union nicht komplett mit Vertrauensleuten unterwandert. Seinem Trainerteam gehören mit Holger Bahra und André Hofschneider zwei Leute an, deren Geschichte bei Union weit vor seiner eigenen begann. Und Betreuer Detlef Schneeweiß, nun ja, der war schon da, als Unions heutiger Trainer noch als Assistent bei Borussia Dortmund unter Vertrag stand.

Uwe Neuhaus ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, dort hat er den größten Teil seines Lebens verbracht. Die Herkunft aus einer traditionellen Arbeiterfamilie hat ihn geprägt und beim 1. FC Union so manches erleichtert. Noch heute beruft sich der Klub auf seine Wurzeln, die im Schlossermilieu von Oberschöneweide liegen. Schlosser und Schweißer – das passt. Als die Fans damit begannen, ihr eigenes Stadion zu renovieren, hat Neuhaus am Schweißgerät eine Naht gesetzt – die Geste kam an.

Als Uwe Neuhaus am Tag der offiziellen Saisoneröffnung ins gut besuchte Stadion einläuft, hallt es „Uwe, Uwe“ von der Tribüne. Seit dem Aufstieg in die Zweite Liga feiern sie ihren Trainer auf diese Weise, daran hat auch die Sache mit Beeck und Benyamina nichts geändert. Später stellt sich Neuhaus den Fragen der Reporter. Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählt das nicht, doch nach vier Wochen Urlaub ist er bestens gelaunt. Die Mittelmeersonne hat sein Gesicht gebräunt und das Gemüt beruhigt. Ob auch die Abwesenheit von Christian Beeck und Karim Benyamina dazu beiträgt? Der Angreifer ist inzwischen zum FSV Frankfurt gewechselt, wird aber wegen einer Zerrung beim Start gegen Union nicht auflaufen können. Uwe Neuhaus möchte über die Vergangenheit nicht mehr reden, anstatt Benyamina heißt die Gegenwart Simon Terodde. Ein Stürmer, groß und durchsetzungsstark – ganz nach Neuhaus’ Geschmack. Später kommt noch Silvio dazu. Beim letzten Testspiel gegen Heart of Midlothian harmonierten die beiden schon so gut miteinander, dass niemand mehr von Benyamina redet. Uwe Neuhaus wird sich in Zukunft nicht mehr nur an den Resultaten messen lassen müssen, sondern auch an der Effektivität der Neuverpflichtungen. Seit Christian Beeck nicht mehr da ist, fallen Personalentscheidungen nun auf ihn allein zurück. Neuhaus stört das nicht, er sagt: „Ich mache die gleiche Arbeit wie immer.“

Die Saisoneröffnung neigt sich dem Ende entgegen, ein Fan wartet schon länger am Spielfeldrand. Er bittet Unions Trainer um ein Autogramm auf seinem freien Oberkörper. Neuhaus unterschreibt, und der Fan macht sofort stolz ein Foto von seinem neuen Körperschmuck. Die Köpenicker scheinen begeisterter denn je von ihrem Hauptmann.

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