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UNSERE Experten: Meine türkische Großfamilie

Ich war vielleicht ein bisschen zu optimistisch. In der Hoffnung, dass Deutschland als Gruppenerster die Vorrunde übersteht, ließ ich mich zum Viertelfinale am Freitagabend in Basel einladen – leider, jedenfalls für mich, spielte nun Kroatien gegen die Türkei.

Ich war vielleicht ein bisschen zu optimistisch. In der Hoffnung, dass Deutschland als Gruppenerster die Vorrunde übersteht, ließ ich mich zum Viertelfinale am Freitagabend in Basel einladen – leider, jedenfalls für mich, spielte nun Kroatien gegen die Türkei. Aber es sollte sich lohnen. Der ganze Tag stand im Zeichen einer riesigen Feier. Ich war in einem Hotel nahe am Stephansdom einquartiert und sah den ganzen Tag nur rot-weiß karierte Menschen herumlaufen. Das war schon beeindruckend. Im Stadion saß ich dann allerdings direkt neben dem türkischen Fanblock. Ganz nüchtern betrachtet war es ein langweiliges Spiel, zumindest 118 Minuten lang. Doch die Stimmung der Türken zog mich irgendwann in ihren Bann, ich fieberte mit. Und ich merkte wieder, dass es etwas vollkommen anderes ist, wenn man direkt neben enthusiastischen Fans sitzt, als wenn man zu Hause vor dem Fernseher hockt. Ich saß unter tausenden feiernden Türken, die zusammenstanden wie eine große Familie.

Ich glaube, dieser Sinn für Familie ist auch der Grund, weshalb viele türkisch verwurzelte Jungs, die in Deutschland aufgewachsen sind, für die Türkei spielen. Es mag ja zunächst verwundern, denn Spieler wie die Altintops, wie Bastürk oder auch Sahin sind fußballerisch in Deutschland sozialisiert worden, und eigentlich auch kulturell. Die Türken aber haben oftmals ein sehr starkes Familien- und Nationalbewusstsein, und viele Jugendliche würden vielleicht den Schritt, für Deutschland zu spielen, auch als Bruch mit der Kultur ihrer Väter verstehen. Zudem sind es sicherlich auch sportliche Gründe, die viele Spieler mit türkischem Migrationshintergrund dazu veranlassen, sich für die Türkei zu entscheiden. Viele schätzen wohl die Chance, irgendwann für die türkische Nationalmannschaft aufzulaufen, höher ein, als für die deutsche nominiert zu werden.

Außerdem denke ich, dass man sich gerade als junger Spieler sehr leicht für die türkische Fußballkultur begeistern kann. Fußball hat in der Türkei einen unglaublich hohen Stellenwert, und der türkische Verband bemüht sich redlich um die Spieler in Deutschland. Dieser Enthusiasmus und die typisch südländische Atmosphäre bei Spielen – wer will da nicht dabei sein, wer kann da schon Nein sagen, wenn der türkische Verband anklopft?

Hier kommentieren Marcel Reif, Mirko Slomka, Fredi Bobic, Nadine Angerer und Lars Ricken im Wechsel die EM. Alle Kolumnen unter www.tagesspiegel.de/em2008.

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