zum Hauptinhalt

Sport: Unter Einsatz des Lebens

Doper schlucken einen Medikamentencocktail – ein Experte erklärt, was alles im Körper landet

Dopende Hochleistungssportler verwenden nicht nur Epo, sondern einen ganzen Cocktail an Medikamenten. Sie gehen dabei enorme Risiken ein, weil die Wechselwirkungen der einzelnen Substanzen oft nicht bekannt sind. Mitunter sind die Mittel nicht mehr als Placebos, teilweise sind sie hochgradig gefährlich. Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für pharmazeutische Forschung in Nürnberg, hat für den Tagesspiegel die Wirkung und Gefährlichkeit jener Substanzen analysiert, die in den Abhörprotokollen des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes auftauchen. Fuentes, mutmaßlicher Drahtzieher eines Dopingnetzwerks, flog vor der Tour de France 2006 auf. Verwendet wurden die Substanzen vorwiegend von Radprofis; andere Sportarten könnten aber auch betroffen sein. Nachfolgend Sörgels Analyse:

Actovegin forte Dragees: Dass dieses Dragee ins Spiel kommt, zeigt, dass in der Dopingszene schlicht alles versucht wurde und wird. Denn der Einsatz dieses Präparats als Dragee ist eigentlich völliger Humbug. Actovegin ist gegen periphere Durchblutungsstörungen, in Drageeform werden diese Eiweiße vom Magen-Darm-Trakt überhaupt nicht aufgenommen. Da gehen die Radprofis irgendwelchen Quacksalbern auf den Leim. Actovegin hat nur eine Wirkung, wenn man es spritzt. Dann dient es als so genanntes maskierendes Mittel, das heißt, es kann zum Beispiel Epo-Effekte verschleiern.

Solcoseryl: Ein Eiweißpräparat, das sicher zur Blutverdünnung verwendet wurde. Es dient damit ebenfalls zur Verschleierung von Epo-Effekten. Solcoseryl ist allerdings durchaus gefährlich. Es wird mit einer Hirnerkrankung in Verbindung gebracht, bei der es zu einer Veränderung des Gehirngewebes kommt. Da es keine Therapiemöglichkeit gibt, verläuft die Krankheit immer tödlich. Weil es aber nicht nachweisbar ist, wird es trotzdem als maskierendes Mittel verwendet. Die therapeutische Wirksamkeit von Solcoseryl ist nicht erwiesen.

Andriol/Androderm: Es handelt sich hier um Testosteron, also um männliche Sexualhormone. Die dienen einerseits dem Muskelaufbau, vor allem aber steigern sie die Aggressivität. Der gedopte Tour-Sieger von 2006, Floyd Landis, hat Testosteron, höchstwahrscheinlich Andriol und/oder Androderm, verwendet.

Norditropin simplex: Hier handelt es sich um ein Präparat, das Wachstumshormon enthält. Es wird normalerweise bei kleinwüchsigen Kindern eingesetzt.

Eposino: Das ist ein klassisches Epo-Präparat. Eposino wird in China hergestellt. Der Hersteller hat offenbar den Patentschutz gebrochen. Eposino besitzt zwar nicht die Qualität des europäischen Epo, ist aber bis zu 50 Prozent billiger als das europäische Präparat.

Synacthen: Das ist ein Hormonstimulator, der die Leistungskraft steigert. In der Medizin wird es zur Diagnose von Hormonspiegelveränderungen eingesetzt.

Aranesp: Ein Epo-Nachfolgepräparat. Es wirkt wie Epo, ist aber länger wirksam als normales Epo. Mit diesem Mittel wurde bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City Skilangläufer Johann Mühlegg erwischt. Mühlegg muss damals clevere Berater gehabt haben, weil Aranesp erst kurz im Handel war und 2002 nur von einem Dopinglabor nachgewiesen werden konnte. Zu Mühlerggs Pech war es das Labor in Los Angeles, das alle Olympiaproben untersuchte.

IGF-1: Dieses Medikament ist ein Beispiel dafür, wie sehr beim Doping experimentiert wird. IGF-1 ist ein Insulinwachstumsfaktor, der leistungsfördernd wirkt, ein modernes biotechnologisches Anabolikum. Es gibt aber wissenschaftlich keine verlässlichen Angaben über wirksame Dosierungen. Wer es verwendet, dosiert auf eigene Faust, verbunden mit enormen Risiken.

Levothyroid: Das ist ein Schilddrüsenhormon. Es wird in der Dopingszene gern in Verbindung mit Wachstumshormon verwendet. Es führt zu erhöhter Fettverbrennung und forciert eine Gewichtabnahme. Interne Berichte von Dopern zeigen, dass das Präparat als hochgefährlich eingeschätzt wird. Viele nehmen es nur als letzte Möglichkeit. Levothyroid kann zu Herzklopfen, Herzrhythmusstörungen und Schlaflosigkeit führen.

Prozac: Dies ist ein Antidepressivum, das auch der geständige spanische Radprofi Jesus Manzano nahm. Als Nebenwirkungen sind unter anderem Gewaltausbrüche und Suizide beobachtet worden.

Fazit von Experte Fritz Sörgel: Was dopende Sportler, in diesem Fall Radprofis, nehmen, ist teilweise erheiternd wie zum Beispiel Actovegin forte Dragees. Aber die Benutzung eines Schilddrüsenhormons wie Levothyroid oder des biotechnologisches IGF-1 sind Besorgnis erregend. Die Langzeitwirkungen vieler Präparate sind nicht bekannt. Aus ethischen Gründen werden keine wissenschaftlichen Untersuchungen mit solchen Produkten zur Abklärung von Dopingeffekten gemacht. Deshalb wäre es sehr wichtig, wenn geständige Doper umfassende Angaben über Dosierungen und Nebenwirkungen machen würden. Dann würden ihre Geständnisse dem Anti-Doping-Kampf wirklich helfen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false