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Die ukrainische Grenze: Hier endet die EU.

© dapd

Unterwegs mit der Autorennationalmannschaft (3): Ukraine, mon amour

Unser Reporter Lucas Vogelsang fährt mit der deutschen Autorennationalmannschaft in die Ukraine. Auch, um sich ein eigenes Bild eines unbekannten Landes zu machen. Doch schon die Passkontrolle wird zu einer Grenzerfahrung jenseits von Schengen.

Ich kannte sie vorher nur aus Erzählungen, hatte viel über sie gehört. Das, was ich über sie wusste, haben mir andere erzählt, die sie schon kennen lernen durften, mussten. Ich kannte ihr Alter, ihre Größe, und hatte Bilder gesehen, eine Menge Bilder, einen ganzen Bildersturm. Es waren wunderschöne darunter, kornkammerblond, typische, ex-sowjetische Schönheit eben. Aufnahmen von früher, Erinnerungen in Sepia. Auch einige, die noch gar nicht so alt waren und auf denen sie lächelt, einen orangefarbenen Schal um den Hals geschlungen, der ihr, wie ich finde, gut steht. Und, aus der jüngeren Zeit, richtig hässliche, erschreckende, dunkle Schatten unter den Augen. Ich hatte ja auch gehört, dass es ihr gerade nicht so gut ging, viele private Probleme, ihren orangefarbenen Schal hat sie irgendwann verloren, das Lächeln auch.

Und doch wollte ich sie endlich persönlich treffen, mir mein eigenes Bild machen, herausfinden wie sie riecht, sich anfühlt. Kurz: Wie sie so drauf ist. Diese Ukraine.

Also sitze ich im Bus, der die Nationalmannschaften aus Deutschland, Polen und der Ukraine nach Lemberg bringen soll, angefüllt mit den Bildern und den Nachrichten der vergangenen Wochen, den Timoschenko-Wochen, den Entrüstungs-Wochen, Boykott-Wochen, in denen die Weltöffentlichkeit auf dieses Land blickt, weil der Fußball zu Besuch kommt, zum Tanztee mit dem Despoten, während die Menschenrechte am Katzentisch sitzen.

Und dann bestätigen sich die Vorurteile, die Nachrichtenbilder, die Aufzeichnungen aus einem Schurkenstaat, bereits an der Grenze, den polnischen Schlagbaum noch im Rücken. Grenzübergang Krakowec, hier endet die EU. Passkontrolle, jenseits von Schengen. Sieht erst mal nach Routine aus. Wird aber schnell zur tragikomischen Grenzposse, zum absurden Theater.

Die vorläufige EM-Aufstellung in Bildern:

Auftritt der Grenzbeamten, die comicgroße Tellermützen tragen, unter deren Schirm man problemlos eine Strandbar eröffnen könnte. Was hier besonders auffällt: Sie sind um einiges größer als die der polnischen Grenzer, aber noch um einiges kleiner als jene in Aserbaidschan. Ihr Umfang entwickelt sich demnach proportional zur Anzahl durchfahrener Längengrade in östlicher Richtung. Was ja vor allem für die Nackenmuskulatur der Staatsmachtsvertreter in Uralnähe durchaus problematisch sein dürfte. Im diesem Moment aber ist mir das ziemlich egal, weil nicht nur der Ural weit weg ist, sondern auch Lemberg unerreichbar scheint. Wir stehen. Und warten. Worauf, ist noch nicht genau geklärt. Hinter den Busfenstern: Noch mehr Tellermützen, dazu nun auch einige Schwarzuniformierte, daneben: Der Busfahrer. Dahinter: Flaches Land.  

Kurze, aber in Gestik und Lautstärke durchaus heftige Unterhaltung auf Ukrainisch, Polnisch, Russisch. Bis, vorne im Bus, die Mannschaftsbetreuerin der polnischen Nationalmannschaft zum Mikrofon greift. Klare Ansage: „This is a bribe.“ Bestechende Stille, Fragezeichen in den Gesichtern.. Sie fährt fort, ihre Stimme irgendwo zwischen Belustigung und Verzweiflung. Knappe Zusammenfassung des polnisch-russisch-ukrainischen Dialogs: Die Grenzer haben, einen gewissen Einfallsreichtum kann man ihnen da nicht absprechen, noch eben ein Gesetz erfunden, wonach es Polen verboten ist, Ukrainer in die Ukraine einzuführen. Und umgekehrt genauso. Ohne den Berechtigungsschein für die Beförderung von Ukrainern geht hier gar nichts, sagt die Tellermütze und macht dazu das entsprechende Tellermützengesicht.

Der Vorhang, eisern, zu und alle Fragen offen

Da allerdings beginnt das Problem: Weil dem Busfahrer ein Dokument fehlt, das es gar nicht gibt. Aber, und hier endet das Problem auch schon wieder, die Grenzer sind durchaus verhandlungsbereit. Es geht schließlich weniger um die Formalitäten, als, viel schlichter, um Geld. Sie fordern, für jeden Ukrainer in diesem Bus, eine Kopfpauschale von einhundert Grimwa, umgerechnet in etwa zehn Euro. Heftige Proteste, weitere Diskussionen, Vermittlungsversuche, die jedoch an einer Mimik wie Granit zerschellen. Der Fahrer und zwei der ukrainischen Spieler folgen den Grenzern in ein flaches Gebäude. Sie werden das jetzt klären.

Zeit genug, um nochmal nachzudenken, was das eigentlich tatsächlich bedeutet: Polen, die keine Ukrainer mitnehmen dürfen. Ukrainer, für die es besser ist, ohne Polen zu reisen. Für zwei Länder, die in drei Wochen gemeinsam eine Europameisterschaft austragen wollen, ist das eine denkbar ungünstige Konstellation. Und wenn das hier, drei Nationen in einem Bus, unterwegs im Auftrag des Fußballs, die Generalprobe für die Europameisterschaft ist, wird es bei der Premiere zum Eklat kommen. Der Vorhang, eisern, zu und alle Fragen offen.

Stadien und Städte der EM-Gastgeber Polen und Ukraine:

Bei einigen setzt dann auch eine gewisse, historisch bedingte Beklemmung ein. Der DDR-Flashback. „Da kommen die ganzen Erinnerungen wieder hoch, diese Grenzgefühle von damals“, sagen sie. Und einer der Polen schaut kopfschüttelnd aus dem Fenster, sagt dann: „Ukraine, das ist wie Polen vor dreißig Jahren.“ Die Ukrainer sind da pragmatischer. Einer kennt einen, der im Besitz der Nummer des ukrainischen Außenministers ist. In den deutschen Reihen wird nun darüber nachgedacht, Westerwelle anzurufen, der steht bei den Journalisten im Adressbuch. Guido Mobil. Der Humor hängt hier, nach drei Stunden Grenzerfahrung, längst am Galgen.

Doch bevor das alles staatstragend wird, eine Guido-Angelegenheit, kommen der Fahrer und die anderen zurück. Ein Nicken, ein Zeichen, sie haben das geklärt. Die Tellermützen sind verschwunden. Der ukrainische Schlagbaum hebt sich, vor uns immer noch: Flaches Land, am Straßenrand führt ein Mütterchen eine Kuh an einer Leine spazieren.

Wir halten an der ersten Tankstelle hinter der Grenze. Wodka für mich und meine Freunde. Ich will zahlen, habe jedoch kein Bargeld dabei, und auch das Kartenlesegerät funktioniert nicht. Also stehe ich da, allein zwischen drei älteren Ukrainern. Und plötzlich legt sich eine ukrainische Hand, groß wie eine polnische Grenzermütze, auf meine Schulter. Der Ukrainer drückt mir einen Schein in die Hand, er lacht. Willkommen, sagt dieses Lachen. Ich lehne ab. Aber ich habe verstanden.

So ist das mit Blinddates, das erste Treffen kann ziemlich zäh sein, man kennt sich ja kaum. Die Ukraine und ich, wir hatten einen schlechten Start, aber ich gebe ihr noch eine Chance. Zweite Verabredung in Lemberg. Guter Ort, um sich besser kennen zu lernen, sagen jene, die schon mal dort waren.

Kurz vor Beginn der EM reist die deutsche Autorennationalmannschaft nach Polen und in die Ukraine, um sich mit den Gastgebern sportlich und literarisch zu messen. Auf Einladung der Autoren nimmt unser Reporter Lucas Vogelsang an dieser Reise teil.

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