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Sport: Verantwortung tragen, ohne Chef zu sein

Die schwierige Aufgabe des Iwan Tischanski beim Fußball-Zweitligisten 1. FC Union

Von Karsten Doneck, dpa

Berlin. Die Spieler drehten zum Abschluss in mäßigem Tempo ein paar Laufrunden, dehnten und streckten sich dann noch ein bisschen an dem Ballfangzaun hinter dem Tor. Iwan Tischanski war derweil schon anderweitig beschäftigt. Ganz locker, ohne Hast, manchmal lächelnd übte er mit einem kleinen, Straßenschuhe und Jeans tragenden Jungen Elfmeterschießen. Tischanski war sich nicht mal zu schade, dabei auch selbst als Torwart zwischen die Pfosten zu gehen.

Eine sympathische Geste. Und die zeigt: Es menschelt beim Fußball-Zweitligisten 1. FC Union. Die gestrenge Art des Georgi Wassilew, der nicht von ungefähr als General tituliert worden ist, gehört der Vergangenheit an. Was aber nicht bedeutet, dass bei Union nach der fristlosen Entlassung von Trainer Wassilew am Sonnabend jetzt im Training karnevalistischer Frohsinn ausgebrochen ist. Als die Mannschaft gestern erstmals nach Tischanskis Regie trainierte, dauerte die Einheit stolze 88 Minuten – und die Kiebitze am Rande kramten erst einmal in ihren Erinnerungen, wann bei Wassilew letztmals so lange geübt wurde. Einer der Zuschauer, Bodo Balacz nämlich, ein Union-Fan durch und durch, verlangt ohnehin härtere Arbeit von den Herren Profis. „Ich finde das unmöglich, dass die Spieler einfach drei Tage freimachen“, schimpfte er rückblickend auf Wassilews Maßnahme, der Mannschaft am vorigen Wochende frei zu geben – trotz der schwer aufzuarbeitenden 0:7-Pleite beim 1. FC Köln am Montag zuvor.

Tischanskis erstes Training begann mit – Reden. Kurz vor drei fuhr der schwarze Kombi von Bernd Hofmann vor dem Kabinentrakt an der Alten Försterei vor. Dem Wagen entstieg neben dem Eigentümer, seines Zeichens Geschäftsführer bei Union, auch Präsident Heiner Bertram. Beide verschwanden für drei Minuten in der Spielerkabine. Als die Spieler dann zum Training herauskamen, fragte einer der etwa 20 Zuschauer unüberhörbar: „Na, wie war die Ansprache?“ Union-Profi Heiner Backhaus schnappte das auf, tat erstaunt und antwortete: „Welche Ansprache denn?“

Ja, welche Ansprache eigentlich? Bertram und Hofmann stimmten die Mannschaft erst mitten auf dem Platz auf die neuen Gegebenheiten bei Union ein. Von der unangenehmen Kälte und dem Nieselregen ließen sie sich nicht abhalten. Wichtigster Tagesordnungspunkt: Tischanski wurde der Mannschaft offiziell als Nachfolger von Wassilew vorgestellt. Als Nachfolger? Nun ja, nicht ganz. „Ich bin nicht der Cheftrainer“, sagte Tischanski zu den hierarchischen Strukturen. Was ist er dann? Tischanski: „Ich bin der Verantwortliche für die Mannschaft, ich muss die Spieler vorbereiten auf das nächste Spiel. Wie lange ich verantwortlich bin, weiß ich nicht.“ Tischanski – ein Trainer auf Abruf. Er hat aber feste Vorstellungen, wie er seine Mannschaft auf Wacker Burghausen, den Gegner am kommenden Sonntag, vorbereiten soll. Ein elementarer Punkt dabei: die Gesprächstherapie. „Ich werde mit jedem Spieler einzeln sprechen, auch mit kleinen Gruppen“, sagt Tischanski. Und den Geist von Georgi Wassilew, den will er möglichst bald verscheuchen. Es sei „kein angenehmes Gefühl“, sagt er, auf dem Trainingsplatz seinen bulgarischen Landsmann und Freund zu ersetzen, der ihm ja schließlich 1999 den Job bei Union vermittelt habe. Und er, Tischanski, habe auch erst „gestern mit Georgi telefoniert“ und „vielleicht treffen wir uns mal“. Aber dann pocht der neue Mann doch darauf, dass jetzt eine andere, seine Ära bei Union beginnt – und sei sie noch so kurz. Tischanski sagt: „Ich finde es nicht richtig, dass wir immer wieder über die Zeit von Wassilew reden, mich interessiert jetzt in erster Linie die Zukunft.“ Punkt.

Den Geist von Wassilew mag Tischanski ja mit ein paar Siegen vertreiben können. Schwer verträglicher für ihn ist da gewiss die ständige Debatte um seinen Nachfolger. Falko Götz, früher Hertha BSC, ist ein Kandidat, aber persönliche Gespräche zwischen Präsident Bertram und diesem Trainer haben nach der Trennung von Wassilew offenkundig noch nicht stattgefunden, und wenn doch, so werden sie dementiert. Gestern war Falko Götz ohnehin unterwegs – auf der Autobahn von München nach Berlin.

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