zum Hauptinhalt
Was hat Vettel auf dem Zettel? Sicher nicht den Punktestand in der Formel-1-Wertung, denn den schaut sich der Weltmeister zurzeit nach eigenem Bekunden nicht an. Foto: dapd

© dapd

Sport: Verfluchte Heimat

Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel kämpft in Hockenheim bereits darum, nicht den Anschluss zu verlieren.

Von Christian Hönicke

Dass der Große Preis von Deutschland im Juli 2013 stattfinden wird, ist keineswegs sicher. Einerseits wegen des Finanzdebakels am Nürburgring, der das Rennen dann austragen soll. Am Samstag verkündete Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, wenn das Rennen stattfinden solle, müsse es in den nächsten Wochen eine Lösung geben. Andererseits legt womöglich Sebastian Vettel sein Veto ein. Der Formel-1-Weltmeister hat in seiner Karriere bisher noch keinen Heimsieg holen können, was damit zu tun haben könnte, dass er überhaupt noch nie ein Rennen im Juli gewinnen konnte. Wenn es am Sonntag in Hockenheim (14 Uhr/live bei RTL und Sky) wieder nicht klappen sollte, überlegt er, solle man den deutschen Grand Prix vom traditionellen Juli „mal in den August oder Juni verschieben“.

Natürlich ist das wieder nur einer von Vettels Witzen. Mag auch dieser Juli bisher wieder nur einen dritten Platz in Silverstone abgeworfen haben, „an einen bösen Monat oder ein schlechtes Datum glaube ich nicht“, stellte der Red-Bull-Pilot vor dem Rennen in Hockenheim klar. Aber doch zumindest an eine bislang verdammt schwierige Saison. Nach dem traumwandlerisch leicht wirkenden vergangenen Jahr mit elf Siegen ist Vettel wieder in der harten Formel-1-Realität aufgewacht. „Mit Sicherheit hätten wir uns den Anfang der Saison ein bisschen besser vorgestellt“, gibt er zu. Derzeit will einfach nichts so richtig rund laufen, das Feld ist eng beisammen wie selten – und so liegt der Doppelweltmeister nur auf Rang drei der WM-Wertung. In Hockenheim kämpft er bereits darum, nicht den Anschluss an den WM-Führenden Fernando Alonso zu verlieren.

Der notorisch coole Spanier hat seinen Ferrari bislang am sichersten durch die Unbilden dieser chaotischen Saison gesteuert. Obwohl der zweimalige Champion nicht den stärksten Wagen fährt, hat er bereits 129 Punkte gesammelt – 29 mehr als Vettel. „Red Bull hat das schnellste Auto, aber wir führen, weil wir nicht allzu viele Fehler gemacht haben“, erklärt der Spanier in einer Mischung aus Stolz und Schadenfreude. Für viele ist das der Beweis dafür, dass Alonso und nicht der aktuelle Weltmeister immer noch der beste Fahrer im Feld ist.

Die verregnete Qualifikation am Hockenheimring am Samstag bot dieser These weitere Nahrung. Vettel hatte die Poleposition in Reichweite und startet am Sonntag als Zweiter doch wieder hinter Alonso (siehe Kasten). „Nicht ganz zufrieden“ war Vettel mal wieder mit sich, „ich hatte zwei, drei kleine Patzer. Fernandos Zeit wäre nicht ganz unmöglich gewesen.“ So ähnlich lief es oft zuletzt. Sicher, wenn ihn Narain Karthikeyan in Malaysia nicht beim Überrunden hinausgerempelt und ihn die defekte Lichtmaschine in Valencia nicht um den sicheren Sieg gebracht hätte, würde Vettel wohl jetzt in der WM führen. Andererseits hat er erreichbar erscheinende Punkte liegen lassen, wo Alonso unerreichbar erscheinende Punkte geholt hat. „Konstanz ist das Wichtigste in dieser Saison“, räumt Vettel ein. „Fernando hat jetzt 20 Rennen in Folge in den Punkten beendet – kein Wunder, dass er die WM anführt. Er ist derjenige, den es zu schlagen gilt.“ Ihn und Mark Webber. Denn Vettels schon besiegt geglaubter Stallrivale hat sich urplötzlich wieder zum ebenbürtigen Gegner aufgeschwungen. Im Duell mit dem Australier liegt der Deutsche derzeit hinten, 1:2 nach Siegen, 100:116 nach WM-Punkten. Das nagt an ihm: „Er ist nicht zufrieden, wenn ich vor ihm bin - ich bin nicht zufrieden, wenn er vor mir ist.“ Und so wirkt der sonst so spitzbübische Heppenheimer neuerdings manchmal sogar ein wenig in sich gekehrt.

Woran es liegt, ist schwer zu sagen. Red-Bull-Teamchef Christian Horner erklärt: „Sebastian kam am Saisonbeginn mit dem Auto nicht unbedingt klar, aber mit fortschreitender Entwicklung ist er mit dem Wagen viel vertrauter geworden.“ Vor allem in der Qualifikation hat Vettel seine Dominanz verloren. Während er 2011 mit 15 Polepositions einen neuen Rekord aufstellte, brachte er es in jüngster Zeit nicht immer „auf den Punkt“, wie es im Fachjargon heißt. In Hockenheim glich Vettel immerhin das Qualifikationsduell mit Webber zum 5:5 aus – der Australier fuhr die drittschnellste Zeit und wurde wegen eines Getriebewechsels um fünf Ränge auf Startplatz acht zurückversetzt.

Die kleinen Patzer in der letzten Runde könnten ihn aber mal wieder den Heimsieg kosten.

Mögen die Zeiten auch schwieriger geworden sein, eines wirft Vettel nicht über Bord: seine Zuversicht. Den verlorenen Punkten „hinterherzuweinen bringt nichts“, sagt er. „Schauen wir, dass wir in der zweiten Halbzeit immer ins Ziel kommen und viele Punkte einfahren. Die WM kommt dann von alleine.“ Als mentale Aufbaumaßnahme hat Vettel beschlossen, den WM-Stand bis auf Weiteres einfach zu ignorieren. „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie viele Punkte ich jetzt hintendran bin oder nicht“, sagt er und präsentiert seine eigene Rechnung: „Ich glaube, es ist mehr als ein Punkt, aber weniger als hundert Punkte.“ Mit einem ähnlichen Gedankenkniff hält er sich auch den Juli warm. Selbst wenn er am Sonntag wieder nicht gewinnen sollte, hat er in diesem Monat schon etwas Positives im Kalenderblatt gefunden: „Ich wurde ja schließlich im Juli geboren.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false