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Die Japaner jubeln vor dem bedienten Antonio Rüdiger.

© Foto: Reuters/Annegret Hilse

Update

Verpatzter WM-Auftakt: Deutschland verliert nach Führung noch 1:2 gegen Japan

Eine Halbzeit lang spielt die deutsche Nationalmannschaft in ihrem ersten WM-Spiel gegen Japan stark auf. Doch nach der Pause geht plötzlich nichts mehr.

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Das Bild kam einem seltsam vertraut vor. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielt gegen einen Gegner aus Asien, und kurz vor dem Ende gibt Manuel Neuer, der Torhüter, seinen angestammten Platz auf, um bei einem Standard im gegnerischen Strafraum zumindest Verwirrung zu stiften.

So war das vor viereinhalb Jahren, bei der WM in Russland, im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea in Kasan. So war es auch am Mittwoch im Khalifa International Stadium von Al-Rayyan gegen Japan. Und das mit dem gleichen Ausgang. Neuers Ausflug in den Sturm konnte die Niederlage nicht mehr verhindern. 1:2 (1:0) hieß es am Ende gegen Japan.

Und obwohl es nur das erste Gruppenspiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar war, könnten die Folgen für die Deutschen die gleichen sein wie 2018 nach der 0:2-Niederlage gegen Südkorea. Erneut droht ihnen das Aus bereits nach der Vorrunde. „Aktuell bin ich noch ein bisschen geschockt“, sagte Thomas Müller in der ARD.

Das Ergebnis traf die Nationalmannschaft hart – weil sie lange wie der sichere Sieger ausgesehen hatte. Bis eine Viertelstunde vor Schluss führte sie mit 1:0, doch dann drehten die Japaner durch Tore der beiden eingewechselten Bundesligaprofis Ritsu Doan (SC Freiburg) und Takuma Asano (VfL Bochum) die Begegnung noch.

Ilkay Gündogan (Bildmitte) schoss Deutschland per Elfmeter in Führung.

© Foto: dpa/Federico Gambarini

Kleine, aber folgenreiche Unzulänglichkeiten vor dem eigenen Tor, aber auch vor dem des Gegners mussten die Deutschen teuer bezahlen.

„Was die Effizienz betrifft, hat uns Japan klar geschlagen“, sagte Bundestrainer Hansi Flick. „Für die individuellen Fehler haben wir heute gebüßt.“ Thomas Müller gab sich ein bisschen ratlos, und tatsächlich konnte einem das Ergebnis die Sprache verschlagen.

Vor dem Spiel sprachlos, danach auch

Vor dem Spiel hatten die Deutschen das noch freiwillig getan. Als sie sich für die Fotografen zum obligatorischen Mannschaftsfoto aufstellten, legten sich sämtliche deutschen Nationalspieler ihre rechte Hand auf den Mund.

Man beschneidet unser Recht, frei unsere Meinung zu äußern, sollte diese Geste heißen. Zum Beispiel das Recht, mit der Wahl der Kapitänsbinde auf ein paar Dinge hinzuweisen, die der Nationalmannschaft wichtig sind. Eine Binde mit der Aufschrift „One Love“ zu tragen war Kapitän Manuel Neuer vom Weltverband Fifa untersagt worden.

Das 1:1 für Japan durch Ritso Doan.

© Foto: AFP/INA FASSBENDER

Nachdem das Thema in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen beherrscht hatte, war mit Spannung erwartet worden, wie die Deutschen den ganzen Wirbel verarbeiten würden. Bleibende Schäden waren zunächst nicht zu erkennen.

Die Nationalmannschaft schien auf bestem Wege, mit einem Sieg in das politisch umstrittene Turnier zu starten – und verspielte doch alles. So drohen den Spielern in den nächsten Tagen weitere hitzige Debatten. Diesmal aber wird es um sportliche Themen gehen.

„Das ist brutal enttäuschend“, sagte Flick, der für sein erstes Turnierspiel als verantwortlicher Bundestrainer eine durchaus überraschende Aufstellung gewählt hatte. Thomas Müller kehrte nach seiner Verletzungspause gleich in die Startelf zurück und übernahm die Zehnerposition, Jamal Musiala rückte auf die linke Seite, die durch die Verletzung von Leroy Sané frei geworden war.

Leon Goretzka saß zunächst auf der Bank, seinen Platz in der Doppelsechs bekam Ilkay Gündogan. In der Viererkette verteidigte Nico Schlotterbeck neben Abwehrchef Antonio Rüdiger. Niklas Süle, eigentlich gelernter Innenverteidiger, übernahm den Job des rechten Außenverteidigers. Der Bundestrainer wollte in letzter Linie viel Tempo gegen die konterstarken Japaner aufbieten.

Dass diese Vorsichtsmaßnahme berechtigt war, zeigte sich nach sieben Minuten. Gündogan verlor den Ball tief in der gegnerischen Hälfte – und dann ging es ganz schnell. Nur Sekunden später bejubelten die Japaner ihren vermeintlichen Führungstreffer. Torschütze Daizen Maeda hatte allerdings deutlich im Abseits gestanden.

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Generell aber kamen die Japaner vor der Pause nur selten dazu, ihr großes Gefahrenpotenzial in Umschaltsituationen zu entfalten. Das Team von Hansi Flick hatte meist den Ball und die Angelegenheit weitgehend unter Kontrolle. „Wir waren absolut überlegen“, sagte Müller. Bei aller Dominanz fehlten allerdings noch der offensive Punch und klar herausgespielte Chancen.

Bis Joshua Kimmich nach einer halben Stunde einen Geistesblitz hatte. Mit einem seiner berüchtigten Chipbälle über die letzte Verteidigungslinie der Japaner hinweg erreichte er den geschickt einlaufenden David Raum.

Der Linksverteidiger nahm den Ball zwar alles andere als perfekt an, profitierte aber vom Ungeschick des japanischen Torhüters. Shuici Gonda rannte Raum regelrecht über den Haufen. Es gab Elfmeter. Gündogan verwandelte sicher zur inzwischen verdienten Führung.

Die zuvor harmlosen Japaner wurden erst in der zweiten Hälfte mutiger – und mit jeder Einwechslung auch gefährlicher. Zunächst aber hatten die Deutschen weiterhin die besseren Chancen.

Musiala setzte den Ball nach einem Solo durch die gegnerische Verteidigung übers Tor, Gündogan traf mit einem Schlenzer den Außenpfosten, der eingewechselte Jonas Hofmann und Serge Gnabry scheiterten binnen weniger Sekunden an Gonda.

In dieser Phase verpassten es die Deutschen, den für so wichtig erachteten Auftaktsieg zeitig klarzumachen. So blieb es angesichts der knappen Führung spannend. Unnötig spannend.

„Wir haben es den Japanern zu einfach gemacht“, klagte Ilkay Gündogan. „Das darf nicht passieren.“ Vielleicht war sich die Mannschaft einfach zu sicher. Torhüter Neuer musste erst in der 73. Minute erstmals eingreifen. Mit einem guten Reflex verhinderte er gegen Junya Ito den möglichen Ausgleich.

Es war eine letzte Warnung, die das deutsche Team allerdings nicht ausreichend ernst nahm. Zwei Minuten später gelang den Japanern tatsächlich der Ausgleich. Den Schuss des gerade erst eingewechselten Takumi Minamino konnte Neuer noch parieren, gegen den zweiten Versuch des Freiburgers Ritsu Doan war er dann allerdings machtlos.

Ilkay Gündogan beklagte, dass der deutschen Mannschaft in dieser entscheidenden Phase „ein bisschen die Überzeugung mit dem Ball“ gefehlt habe. Manchmal hatte er das Gefühl, „dass nicht jeder den Ball haben wollte“. Torhüter Neuer wiederum vermisste „die Ruhe, hinten rauszuspielen“. So machten es die Deutschen ihrem Gegner erdenklich leicht.

Flick griff zum letzten Mittel, wechselte Mario Götze und Niclas Füllkrug ein – und kurz danach fiel tatsächlich noch ein spätes Tor. Allerdings auf der falschen Seite. Nach einem langen Schlag des japanischen Innenverteidigers Ko Itakura von Borussia Mönchengladbach hob Süle das Abseits auf, und Schlotterbeck leistete Takuma Asano lediglich Begleitschutz, so dass dieser aus spitzem Winkel zum 2:1 einschießen konnte.

„Dieses unbedingte Wollen hat am Ende den Ausschlag gegeben“, sagte Manuel Neuer. Den Ausschlag dafür, dass Japan siegte und die deutsche Nationalmannschaft zum dritten Mal nacheinander mit einer Niederlage in ein großes Turnier gestartet ist.

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