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Frank Goosen, 44, ist in Bochum geboren und glühender VfL-Anhänger. Der Schriftsteller („Liegen lernen“, „Radio Heimat“) schreibt Kolumnen in der Stadionzeitung der Bochumer und gehört seit Oktober dem Aufsichtsrat des Klubs an.

© Dominik Asbach/laif

VfL Bochum: "Dann sind wir eben die kleinen schmutzigen Arschlöcher"

Der Schriftsteller und Kabarettist Frank Goosen über sein Amt als Aufsichtsrat beim VfL Bochum, Schlipsträger und die Mentalität von Herthas heutigem Gegner.

Herr Goosen, Sie sind Schriftsteller, Kabarettist – und seit einem Monat im Aufsichtsrat des VfL Bochum. Nehmen Sie die Schlipsträger da überhaupt ernst?

Also, erstens habe ich erst eine Sitzung mitgemacht, und da haben von sechs Leuten nur drei einen Schlips getragen. Und zweitens: Ob man ernst genommen wird, hängt vor allem davon ab, was man sagt. Wenn ich die ganze Zeit den Pausenclown gebe, werde ich auch als Pausenclown wahrgenommen. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass meine Argumente wegen des Berufs, den ich habe, abgetan werden. Mit den Leuten kann man offen reden. Wir sind im Ruhrgebiet. Da wird nicht viel rumgeschwallert. Da ist auch Bums dahinter.

Eigentlich erleben Sie gerade den Traum eines jeden Fußballfans: endlich mitzubestimmen, was in seinem Verein passiert.

Ich glaube, der Fan träumt davon, in der Pause zum Trainer zu gehen und ihm zu sagen: Nimm mal den Maier raus und bring den Schulze dafür! Und wir gewinnen das Spiel, weil der Schulze zwei Tore macht. Das habe ich auch schon geträumt. Ich habe aber auch schon davon geträumt, dass die am Bierstand schneller zapfen.

Aufsichtsrat hört sich gesetzt an. Gibt Ihnen das Amt ein Gefühl der Erhabenheit?

Nein, beim Zeltfestival in Bochum vor 2500 Leuten auf einer riesigen Bühne zu stehen, die nur meinetwegen gekommen sind – das ist eine Form von Erhabenheit, von professioneller und emotionaler Erfüllung. Ich habe einen Beruf, in dem meine Eitelkeit über Gebühr gepinselt wird, gerade in den letzten Jahren. Das Amt beim VfL brauche ich dafür nicht. Aber es gibt ein paar Sachen, die ganz lustig sind.

Zum Beispiel?

Dass ich jetzt einen Parkplatz direkt am Stadion habe.

Haben Sie keine Angst, über die Entlassung eines Trainers entscheiden zu müssen?

Das ist genau das, was mir durch den Kopf gegangen ist, bevor ich zugesagt habe. Man überlegt sich: Was macht ein Aufsichtsrat? Personalentscheidungen gehören zu seiner Kernkompetenz. Wenn ich davor Angst hätte, wäre ich hier verkehrt. Und zum Glück muss ich das nicht alleine entscheiden. Ein Problem hätte ich nur, wenn ich der wäre, der zum Trainer sagen muss, dass er jetzt leider entlassen ist.

Wie war das eigentlich, als Werner Altegoer, der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Sie angerufen hat?

Dass er mich angerufen hat, war nichts komplett Neues. Ich dachte, er wollte mir den Kopf zurechtrücken, weil ich mich kritisch über den VfL geäußert hatte. Aber das hat er nicht gemacht. Stattdessen hat er mir dieses Amt angeboten.

Und da konnten Sie gar nicht Nein sagen.

Natürlich hätte ich Nein sagen können. Ich habe mir das eine Woche sehr intensiv überlegt. Es stand auf der Kippe. Den Ausschlag hat gegeben, dass ich das auch ein bisschen als Ehre empfinde. Ich habe mit acht Jahren zum ersten Mal mit meinem Vater im Ruhrstadion gestanden, und heute sitze ich beim VfL im Aufsichtsrat. Das finde ich schon toll. Und ich wollte mich auch nicht dem Vorwurf aussetzen: Meckern kann er, aber wenn es darauf ankommt, kneift er.

Viele Fans befürchten, Sie seien vor allem deshalb gefragt worden, damit Sie nicht mehr so viel meckern.

Es mag eine Rolle gespielt haben, dass man gedacht hat: Wenn der Goosen erst einmal mehr weiß, sieht er vielleicht manches nicht mehr so kritisch. Aber welchen Auftritt ich mir von der Mannschaft wünsche, hängt nicht so sehr davon ab, ob ich den exakten Kontostand des VfL kenne.

Müssen Sie demnächst genau darauf achten, was Sie sagen?

Auf der Tribüne, in Block B, werde ich mich vor meinen Kumpels immer noch genauso aufregen wie früher. Aber ich bin jetzt nicht mehr nur der mehr oder weniger prominente Fan. Das wird in Zukunft eine Herausforderung sein – weil die Leute von mir deutlichere Worte als von einem Berufspolitiker erwarten. Dabei habe ich mir auch früher schon genau überlegt, wann ich mich öffentlich äußere. Es gibt von mir aus den letzten zweieinhalb Jahren original drei kritische Artikel über den VfL. In einem, direkt nach dem Abstieg in diesem Frühjahr, habe ich mich tatsächlich aus dem Fenster gelehnt und die Mentalität kritisiert, die diesem Verein mittlerweile anhaftet.

Welche Mentalität meinen Sie?

Dass man immer wieder gesagt bekommt: Der VfL hat kein Geld, der kann sowieso nichts erreichen. Irgendwann durchsuppt das den ganzen Verein und ermöglicht es allen, sich in einen selbstmitleidigen Schmollwinkel zurückzuziehen. Es gibt auch andere Klubs ohne Geld. Was soll denn Rot-Weiß Oberhausen sagen? Die haben einen Bruchteil von dem, was wir haben – und behaupten sich in der Zweiten Liga. Mit Haltung und klarer Kante. Da muss der VfL hinkommen, dass er wieder was ausstrahlt. Wir brauchen wieder so eine kratzbürstige Mentalität, eine Trotzhaltung. Dann sind wir eben die kleinen schmutzigen Arschlöcher zwischen Gelsenkirchen und Dortmund. Wir wollen ja nicht von der Champions League delirieren. Aber auch der VfL Bochum muss, im Rahmen seiner Möglichkeiten, Ehrgeiz haben. Das ist ganz wichtig.

Welchen Einfluss kann der Aufsichtsrat darauf nehmen?

Er kann einen anderen Geist transportieren. Da glaube ich fest dran. Wir erleben gerade eine entscheidende Phase der Vereinsgeschichte, einen Wendepunkt. Wir müssen das nutzen, um darüber zu diskutieren, wo der Verein eigentlich hinwill.

Hängt die Zufriedenheit der Fans nicht vor allem damit zusammen, wie die Mannschaft Fußball spielt?

Außerhalb von Bochum versteht niemand, dass die VfL-Fans schon nach dem dritten Saisonspiel stinksauer sind. Aber für uns ist es eben nicht das dritte Saisonspiel, sondern die Fortsetzung dessen, was in der Saison davor war – und in der davor. Das Auftreten der Mannschaft hat sich in den letzten zweieinhalb Jahren auffallend zum Schlechten verändert. Da wurde oft nur noch Dienst nach Vorschrift geschoben. Dass das Bochumer Publikum ungeduldig ist, kann hier keiner mehr hören, das ist für uns ein Reizthema. Wenn sich eine Mannschaft auf dem Platz so präsentiert, wie es der VfL in den letzten zweieinhalb Jahren zum Teil getan hat, und zwar immer und immer wieder, bekommt jeder Verein mit seinen Fans Probleme.

Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, vor den Spielern eine Uli-Hoeneß-artige Brandrede zu halten?

Nein, da käme ich mir eher doof vor. Das würde mir auch keiner abnehmen. Ich habe dann immer Jürgen Klinsmann bei „Deutschland, ein Sommermärchen“ vor Augen. Da denke ich jedes Mal: Das kann doch nicht sein, dass ihr den Scheiß glaubt und euch davon hochpushen lasst.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

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