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Sport: Von Kopfmenschen und Kampfschweinen

Über die heikle Distanz eines Trainers zum Spiel und zu seiner Mannschaft

S o kann, so darf es einfach nicht weitergehen. Wer diesen Satz denkt, spürt sich in der Krise. Spürt, dass es gerade jetzt, da es eng und enger wird, darum geht, kühlen Kopf zu bewahren, weil es nämlich gerade jetzt, inmitten dieses unguten Strudels, der alles mit sich reißt und einen immer tiefer in die Krise zieht, darauf ankommt, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen müssen in jedem Fall getroffen werden, und zwar sofort, schließlich kann es, nein, darf es so nicht weitergehen.

Krise ist zurzeit permanent. Sie ist das Gefühl, in dem wir leben. Und die Bundesliga ist natürlich keine Ausnahme. Ein Bundesligaklub mitten in der Krise weiß in der Regel recht genau, was getan werden muss: er wechselt den Trainer. Allein im letzten Monat griffen fünf geschüttelte Teamleitungen zu dieser Maßnahme. Es kamen: Falko Götz, Jürgen Röber, Ewald Lienen, Marc Wilmots und Jürgen Kohler. Es gingen: Peter Pacult, Wolfgang Wolf, Hans Meyer, Frank Neubarth und, im Prinzip, Thomas Hörster. Hält die Liga dieses Krisentempo durch – und warum sollte sie nicht? – müssten es bis Saisonende also noch zehn weitere Trainerwechsel werden.

Statistisch gesehen, das ist bekannt, bringt so ein Krisenwechsel im Fußball nichts ein. Meistens geschieht, was unter allen Umständen vermieden werden sollte, es geht im Ergebnis genau so weiter wie zuvor. Aus der Perspektive des distanzierten Beobachters wirft solch eine Aussicht natürlich die Frage nach der eigentlichen Funktion eines Fußballtrainers auf. Denn irgendeine spezielle und wichtige Funktion muss er für einen gut sortierten Profiverein doch haben. (Jetzt sehen wir einmal von der sozial gewiss bedeutsamen Ventilfunktion ab, gefeuert zu werden, wenn Krise ist.)

Ein erster Anhaltspunkt für den funktionalen Mehrwert eines modernen Fußballtrainers könnte dabei in der Tatsache liegen, dass der Trainer selbst ein mehr oder wenig distanzierter Beobachter des Spieles ist. Schließlich birgt die trainertypische Spielfeldrandposition, im Vergleich zu einer unmittelbaren Eingebundenheit in das Spielgeschehen, unbestreitbare strategische Vorteile in sich. Denn wer Distanz hat und wahrt, dem eröffnen sich Chancen, aus dieser Distanz eben jene Spielstrukturen, Muster und Eigentümlichkeiten auszumachen, die am Ende über Sieg und Niederlage der eigenen Mannschaft entscheiden.

Will er sich Möglichkeiten zur gewinnbringend gestaltenden Steuerung seiner Mannschaft offen halten – und wozu sonst stünde er hoch bezahlt am Spielfeldrand? – darf sich ein Trainer also unter gar keinen Umständen von dem konkreten Erleben des Spiels fesseln und einnehmen lassen. Dieses unbedingte Distanzgebot unterscheidet den Trainer insbesondere von der engagierten Beobachtung des Fans. Distanziertheit zum unmittelbaren Spielgeschehen ist, anders gesagt, ein Garant der fußballerischen Vernunft. Für ihre praktische Umsetzung hätte ein Trainer im Verein exemplarisch zu stehen.

Genau hier aber beginnt für den heutigen, medial überwachten Übungsleiter ein Dilemma. Denn dieses unbedingte Distanzgebot gilt es für ihn ständig mit einer anderen, durchaus gegenläufigen Anforderung zu vermitteln, und zwar der für alle Beteiligten vernehmlich und also offensiv darzustellenden Haltung einer totalen, emotionalen Engagiertheit. Eine heikle Angelegenheit ist das. Fragen Sie mal Frank Neubarth! Tatsächlich steht Schalkes flotter Trainerwechsel vom „Kopfmenschen“ Neubarth zum „Kampfschwein“ Wilmots beispielhaft für das schwierige Spannungsverhältnis von analytischer Distanz und emotionalem Engagement, in dem sich jeder Trainer immer wieder neu orientieren muss.

Dabei wird das totale, leicht triebhaft wirkende und sich so der Bewusstlosigkeit nähernde Engagement, für das Spieler Wilmots auf Schalke so innig geliebt wird, im Trainerbereich wohl ebenso ein Sonderfall bleiben müssen wie der gestenfreie, der Teilnahmslosigkeit nahe Distanzdrang eines Frank Neubarth. Affektkontrolle in Reinkultur verzeiht der Fußball erfahrungsgemäß nur größten Köpfen wie Ernst Happel oder Waleri Lobanowski. Möglicherweise aber taugten die beiden Schalker Extremtypen des „Kopfmenschen“ und des liebgewonnen „Kampfschweines“ als Basis einer Trainertypologie.

Denkbar erschiene beispielsweise, den unendlich feinen Mischverhältnissen von Distanzierung und Engagement mit den Erfolgskreuzungen des eher engagiert auftretenden „Kampfkopfes“ (Christoph Daum, Matthias Sammer) sowie des schwerpunktmäßig analytischen „Kopfschweines“ (Ottmar Hitzfeld, Arsene Wenger) näher auf den Grund zu gehen. Nach wie vor ungeklärt bliebe bei all dem allerdings die Frage nach der aktuellen Funktion von Jürgen Kohler. Der Newcomer wurde von Leverkusens Krisenmanagement für die nächsten fünf (!) Jahre verpflichtet. Klarheit herrschte nicht einmal über die Distanz seines Sitzplatzes zum Spielfeld. Kann es, wird es in Leverkusen so einfach weitergehen?

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