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Vor dem Dopingprozess: Claudia Pechstein: Eine Karriere auf Eis

Unmittelbar vor ihrem Dopingverfahren vor dem Sportgerichtshof Cas will Claudia Pechstein eine Erklärung für ihre schwankenden Blutwerte gefunden haben: Eine Blutabnormalität namens Hämolyse. Außerdem droht Pechsteins Management dem Dopingforscher Fritz Sörgel mit juristischen Schritten.

Berlin - Draußen und drinnen ist es kalt genug für den Winter, in der Halle mit der blätternden Farbe in Berlin-Hohenschönhausen schlittern Kinder zum russischen Kalinka-Tanz übers Eis. Auf der glänzenden Eisbahn drumherum hastet eine Frau ein paar Männern nach, deren Kufen klappern, klick klack, so wie ihre. In ihrem Schnellanzug ist sie kaum zu unterscheiden von den anderen, ihre ausholenden Armbewegungen ahmen deren Takt nach (oder ist es umgekehrt?), als ihr der Trainer mit der Stoppuhr und dem Zettel von der Bande her zuruft: „Ja ja, noch ’ne Runde.“ Es könnte alles so sein wie es immer war für Claudia Pechstein.

Nur noch einmal Gold bei den Olympischen Spielen, dann wäre die 37-Jährige die erfolgreichste Eisschnellläuferin der Welt, nur noch ein einziges Mal fehlt ihr zu diesem Glück, das sie sich selbst ausgesucht hat. Dieses eine Glück steht für sie jetzt auf dem Spiel. Ob sie ein anderes hätte, falls es zerfällt, will sie nicht verraten; sie möchte sowieso nicht mehr reden kurz vor der Verhandlung ihres Lebens. Sie möchte nur laufen, Runde um Runde, bloß weg hier, und doch kommt sie immer wieder an dieser Bande hier an.

Ihr Trainer wartet schon auf sie, Joachim Franke, ein knorriger Herr, der ihre Rundenzeiten notiert wie eh und sie in Schutz nimmt. Claudia Pechstein ist aufgrund auffällig schwankender Blutwerte wegen Dopings gesperrt worden, ab heute kämpft sie vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne um ihre Karriere und ihren Ruf. Hat die zweijährige Sperre des Weltverbandes ISU Bestand, ist alles vorbei für sie. Aber noch steht hier an der Bande ihr 69 Jahre alter Trainer und sagt, wie sehr er sie bewundert, weil sie weiterläuft, obwohl alle sie beobachten und manche sie verachten. Er hat sich nach einem Herzinfarkt zurück an seinen Platz gestellt, nur damit alles wieder so sein könnte wie es immer war. Auch über sein Erbe wird befunden, wenn das Urteil Anfang kommender Woche verkündet wird – über all die Medaillen mit seiner Claudia. Dabei stehen sie in Lausanne gar nicht zur Verhandlung. Wenn man Franke fragt, wie es ihm geht, dann fragt er zurück: „Gesundheitlich?“

Was zur Verhandlung steht, füllt eine Regalreihe in Simon Bergmanns Büro. Der Rechtsanwalt für Prominente sitzt an seinem Holzschreibtisch am Kurfürstendamm, nimmt die Brille kurz von seiner Nase und blinzelt zu den Akten. „Wir haben so viele Form- und Verfahrensfehler aufgedeckt, dass meine Mandantin freizusprechen ist“, sagt Bergmann. Um eine Menge Dinge geht es in seinem derzeit prominentesten Fall, um kleine und große. Manche Fragen sind von grundsätzlicher Natur für den Sport: Wie hoch sind Indizien wie schwankende Blutprofile zu gewichten, damit der Zweifel überwiegt und eine Sperre gerechtfertigt ist? Wer trägt die Beweislast bei einem Verdacht ohne Dopingbeweis – Verband oder Athlet? Bergmann kann über all das stundenlang referieren, der 46-Jährige kann sich aber auch über seinen Schreibtisch lehnen und sagen: „Wir haben auch versucht, den Grund zu finden.“

Der Grund. Irgendwo muss er sich doch verstecken. Zwischen all dem wissenschaftlichen Streit um die Protokollierung von Codenummern bei Dopingproben oder die Kalibrierung von Messgeräten. Zwischen all den Analysen zu den überhöhten Werten junger roter Blutkörperchen in Claudia Pechsteins Körper. Zwischen all den Möglichkeiten, dass diese Retikoluzyten (diese Retis, wie sie alle Beteiligten nur noch genervt nennen) auch von einer Krankheit herrühren könnten oder doch auf geschicktes Doping schließen lassen. Nun, mit Beginn der Verhandlung in Lausanne, glauben Pechstein und ihre Verteidiger, dass sie ihn doch noch gefunden haben, den Grund.

„Nach umfangreichen Untersuchungen des Blutbilds gehen wir davon aus, dass Claudia Pechstein wahrscheinlich eine angeborene leicht kompensierte Hämolyse aufweist“, lässt Bergmann wissen. Er setzt seine Brille wieder auf, denn er weiß, dass er jetzt viel erklären muss. Bergmann spricht von einer „gewissen Blutabnormalität“, von einer Krankheit (die in Pechsteins Verteidigungsstrategie am Anfang stand) spricht er nicht. Vereinfacht gesagt, handelt es sich bei einer Hämolyse um ein frühzeitiges Absterben der roten Blutkörperchen, das der Körper durch die Produktion jüngerer Blutkörperchen (der Retis) auszugleichen versucht. Das Phänomen solle bei Pechstein insbesondere nach starken körperlichen Belastungen auftreten. „Darüber hinaus geben die Untersuchungen deutliche Hinweise auf eine weitere Abnormalität, die wir aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht öffentlich diskutieren wollen. Wir haben entsprechende Gutachten beim Cas eingereicht und wir werden in Lausanne dazu mehrere Sachverständige aufrufen“, sagt Bergmann. Für den Cas müssten diese Zweifel ausreichen, um sie freizusprechen. Bergmanns Blick streift über die mit Akten gefüllte Regalreihe, eine kleine Pause macht sich breit, die der Anwalt mit dem Satz beendet: „Viel schwieriger wird es, Claudia Pechsteins Ruf in der Öffentlichkeit wieder herzustellen.“ Sein Geschäft ist das nicht.

Der Mann, der die Frau reinwaschen will vor aller Augen und Ohren, wohnt etwas außerhalb. An einer Villenpromenade am Groß Glienicker See südlich von Berlin residiert „Powerplay“, die Agentur von Ralf Grengel. Der Mann mit der schnellen, gern mal lauten Stimme redet sich in Rage, obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen ist. Am Besprechungstisch seiner Agentur, neben dem Whiskeyflaschen auf erfolgreiche Geschäftsabschlüsse warten, präsentiert Grengel E-Mails und Protokolle der ISU, die zeigen sollen, wie hemdsärmlig der Verband gegen Pechstein vorgehe. Die bisherigen Indizien, die inzwischen nur vier strittigen Blutwerte zwischen Oktober 2007 und Februar 2009, diese verdammten Reti-Werte, das alles reiche zum Dopingnachweis nicht. „In einem Strafprozess werde ich nicht zum Mörder verurteilt, wenn mich ein Zeuge am Tatort gesehen haben will, aber die gefundenen Fingerabdrücke und DNA-Spuren nicht zu mir passen.“ Grengel war früher Journalist, er verpackt Pechsteins Fall, der für ihn „eine schreiende Ungerechtigkeit“ ist, in griffige Bilder und verkauft sie ans Publikum. Sechs medizinische Gutachten werde man in Lausanne präsentieren, dazu zwei analytische, „es ist nicht so, dass wir auf einer Wurstpelle dahergeschwommen kommen“.

Grengel füttert die Öffentlichkeit mit Informationen, Zitaten, die Pechsteins vermeintliche Wahrheit ausschmücken. Bei einer von ihm organisierten und im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz ließ er sie in weißer Bluse angeblich veränderte Codenummern ihrer Dopingproben hochhalten, das dauerte lange, und bevor kritische Fragen der Journalisten kamen, hatte sich das Fernsehen ausgeblendet. Mit unabhängigen Forschern, die sich nicht für eine Studie zur Entlastung Pechsteins gewinnen ließen, führt Grengel einen Meinungskrieg – so mit dem Nürnberger Pharmakologen Fritz Sörgel, dessen Meinungsprofile zuweilen auch schwanken und der zuletzt eine „unerträgliche Medienshow“ Pechsteins geißelte. Als das Gespräch darauf kommt, wird Grengels Stimme noch lauter und seine Worte zum ersten Mal drohend: „Die unqualifizierten Aussagen Sörgels beschädigen zunehmend Claudias Bild in der Öffentlichkeit. Wir werden im Anschluss an das Cas-Verfahren prüfen, inwiefern dieser Schaden juristisch geltend gemacht werden kann.“ Grengel schaut kurz hinaus aus dem Haus mit seiner Agentur und seiner Wohnung, hinaus auf die Groß Glienicker Natur, beruhigen kann ihn das nicht.

Der Fall Pechstein, so viel ist sicher, ist mit der Urteilsverkündung nicht vorbei. Es wird diskutiert werden, ob eine vielleicht gedopte Athletin fälschlicherweise freigesprochen worden ist oder ob eine vielleicht saubere Sportlerin fälschlicherweise verurteilt worden ist. Es wird um möglichen Schadensersatz vom Weltverband gehen, um eine mögliche Kündigung Pechsteins bei der Bundespolizei, um große und kleine Fragen für den Sport – vor allem aber um das Bild einer Frau, bei der schon jetzt nichts mehr so ist, wie es immer war und wie es aussehen soll.

Draußen und drinnen ist es kalt genug für den Winter, in der Halle mit der blätternden Farbe in Berlin-Hohenschönhausen klappern ihre Kufen, klick klack, bis sie hier an der Bande zum Stehen kommt. Wie geht es Ihnen, Frau Pechstein? Sie schaut weg, hinunter auf das Eis ihres Lebens. „Diese Frage kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen.“

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