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Neue deutsche Welle. Timo Benitz gehört zur jungen Läufergeneration, die international wieder Anschluss findet. In Ulm gewann er vor zwei Wochen den deutschen Meistertitel über 1500 Meter vor Homiyu Tesfaye (im Bildhintergrund). Tesfaye wiederum hatte in dieser Saison den 34 Jahre alten deutschen Rekord über 1500 Meter von Thomas Wessinghage nur um vier Zehntel verpasst.

© Imago

Vor der Leichtathletik-EM in Zürich: Clemens Prokop: "Plötzlich haben wir Topläufer"

DLV-Präsident Clemens Prokop über die neue Vielseitigkeit in der deutschen Mannschaft, Leichtathletik im Fernsehen und die Nicht-Nominierung des Prothesenspringers Markus Rehm.

Herr Prokop, bei der Leichtathletik-EM, die am Dienstag in Zürich beginnt, stehen im deutschen Team auf einmal auch wieder Läufer im Mittelpunkt. Ist es für die Leichtathletik in Deutschland überlebenswichtig, dass die Erfolge nicht nur von Werfern und Stabhochspringern kommen?

Ich bin auf jeden Fall sehr neugierig, unter anderem auf die Mittelstrecke, wo wir mit Homiyu Tesfaye und Timo Benitz plötzlich Topläufer haben. Es ist wichtig, dass wir in unserer Sportart, die aus Laufen, Springen und Werfen besteht, vielseitig präsent sind. Im Sprint waren wir in den vergangenen Jahren regelrecht abgeschrieben. Auch das hat sich geändert. All das ist gut für unsere Reputation.

Gibt es den Leichtathleten in Deutschland nur ein gutes Gefühl oder lässt sich das auch verwerten?

Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich eine Verdoppelung unserer Sponsoren erwarte, aber es tut gut, wenn wir in allen Teilsegmenten erfolgreich sind. Das zeigt, dass sich die Arbeit der vergangenen Jahre gelohnt hat.

Diskus-Olympiasieger Robert Harting hat gerade wieder die Darstellung der Leichtathletik im Fernsehen kritisiert und sich eine Präsentation wie beim Skifliegen oder in der Formel 1 gewünscht.

Einerseits kritisiere auch ich, dass in einer Sendung, die Sportschau heißt, neben dem Fußball etwa der Weltrekord von Betty Heidler im Hammerwerfen nicht mal eine Fußnote wert war. Andererseits gehören wir zu den Sportarten, die am aufwendigsten zu produzieren sind. Bei der WM 2009 waren so viele Kameras im Berliner Olympiastadion im Einsatz wie bei den gesamten Olympischen Spielen 1972 in München. Und es gibt hinter dem Fußball wenige Sportarten, die im Sommer so präsent sind im Fernsehen wie wir mit Team-EM, deutschen Meisterschaften, Europameisterschaften, „Berlin fliegt“ und dem Istaf.

Bei „Berlin fliegt“ springen am 30. August wieder Athleten vor dem Brandenburger Tor. Wird die sogenannte Marktplatz-Leichtathletik die im Stadion verändern?

Nein, ich halte sie für eine ideale Ergänzung. Als wir bei den deutschen Meisterschaften in Ulm das Kugelstoßen vor dem Ulmer Münster veranstaltet haben, haben hinterher die Stadtratsfraktionen ihren Oberbürgermeister aufgefordert, sich ständig wieder zu bewerben. Solche Ereignisse schaffen Interesse bei Leuten, die sonst eher nicht ins Stadion gehen. Die Leichtathletik der Zukunft ist genau dieser Mix.

Clemens Prokop, 57, führt den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) seit 2001 als Präsident. Der frühere Weitspringer arbeitet als Direktor des Regensburger Amtsgerichts.
Clemens Prokop, 57, führt den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) seit 2001 als Präsident. Der frühere Weitspringer arbeitet als Direktor des Regensburger Amtsgerichts.

© dpa

In Zürich kommt die Leichtathletik nun an einen ihrer beliebtesten Orte überhaupt. Was erwarten Sie davon?

Der Letzigrund hat eine ganz große Tradition, aber ich bin sehr gespannt, ob das Stadion auch ausverkauft sein wird. Ein befreundeter Franzose berichtete mir, dass er für sich und seine beiden Kinder für Karten in der Stabhochsprungkurve fast 200 Franken ausgeben musste, und das waren keine Vip-Tickets. Da haben wir bei der EM 2018 in Berlin anderes vor. Wir werden gezielt auf Familien setzen.

Auch als Konsequenz aus der WM 2009, als kritisiert wurde, dass die Eintrittspreise gerade für Familien zu hoch waren?

Das ist auf jeden Fall eine Lehre. Wir werden gegenüber 2009 deutlich an Familienfreundlichkeit zulegen.

Der Athlet, über den in vergangenen Wochen am meisten diskutiert wurde, ist nun in Zürich nicht dabei. Sind Sie erleichtert, dass der Prothesen-Weitspringer Markus Rehm nicht versucht hat, seinen Start vor Gericht einzuklagen?

Ich finde es zunächst einmal gut, dass über solche Fragen der Sport entscheidet und kein staatliches Gericht. Entscheidungen über die Vergleichbarkeit von Leistungen sollten wirklich im Sport bleiben und das sage ich als Berufsrichter.

Ihr Verband hätte vor Gericht genauso wenig beweisen können, dass Rehm einen Vorteil mit seiner Prothese hat wie Rehm das Gegenteil hätte beweisen können.

Da befinden wir uns auf dem Feld der Spekulation. Wir haben ja Messungen durchgeführt. Und dass es physikalisch und biomechanisch unterschiedliche Leistungen sind, das wird eigentlich von niemandem mehr in Zweifel gezogen.

Aber hätte das vor Gericht wirklich gereicht, um Rehm einen Start zu verwehren?

Man muss dazu sagen, dass Markus Rehm keinen unmittelbaren Nominierungsanspruch hatte. Die Nominierungskriterien lauteten: ein Sprung über 8,05 Meter und einer über 7,90 Meter bei zwei unterschiedlichen Veranstaltungen. Er hatte aber nur seinen Meisterschaftssprung von 8,24 Meter. Und wenn er gegen den DLV gewonnen hätte, dann wäre die zweite Hürde für ihn gewesen, ob ihn der europäische Verband zum Start zulässt.

Ist das Ergebnis nun, dass Behindertensport und Nichtbehindertensport nebeneinander weiterleben?

Nein, und ich glaube, dass es ein solches bloßes Nebeneinander schon lange nicht mehr gibt. Behinderte und Nichtbehinderte trainieren gemeinsam, fahren zusammen ins Trainingslager, bestreiten gemeinsam Wettkämpfe, zum Beispiel Landesmeisterschaften. Die Frage, die sich am Ende stellt ist: Gibt es Ergebnisse, die wir nicht in eine gemeinsame Wertung bringen können?

Was ist Ihre Haltung dabei?

Wenn es um technische Hilfsmittel wie Prothesen geht, spielt eben auch die technische Entwicklung eine Rolle. Rehm soll selbst gesagt haben, dass er mit älteren Prothesen diese Leistung nicht hätte erreichen können. Auch eine Einheitsprothese dürfte schwierig werden. Ich glaube nicht, dass getrennte Wertungen ein Problem für die Inklusion wären. Entscheidend ist, überhaupt gemeinsam Sport zu treiben.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

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