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Sport: Vorbei an den Brüdern

Nick Heidfeld hat die Schumachers in der Formel 1 verdrängt und startet heute von der Poleposition

Für einen Moment wird Nick Heidfeld philosophisch. „Ich würde lieber anonym bleiben“, sagt er, während seine Augen kurz ins Leere starren. „Da kann man ungestörter durchs Leben gehen und mehr machen.“ Seit gestern um 14 Uhr hat sich Heidfeld diesen Lebensweg ein wenig mehr verbaut. Nach der erfolgreichsten Woche seiner Karriere mit der Poleposition beim Großen Preis von Europa auf dem Nürburgring als vorläufigem Höhepunkt muss er sich damit abfinden, dass er nicht mehr nur Heidfeld ist. Nick Heidfeld ist jetzt ein kleiner Formel-1-Star.

Seit er sich vor einer Woche in der Hafenschikane von Monte Carlo am WM-Führenden Fernando Alonso vorbei auf Platz zwei bremste, ist der Mönchengladbacher, der für BMW-Williams fährt, nach seinen weitgehend unbeachteten Auftritten für die kleinen Rennställe Prost, Sauber und Jordan auch einem breiteren Publikum bekannt. Gestern gewann der 28-Jährige mit seiner ersten Poleposition in der Formel 1 weitere Bewunderer hinzu. Der wohl prominenteste war der Weltmeister. „Nick hat es verdient“, sagte Michael Schumacher, der nach Problemen mit Untersteuern von Rang zehn ins heutige Rennen gehen wird. „Es war eine Superrunde.“

Anerkennung, aber auch Erstaunen, rief die starke Leistung Heidfelds beim Qualifikationstraining am Sonnabend hervor. Davon, dass er nun offensichtlich dauerhaft an der Formel-1-Spitze mitfahren kann, muss er sich der eher zurückhaltende Heidfeld auch erst noch selbst überzeugen. „Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet“, sagt Heidfeld. „Nach dem Rennen in Monaco habe ich gedacht, dass es hier auf dem Nürburgring schwieriger werden würde. Glücklicherweise habe ich mich getäuscht.“ Im einzigen Qualifikationstraining nach der Abschaffung des Sonntags-Durchgangs konnte nicht mal McLaren-Pilot Kimi Räikkönen, der die vergangenen zwei Rennen gewann, Heidfelds Rundenzeit unterbieten. McLaren-Teamchef Ron Dennis vermutete deshalb, dass Heidfelds zarter Ruhm dank eines fast leeren Benzintanks zustande kam, der die Siegchancen im Rennen praktisch auf null sinken lassen würde, und sprach von einer „24-Stunden-Show“. Der Deutsche ignoriert diese Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit: „Es macht keinen Sinn, im Qualifying mit extrem wenig Sprit zu fahren. Uns interessiert nur ein gutes Rennergebnis.“

Im Zweifelausräumen hat Heidfeld mittlerweile eine bemerkenswerte Erfolgsquote erreicht. Erst hatte er Teamchef Frank Williams bei Testfahrten vor der Saison davon überzeugt, dass er und nicht der Brasilianer Antonio Pizzonia die beste Fahrerwahl ist, danach war er langsam aufkommender Kritik mit seinem Coup in Monaco begegnet. Williams aber war noch nicht zufrieden und forderte seinen Fahrer auf, sich im Qualifying zu verbessern. „Davon habe ich nichts mitbekommen“, behauptet Heidfeld mit der ihm eigenen Mischung aus bescheidener Sachlichkeit und verstecktem Wortwitz. Und wenn doch, hat er seine Antwort gestern gegeben.

Die freie Sicht am Start bietet Heidfeld nun „die größte Chance, die ich je hatte“. Nach einem halben Jahrzehnt in der Formel 1 und nicht weniger als 90 Rennen steht der Mönchengladbacher so dicht vor seinem ersten Sieg wie noch nie. „Endlich hat es geklappt. Das ist ein perfekter Tag für mich.“ Einen nicht unerheblichen Anteil am perfekten Tag des Nick Heidfeld hatte der Austragungsort. „Das ist mein Heimrennen“, sagte er, „meine ganze Familie und meine Freunde sind hier. Wenn ich mir einen Grand Prix für meine erste Pole hätte aussuchen können, hätte ich diesen genommen.“

So manifestiert sich vor heimischem Publikum, was sich in den Rennen zuvor schon abgezeichnet hatte: Heidfeld ist momentan der beste deutsche Formel-1-Fahrer, ein ganzes Stück vor den streitenden und wieder versöhnten Schumacher-Brüdern. „Mir ist das egal“, behauptet Heidfeld. „Ich will vor allen Fahrern sein, nicht nur vor Michael oder Ralf, wie heute.“ Und es klang beinahe wie eine Drohung, als er hinterherschickte: „Ich denke schon an das Rennen am Sonntag.“ Vermutlich denkt er an einen weiteren perfekten Tag – und an die Anonymität, die er ihn kosten könnte.

Christian Hönicke[Nürburgring]

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