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Sport: Warum ich?

Die EM sollte Pavel Nedveds Karriere krönen – und wurde doch nur eine weitere Enttäuschung

Für eine Minute friert eine Platzhälfte im Estadio do Dragao zu Porto ein. Bis auf die Tribüne spürt man die eisige Kälte, die auf der rechten Seite alles Leben lähmt, während links die griechischen Fußballer jubeln. Ihre tschechischen Gegenspieler schauen regungslos zu, der lange Mittelstürmer Jan Koller klebt wie ein Eiszapfen am Torpfosten. So verstreicht die letzte Minute der ersten Verlängerung, und gleich ist Schluss in diesem Halbfinale der Europameisterschaft in Portugal. Außenseiter Griechenland ist gerade durch ein Kopfballtor von Traianos Dellas 1:0 in Führung gegangen, und das ist nicht irgendein Tor, es ist das erste Silver Goal in der EM-Geschichte. Vielleicht ist es auch das letzte, denn das Silver Goal wird nach dieser EM abgeschafft, aber das hilft den Tschechen nicht mehr.

Das silberne Tor war geplant als die humanere Variante des Golden Goals, das ein Spiel bei einem Tor in der Verlängerung sofort beendete. Das versprach Spannung und wirkte doch nur herzlos, weil der Gegner keine Chance mehr hat, auf den Rückstand zu reagieren. Die neue Regel besagt, dass nach 90 Minuten zunächst um 15 Minuten verlängert wird. Das dann in Führung liegende Team hat gewonnen. Andernfalls werden weitere 15 Minuten gespielt, danach entscheidet das Elfmeterschießen. Nur noch wenige Sekunden bleiben den Tschechen, weil das Tor durch Dellas kurz vor Ende der ersten Halbzeit gefallen ist. Die zu Eis erstarrten Tschechen lassen sie ungenutzt verstreichen. Keiner denkt daran, den Ball nach vorn zu dreschen, zum Anstoß.

Vielleicht liegt es daran, dass derjenige, der bei den Tschechen in solchen Situationen die Anweisungen gibt, nicht mehr auf dem Platz steht. Pavel Nedved, der Kopf und das Herz der Mannschaft, ist schon in der ersten Halbzeit mit einer Knieverletzung ausgeschieden. Ohne ihn fehlt den Tschechen der innere Antrieb. Als sie sich endlich zum Weiterspielen entschließen, dürfen sie nicht mehr. Schiedsrichter Collina pfeift das Spiel ab, Der große Favorit ist draußen.

Pavel Nedved humpelt auf den Platz und umarmt jeden Mitspieler. Später erzählt er, dass „das die beste Mannschaft ist, in der ich je gespielt habe“. Das ist richtig und falsch zu gleich. Denn richtig gut ist diese Mannschaft nur, wenn sie von ihrem Kapitän geführt wird. Er kann sie in Krisensituationen mitreißen, wie etwa im Eröffnungsspiel gegen Lettland, als die Tschechen aus einem 0:1-Rückstand noch einen 2:1-Sieg machten. Oder beim 3:2-Sieg über die Niederlande, in dem sie einen 0:2-Rückstand noch aufholten. Nur wenn Nedved die Kommandos gibt, entfalten seine Nebenleute ihr gesamtes Können. Ohne ihn bleibt der zuvor so brillante Karel Poborsky blass, findet Tomas Rosicky nicht die richtige Bindung zu seinen Nebenleuten, bekommt Milan Baros in der Spitze nicht die Bälle, die er zum erfolgreichen Abschluss braucht. Ohne Mut und Esprit spielen die Tschechen die Partie zu Ende, große Chancen durch Baros und Koller werden kläglich vergeben. Pavel Nedved schaut hilflos zu.

Das Drama beginnt in der 33. Minute, als Nedved nach einer Flanke von Poborsky im Strafraum mit Konstantinos Katsouranis zusammenstößt. Er bleibt liegen und hält sich das rechte Knie, es schmerzt schon seit dem Spiel gegen Holland. Auf einer Trage wird er vom Platz gebracht und kommt nach kurzer Behandlung zurück. Nedved versucht es noch einmal, doch er humpelt. Trainer Karel Brückner sieht ein: Es geht nicht mehr. Nedved verlässt den Platz, er schlägt die Hände vors Gesicht, Kameras fangen seine Tränen ein.

Die großartige Karriere des Stars von Juventus Turin bleibt ohne internationalen Titel. Schon 1996 war Nedved bei der Finalniederlage gegen Deutschland durch das Golden Goal von Oliver Bierhoff dabei, vier Jahre später quälte er sich verletzt durch das EM-Turnier und schied nach der Vorrunde aus. Im vergangenen Jahr durfte er wegen einer Sperre nicht für Juventus im Champions-League-Finale gegen den AC Mailand auflaufen. Die EM in Portugal sollte sein großes Turnier werden und wird doch nur eingehen in die lange Liste der Enttäuschungen im Fußballleben des Pavel Nedved.

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