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Sport: Was fürs Gemüt

Der Sieg der deutschen Nationalmannschaft in Kroatien hat im EM-Jahr große psychologische Bedeutung

Split. Die Qualität des Spiels war nicht umstritten. „Durchwachsen“, fand es Funktionär Franz Beckenbauer. „Licht und Schatten, mal hell, mal dunkel“, meinte Torwart Oliver Kahn. Es gibt also noch viel zu tun bis zur Europameisterschaft für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Spieler und Betreuer sind sich nach dem knappen 2:1-Sieg im Länderspiel gegen Kroatien in Split einig: An der Taktik und an der Abstimmung muss noch gearbeitet werden.

Immerhin, die Freude nach dem Sieg überwog der Skepsis vor dem wichtigen Jahr. Mit Genugtuung registrierte der Tross aus Deutschland, dass in letzter Spielminute die Revanche für das peinliche 0:3 gegen Kroatien und das damit verbundene Aus bei der WM 1998 geglückt war. Und auch eine kollektive Wiederbelebung nach der 0:3-Demütigung zuletzt gegen Frankreich. „Wir hatten etwas gutzumachen“, sagte Christian Wörns, einer der besten Spieler. „Die Niederlage gegen die Franzosen hat uns drei Monate auf den Schultern gedrückt“, sagte Teamchef Rudi Völler mit Erleichterung in der Stimme. Der Erfolg in einem vermeintlich harmlosen Testspiel in einem halb leeren Stadion war also wichtig. Nicht für die Statistik, sondern fürs Gemüt.

Viel hätte nicht gefehlt, und ausgerechnet Oliver Kahn hätte diesen Sieg noch vermasselt. Mit spektakulären Reflexen hatte der Torwart zunächst einen frühen Rückstand und nach Miroslav Kloses 1:0-Führung den Ausgleich verhindert. Doch kurz vor dem Schlusspfiff verschätzte sich der Schlussmann bei einem hohen Ball, und der Lokalmatador Mato Neretljak traf mit dem Kopf. Weil aber Carsten Ramelow in der letzten Minute mit einem abgefälschten Schuss diesen Fehler wieder gutmachte, konnte Kahn nach Spielende seinen Patzer mit einem Lächeln kommentieren. „Wenn ich rauskomme, muss ich den Ball auch haben“, sagte Kahn. „Das ist Torwartgesetz.“

Dass Oliver Kahn so selbstkritisch war und nicht seine körperlichen Beschwerden als Entschuldigung anführte, war ein gutes Zeichen für den mentalen Zustand der Mannschaft. Kahn litt unter der Blockade des Iliosakralgelenks, das die untere Wirbelsäule und den Beckenring verbindet. Gerade hatte der Torhüter gegen den auf ihn zustürmenden Nino Bula Kroatiens größte Torchance auf spektakuläre Weise zunichte gemacht, da lag er ausgestreckt auf dem Rücken in seinem Torraum und konnte das linke Bein nicht mehr bewegen. Physiotherapeuten und Ärzte zogen und zerrten an Kahns Fuß, während sich das Geschehen im anderen Strafraum abspielte. Humpelnd sprang Kahn wieder auf, als die Kroaten angriffen. „Bei dieser Kälte kann die Blockade schon mal auftreten“, meinte Kahn später. „Urplötzlich passiert so etwas, und dann werden im Spiel die Schmerzen immer schlimmer.“

Als das Siegtor gefallen war, eilte Christian Wörns dann auch nicht zum Torschützen, sondern lief spontan zum Torwart, um ihn zu besänftigen. „Von ihm erwartet man immer Übermenschliches. Aber ich finde, er darf sich auch mal einen Fehler erlauben“, meinte Wörns über Kahn. Und: „Ich glaube, der Sieg war für ihn besonders wichtig.“

Wichtig. Das war das Wort, dass alle so wichtig fanden nach dem ersten Testspiel der Deutschen. Auch der Torschütze Carsten Ramelow. „Ich bin selten vorn, doch wenn, dann bin ich durchaus in der Lage, auch ein Tor zu machen, wie man gesehen hat“, sagte er. Carsten Ramelow hatte nicht nur Deutschland zum Sieg geschossen, sondern gleichsam gegen seine Kritiker gesiegt. „Mir war wichtig, dass ich beweisen konnte, dass die Kritik nicht immer berechtigt ist.“ Darüber freute sich auch Rudi Völler. Die Mannschaft habe nach dem Ausgleich „Reaktion gezeigt und sich nicht in ihr Schicksal ergeben“, lobte der Teamchef. Beim 0:3 gegen Kroatien anno 1998 war das nicht der Fall. Auch nicht beim 0:3 gegen Frankreich.

Nun schon. Das gibt den deutschen Fußballern neue Hoffnung für dieses Jahr. Und Hoffnung ist auch für die EM – ganz wichtig.

Hartmut Scherzer

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