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Sport: „We love Deutschland“ Wie der Iran zur

Spaßgesellschaft wurde

Die aktuellste Reformbewegung im Iran heißt wohl Fußball. Am Freitag war nach muslimischem Kalender Sonntag. Demnach versammelten sich gestern im und ums Asadi-Stadion in Teheran 250 000 Fußballfans zu einer Art Montagsdemonstration. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist vor drei Tagen in der restriktiven und religiös konservativen „Islamischen Republik“ gelandet. Seitdem üben sich die Iraner aus Anlass des Fußballspiels als Spaßgesellschaft – mit sichtbarem Erfolg.

Als die Massen gestern ins Stadion strömten, weckten sie den Geist von 1997. Vor sieben Jahren schaffte der Außenseiter mit einem 2:2 in Australien in letzter Minute die Qualifikation für die Fußball-WM 1998. Der Ausgleichsschütze Khodadad Azizi ist seit diesem Tag ein Nationalheld. „Wir sind das Volk“ war damals wie heute die Botschaft. Dieses Gefühl war schon zu spüren, als über 3000 ausgelassen jubelnde Fans die Deutschen am Donnerstag auf dem Teheraner Flughafen Mehrabad in Empfang nahmen und sich über die Regeln der Sicherheitskräfte hinwegsetzten. Seitdem muss DFB-Zeugwart Manfred Drexler im teuren Asadi Grand Hotel aufpassen, dass sich keine Angestellten in die Kleiderkammer schleichen, um ihren deutschen Helden zu huldigen.

Die Jugendlichen, die in den Straßen Teherans zu Tausenden bis spät in der Nacht auf staubigen Asphaltplätzen „Drei gegen Drei“ bolzen, beherrschen nur einige Brocken Deutsch, aber sie können fast den gesamten aktuellen DFB-Kader aufzählen. Die Regeln der Champions League sind dem iranischen Fußballnachwuchs ohnehin sehr vertraut. Das Satelliten-Fernsehen in der Metropole mit 13 Millionen Einwohner macht es möglich. Sogar die Sportschau wird geguckt. Spiele der Bayern oder des HSV mit den iranischen Spielern Vahid Hashemian und Mehdi Mahdavikia werden oft von Millionen live im staatlichen Fernsehen verfolgt.

Dem Bundestrainer verdrehte es die Augen, als bei einer Pressekonferenz eine verschleierte Muslimin aufstand, sich als Journalistin von einer der 17 täglich erscheinenden Teheraner Sportzeitungen vorstellte und fragte, wie es um die WM-Quartiersuche der Deutschen stehe, wie er den Torwartstreit zu beenden gedenke und wer die Rolle des verletzten Frank Fahrenhorst übernehmen solle. Fahrenhorst – den Namen kannten bis vor kurzem nicht einmal in Deutschland alle Fußballfans.

Wo immer die deutschen Fußballer in diesen Tagen im Iran auftraten, wurde gewinkt und gelacht, friedlich gedrängelt und gegrölt. Seit Tagen campierten Tausende Iraner aus dem ganzen Land rund um das Stadion, weil sie zwar die zwei Euro für einen besseren Stehplatz hatten – aber kein Geld für ein Hotel. Autogramme schreiben müssen in Teheran der Busfahrer und der Koch der DFB-Delegation. „We love Deutschland“ – diese drei Worte sind immer wieder zu hören.

Das iranisch-deutsche Liebesverhältnis ist einfach erklärt. Die Iraner sind noch immer der guten alten deutschen Disziplin auf dem Platz verfallen. Die Frage nach den deutschen Lieblingsspielern beantwortet jeder zweite Iraner mit einem bestimmten: „Beckenbauer, Vogts und Matthäus!“ Zudem spielen die eigenen Stars, Vahid Hashemian und Mehdi Mahdavikia, im gelobten Fußballland. Und der umjubelte Bundestrainer Jürgen Klinsmann ist zurzeit der gefragteste Deutsche im Iran. Obwohl ausgerechnet er beim iranischen Staatsfeind in den USA lebt – oder gerade deswegen.

Jens Friesendorff[Teheran]

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