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Sport: Weil Funktionäre um die reine Lehre streiten, ist das deutsche Damentennis auf dem Weg in die Zweitklassigkeit

Als die große, alte Dame im November im Madison Square Garden verabschiedet wurde, war die glorreiche Vergangenheit noch einmal präsent: Es flimmerten spektakuläre Erfolge einer großen Karriere über die Anzeigetafel, da wurden im Zeitraffer noch einmal Seriensiege bei Grand-Slam- und WTA-Turnieren, Olympischen Spielen oder auch im Fed Cup aneinander gereiht. Nostalgiestunde mit Steffi Graf.

Als die große, alte Dame im November im Madison Square Garden verabschiedet wurde, war die glorreiche Vergangenheit noch einmal präsent: Es flimmerten spektakuläre Erfolge einer großen Karriere über die Anzeigetafel, da wurden im Zeitraffer noch einmal Seriensiege bei Grand-Slam- und WTA-Turnieren, Olympischen Spielen oder auch im Fed Cup aneinander gereiht. Nostalgiestunde mit Steffi Graf.

Auch dieser Tage sind die Tennisfans versucht, sentimental zurückzuschauen in die goldene Epoche. Denn mag die Entfremdung Steffi Grafs von ihrer Berufswelt auch noch so zügig voranschreiten, mag sie noch so sehr betonen, "dass ich spüre, wie wahnsinnig weit weg ich jetzt vom Tourzirkus bin" - die muntere Pensionärin stößt die deutsche Anhängerschaft mit ihrer ständigen Anwesenheit als "Spielerfrau" von Andre Agassi immer wieder auf die Diskrepanz zwischen Gestern und Gegenwart.

Kein Zweifel: Ohne die beschönigende Bilanzkorrektur durch Steffi Graf ist das deutsche Damentennis in den letzten Monaten auf Relegationsplätze zwischen erster und zweiter Liga abgerutscht. Ausgerechnet die Gelegenheitsspielerin Jana Kandarr, die zur Zeit noch einmal die Schulbank drückt, um die Studienberechtigung für Medizin oder Biologie zu erlangen, musste beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres in Melbourne die deutsche Fahne mit ihrem Einzug ins Achtelfinale hochhalten.

Die noch in Australien in der ersten Runde jäh ausgeschiedene Anke Huber konnte immerhin gerade rechtzeitig zum Schaulaufen in Hamburg und Berlin ihren von pausenlosen Erstrunden-Niederalgen gesäumten Niedergang stoppen und sich wieder langsam an ihr spielerisches Potenzial herantasten. Das besänftigte auch jene Sponsorenvertreter und Fernsehverantwortlichen, die ihr grossflächiges Tennis-Engagement ja in letzter Zeit sowieso kritischer denn je auf Werthaltigkeit überprüfen.

Die ersten Tage bei den German Open haben die Verhältnisse im deutschen Damentennis dabei schlagartig illustriert: Nach dem plötzlichen Graf-Abgang haben die Fans bei einer alten, neuen Anke Huber einen Anlaufpunkt gefunden, die sich in ihren ewigen Achterbahnfahrten gerade wieder einmal aufwärts bewegt. Aber hinter der rätselhaften Huber herrscht die schon zur Gewohnheit gewordene Dauerrezession mit bescheiden erfolgreichen Darstellerinnen wie Andrea Glass, Barbara Rittner, Elena Wagner oder Marlene Weingärtner.

Die zuletzt beklagten Verletzungen bei Glass oder Rittner ändern nichts an flächendeckender Tristesse, die der um starke Worte selten verlegene DTB-Sportwart Walter Knapper so beschreibt: "Ganz viel Schatten - nur ein bisschen Licht." Symptomatisch war jene Szene in dieser Wettbewerbswoche zu Berlin, als Andrea Glass nach ihrem 1:6, 0:6-Debakel gegen Corina Moraiu aufgelöst von der Anlage hastete und sich dann weinend auf eine Bank am nahegelegenen Seeufer flüchtete. Wenig tröstlich soll der Kommentar ihres hinzugeeilten Trainers gewesen sein, der laut Ohrenzeugen das Debakel mit den Worten kommentiert habe: "Du bist doch bescheuert."

Hinter den Kulissen der deutschen Tennis-Szene ist beileibe auch keine einträchtige Allianz zu erkennen, die sich mit versammelten Anstrengungen ans Aufbauwerk machen würde. Landesfürsten, Verbands- und DTB-Trainer beäugen einander misstrauisch und postulieren mit ideologischem Eifer ihre jeweiligen Denkmodelle für eine bessere Zukunft. So fehlt Teamchef Markus Schur und seinen Gehilfen auch der zeitige Zugriff auf die bayerischen Talente, weil im Tennis-Gau des amtierenden DTB-Präsidenten Georg von Waldenfels die Ansicht vorherrscht, die Mädchen sollten erst im Alter von 18, 19 Jahren und einer ausgedehnten Schulausbildung ihr Glück im Wanderzirkus versuchen.

Fast Hälfte zu Hälfte stehen sich die Vertreter beider Glaubensrichtungen gegenüber, die entweder auf eine frühe Professionalisierung mit verkürztem Schulaufenthalt oder einem späten Einstieg drängen. "Es ist eine merkwürdige Lage", sagt Teamchef Schur, der zwischen den Parteigängern beider Lager hin- und herlavieren muss.

Dabei ist das Thema abseits der deutschen Diskussionswut längst entschieden: Bei allen Spitzenspielerinnen in der WTA-Weltrangliste sind die Grundlagen für eine hoffnungsvolle Tennis-Zukunft längst vor der Pubertät geschaffen worden. Und kaum eine der Topkräfte des Tourcircuits hat auf das Risiko verzichten müssen, zeitig alles auf die Karte Professionalität zu setzen. "Wer mit 18 Jahren auf der WTA Tour anfangen will, hat null Chancen", sagt Melanie Molitor, Mutter und Trainerin der Weltranglisten-Ersten Martina Hingis, die mit 14 Jahren ihr Debüt im heimischen Zürich feierte. Steffi Graf debütierte sogar schon als 13-Jährige.

Da bisher alle Bemühungen scheiterten, die Förderkonzeption zu vereinheitlichen, unterstützen die DTB-Fachkräfte um Schur oder Honorartrainer Gerald Marzenell die aussichtsreichen privaten Initiativen "im möglichen Rahmen" - etwa bei der in Berlin stark aufspielenden Newcomerin Bianka Lamade. Die arbeitet schon seit knapp einem Jahrzehnt - losgelöst vom Kleinkrieg in den DTB-Niederungen - mit dem französischen Übungsleiter Hubert Chaudury zusammen.

Seit einigen Monaten sorgt Schurs Truppe dafür, dass die hochtalentierte Lamade Konditionstrainer oder Sparringspartner zur Verfügung bekommt oder an DTB-Trainingslagern teilnimmt. Auch bei der starken Münchnerin Scarlett Werner sorgen die Verbandstrainer dafür, dass die 15-jährige allen logistischen und personellen Beistand erhält. Glücklicher Weise ist die Scarlett Werner bereits von den Talentscouts des Vermarktungsriesen IMG unter Vertrag genommen worden und muss sich nicht unbedingt ums tägliche Kleingeld scheren.

Andere Tenniskinder und ihre Familien wären indes dankbar für ein paar beruhigende Zuwendungen. Kleine, schlagkräftige Juniorteams mit Einzeltrainern könnte der DTB durchaus im Verbund mit zahlungskräftigen Unternehmen aufstellen lassen, doch von einer entsprechenden Marketingabteilung des Verbandes hat noch niemand etwas gehört. Dabei ist der Handlungsbedarf umso größer, da in den nächsten Monaten nun auch endgültig das nicht gerade von Erfolgen überschüttete Junior Team von Steffi Graf aufgelöst wird.

Auch sie, die große, alte Dame Graf, ist ein Teil der kritischen Masse im deutschen Damentennis. Als noch durchaus leichtes Interesse bei der Ausnahmespielerin bestand, beschränkte Verantwortung hier zu Lande zu übernehmen und zumindest als Nachwuchs anziehende DTB-Repräsentantin zu arbeiten, scheiterte die Allianz in einem entnervenden Verhandlungsschacher zwischen ihrer Firma und der DTB-Spitze.

Inzwischen aber ist Steffi Graf den Befindlichkeiten im DTB-Herrschaftsgebiet so weit entrückt, "dass wir sicher nicht mehr mit ihr rechnen können", wie Teamchef Schur sagt. Bekundungen des DTB-Chefs Georg von Waldenfels, man wolle Steffi Graf in die Arbeit einbinden, seien "Sonntagsreden, auf die noch nicht einmal gutgläubige Zuhörer etwas geben", sagt ein Landespräsident. Man könnte auch sagen: Was noch nie so recht zusammengehörte, kann auch jetzt nicht mehr zusammenwachsen.

Jörg Allmeroth

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