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Ein Spiel als Traum und Trauma. Pierre Littbarski (links) im WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich. Deutschland holte einen 1:3-Rückstand auf und gewann im Elfmeterschießen.

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Weltmeister Pierre Littbarski im Interview: "Die Franzosen haben seit 1982 einen Deutschland-Komplex"

Pierre Littbarski über seine erste Auslandsstation Frankreich, das legendäre WM-Halbfinale 1982 und den Versuch, in einem französischen Restaurant ein Steak zu bestellen.

Herr Littbarski, es gibt viele Gründe, mit Ihnen über Frankreich zu sprechen. Sind Sie mit Ihrem Namen eigentlich schon mal für einen Franzosen gehalten worden?

Na klar, früher in der Schule, was glauben Sie, wie oft ich meinen Namen buchstabieren musste. Manche hatten mit der Aussprache aber auch so ihre Probleme. Für die war ich dann der Pirre. Französisch hatten wir ja nicht als Unterrichtsfach, ich habe dafür Latein gelernt. Eigentlich blöd, denn damit konnte ich später gar nichts anfangen.

Französisch hätte Ihnen schon weitergeholfen, als Sie 1986 für ein Jahr zum Racing Club nach Paris gegangen sind.

Das war in der Tat ein Problem. Die Franzosen in der Mannschaft haben sich alle einen Spaß daraus gemacht, mich in die Irre zu führen. Ich weiß noch, wie wir mal in einem Restaurant waren und ich ein Steak bestellen wollte. „Poisson“, haben sie mir gesagt, und dann kam halt ein Fisch. Im Rückblick klingt das lustig, aber damals war es das ganz bestimmt nicht.

Die Zeit in Frankreich war nicht die schönste in Ihrer Karriere.
Es war ein einziges Missverständnis. Wir waren eine zusammengekaufte Truppe. Der Trainer, der mich geholt hat, wurde schon nach drei Monaten entlassen, insgesamt hatten wir drei in der Saison. Unser Star Luis Fernandez, den hatte Racing von Paris St. Germain gekauft, der war ein richtiger Filou und mehr auf der Rennbahn als auf dem Trainingsplatz. Nichts hat zusammengepasst, wir waren irgendwo im Mittelfeld der Tabelle und haben in einem halbleeren Stadion gespielt.

Racing hatte vier Ausländer unter Vertrag, aber nur drei durften spielen. Da waren drei Uruguayer und ein Deutscher...
Nichts gegen die Uruguayer, das waren meine besten Freunde in der Mannschaft. Mit Enzo Francescoli, dem überragenden Spielmacher, habe ich nach dem Training immer noch Freistöße geübt, wenn alle anderen schon zu Hause waren. Da gibt es noch ein paar nicht eingelöste Wetten. Wenn ich mich richtig erinnere, schuldet er mir noch etliche Kästen Cola, das war damals mein Lieblingsgetränk.

Es heißt, Sie hätten damals regelmäßig neue Geschwindigkeitsrekorde für die Autofahrt von Paris nach Köln aufgestellt.
Ist das schon verjährt? Sagen wir mal so: Ich bin sehr oft und gern zurück nach Köln gefahren, und ich wusste ganz gut Bescheid, wo die Radarfallen stehen, besonders in Belgien, da musste man immer besonders gut aufpassen.

Immer auf der Höhe des Geschehens: Pierre Littbarski ist heute Chefscout beim VfL Wolfsburg.
Immer auf der Höhe des Geschehens: Pierre Littbarski ist heute Chefscout beim VfL Wolfsburg.

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In Frankreich kannte man Sie spätestens seit der WM 1982 sehr gut. Seit dem spektakulären Halbfinale von Sevilla, das die deutsche Mannschaft im Elfmeterschießen gegen Frankreich gewonnen hat.
Die Franzosen hatten eine großartige Mannschaft, mit Platini, Six und Giresse, der war als Einziger noch kleiner als ich. Wir gehen durch mein Tor früh in Führung, Platini gleicht aus, und dann kommt es in der zweiten Halbzeit zu diesem Zusammenprall zwischen unserem Torhüter Toni Schumacher und Patrick Battiston.

Ein Bodycheck im Strafraum. Battiston erlitt eine Gehirnerschütterung, Wirbelverletzungen und verlor zwei Zähne.
Natürlich wollte Toni ihn nicht verletzten, aber er hat sich während der Behandlungspause schon ein bisschen ungeschickt verhalten, als er in seinem Tor stand und mit dem Ball spielte, als ginge ihn das alles gar nichts an. Bei den Zuschauern in Sevilla waren wir damit unten durch.

In der Verlängerung gingen die Franzosen schnell mit 3:1 in Führung. Alle Welt dachte, das Spiel wäre entschieden.
Das haben die Franzosen auch gedacht. Platini ist über den Platz stolziert, so als stünden sie schon im Finale. Dann aber schafft Karl-Heinz Rummenigge das Anschlusstor...

... nach Ihrer Flanke..
... und Klaus Fischer sogar den Ausgleich, mit diesem spektakulären Fallrückzieher, das habe ich immer noch vor Augen, mehr noch als mein Tor oder das Elfmeterschießen, das wir dann gewonnen haben. Die Deutschen geben niemals auf, das haben wir damit wieder einmal bestätigt. Die Franzosen waren völlig fertig mit der Welt, und ich glaube, dass sie seitdem einen kleinen Deutschland-Komplex haben. Die können in wichtigen Spielen einfach nicht gegen uns gewinnen.

Wie im Halbfinale der WM 1986 oder zuletzt im Viertelfinale von Rio, als die Franzosen ein sehr gutes Spiel machten und doch 0:1 verloren.
Ich glaube, diese Mannschaft ist seitdem noch besser geworden. Schauen Sie sich Antoine Griezmann an, ein Weltklassestürmer. Oder Paul Pogba. Die Franzosen machen eine sehr gute Nachwuchsarbeit, sie produzieren nicht mehr nur Künstler, sondern auch sehr athletische Spieler. Sie müssen heute mal die U 19 sehen, das sind riesige Kerle. Mit der Suspendierung von Karim Benzema haben sie sich vielleicht selbst ein wenig ins eigene Fleisch geschnitten, aber das ging wohl nicht anders. So einer würde ihnen im Angriff schon noch guttun.

Wie weit kommen die Franzosen noch bei der EM?
Wenn sie nicht auf Deutschland treffen, können sie sehr weit kommen!

Sie sind als Chefscout des VfL Wolfsburg auch oft in Frankreich unterwegs. Waren Sie auch am 13. November des vergangenen Jahres in Paris, als es während des Freundschaftsspiels zwischen Frankreich und Deutschland zu den folgenschweren Terroranschlägen kam?
Nein, aber es ging mir an diesem Abend trotzdem nicht gut. Wissen Sie, wir hatten damals einen Scout im Stadion, den hab ich da hingeschickt. Können Sie sich vorstellen, was einem da durch den Kopf geht? Das war furchtbar!

Das Gespräch führten Sven Goldmann und Friedhard Teuffel bei einer Veranstaltung des Tagesspiegels im Stilwerk zur Fußball-EM.

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