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Weltmeisterschaft der Fußballfrauen: Diese Pässe! Diese Schüsschen!

Harald Martenstein blickt zurück auf die Frauenfußball-WM 2011.

Ein Jahr, in dem es weder Olympia gibt noch eine richtige Fußball-WM oder Fußball-EM, gilt in der Welt des Sports als ein nur mäßig interessantes Jahr. Ein gewisser Output an Welt- und Europameisterschaften ist natürlich immer vorhanden, 2011 zum Beispiel bei den Leichtathleten (WM in Südkorea), bei den Turnern (Hurra! EM in Berlin!) und bei den Handballern (WM in Schweden). Bei den Handballern ist sowieso ständig WM. Dies ist das Gefühl, das man hat.

So kam es, dass die Fußball-WM der Frauen in Deutschland der Höhepunkt des Sportjahres 2011 wurde. Eine Weltmeisterschaft. Aber keine richtige. Auch dies war nur so ein Gefühl, das viele hatten. Aber es durfte nicht darüber gesprochen werden. Alle mussten so tun, als sei es eine richtige WM. Es gab eine Fanmeile, es wurde live im Fernsehen übertragen, es gab Sonderseiten und alles. Die Deutschen spielten super und putzten Monstermannschaften wie Kanada oder Belgisch-Australien einfach so weg. Die Spielerinnen waren wahnsinnig nett und gaben sich echt Mühe. Die Stimmung war okay. Sonnenschein. Im Fernsehen sagten sie: „Sommermärchen, Teil zwei!“

Jenseits der Medien entwickelte sich eine Art zweite Öffentlichkeit, inoffiziell, Samisdat, wie einst in der Sowjetunion. Wenn ich Freunde traf, sagten sie, leise und vorsichtig und nur, wenn niemand in der Nähe war: „Mal ganz ehrlich – gegen diese Kanadierinnen hätte unsere Kneipenmannschaft auch gewonnen, oder?“ Sie sagten, dass man den Frauenfußball nicht mit Frauentennis vergleichen könnte oder Frauenboxen. Kein guter Freizeit-Tennisspieler, männlich, hätte gegen eine der Williams-Schwestern die geringste Chance, und Regina Halmich könne wahrscheinlich auch heute noch jeden Zweimetermann locker ausknocken. Aber der Frauenfußball – diese Pässe! Diese Schüsschen! Da geht es bei Traktor Oberschöneweide anders zur Sache, aber das ist ja auch die Kreisklasse der Männer.

Das Blöde war, dass nur indiskutable Machos diese Position öffentlich vertraten, Leute wie Lothar Matthäus, Achim Menzel oder Dieter Bohlen. Man konnte das einfach nicht öffentlich sagen. Man musste so tun, als ob. Wir saßen beim Public Viewing, tranken Weizenbier und bejubelten jeden Dreimeterpass, der ankam. Es durfte nicht ironisch rüberkommen, aber das schafften wir. Wir waren perfekte Gentlemen. Manchmal stießen wir uns sachte mit dem Ellbogen an, wenn wieder mal eine Torhüterin einen Kullerball wegtreten wollte und in die Luft trat und sich dabei überschlug wie Daisy Duck auf Speed. Die Torhüterinnen waren das Extremste, an den Torhüterinnen konnte man echt eine Menge Spaß haben.

Dann kam das Endspiel, Deutschland gegen Santo Domingo oder Krefeld, ich weiß nicht mehr, klar, wir haben gewonnen, zwei Eigentore von Santo Domingo, und das Land war im Ausnahmezustand. Der Moderator sagte: „Wahnsinn! Jetzt ist Frauenfußball endgültig aus der Nische heraus!“, und wir riefen: „Hurra! Wahnsinn! Deutschland!“ 2011, das Jahr, in dem wir perfekte Gentlemen waren.

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